Viktor Orban kann auch charmant sein – hier beim Handkuss mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Foto: AFP/LUDOVIC MARIN

Der ungarische Premier Orban feilscht beim EU-Gipfel in Brüssel um Milliarden für sein Land. Die Hilfe für die Ukraine blockiert er mit einem Veto.

Kaja Kallas wird diesem EU-Gipfel in ihren Memoiren ein extra Kapitel widmen. Das verriet die estnische Premierministerin am Morgen nach einer wendungsreichen Brüsseler Verhandlungsnacht den wartenden Journalisten. Im Mittelpunkt ihrer Erzählung wird der wild mit Vetos drohenden Viktor Orban stehen. Der ungarische Regierungschef hatte bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs zuerst überraschend dem Start der Beitrittsverhandlung mit der Ukraine zugestimmt, dann aber kurz darauf das 50 Milliarden Euro schwere Finanzhilfen-Paket für Kiew blockiert.

„Es ist bisweilen interessant, wie die Wurst hergestellt wird“, beschrieb Kaja Kallas das stundenlange Ringen um einen Kompromiss, um den sich schnell einige Mythen rankten. Im Zentrum steht die Erzählung, dass Orban auf Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz den Verhandlungsraum verlassen habe, um bei der entscheidenden Abstimmung nicht für die Ukraine die Hand heben zu müssen.

Ein eher symbolischer Sieg für die Ukraine

So konnte für die Ukraine ein wichtiger, allerdings eher symbolischer Sieg verkündet werden, da er keine unmittelbaren Konsequenzen haben wird. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte betonte, dass dies ein erster Schritt sei, der Beitritt Kiews aber noch sehr viele Jahre in der Zukunft liege.

Die Staats- und Regierungschefs setzten sich nach diesem ersten Durchbruch mit neuer Hoffnung an den Verhandlungstisch, um über die Finanzierung der Ukraine-Hilfe abzustimmen. Gegen zwei Uhr morgens wurde das Treffen dann aber unterbrochen, die Teilnehmer sahen offensichtlich keinen Sinn mehr darin, sich weiter mit dem widerspenstigen Orban abzumühen. Die vom ungarischen Premier blockierte Entscheidung über die Ukraine-Hilfe wurde kurzerhand auf einen Sondergipfel im neuen Jahr vertagt.

Orban schraubt die Forderungen höher

Allerdings gab Viktor Orban bereits am Freitag den Ton für die nächste Verhandlungsrunde vor. Er schraubte seine Forderungen für eine Zustimmung noch einmal deutlich in die Höhe. Derzeit sind noch rund 21 Milliarden Euro an EU-Geldern für Ungarn eingefroren. Zehn Milliarden Euro der blockierten Summe hatte die EU-Kommission einen Tag vor dem EU-Gipfeltreffen freigegeben mit der Begründung, dass Ungarn die dafür verlangten Justizreformen umgesetzt habe.

Nun macht der ungarische Regierungschef seine nächste Ukraine-Zustimmung von der Freigabe weiterer Milliarden abhängig. Im ungarischen Radio sagte er am Freitag, dies sei „eine großartige Gelegenheit für Ungarn, um klarzustellen, dass es bekommen sollte, was es verdient hat. Nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles.“ Das Geld liegt wegen Verstößen etwa gegen die Rechte sexueller Minderheiten oder das Asylrecht auf Eis.

Großer Ärger über Orbans Verhalten

Daniel Freund, grüner Europaparlamentarier und einer der schärfsten Kritiker Orbans, empörte sich am Freitag über einen weiteren Erpressungsversuch aus Ungarn. Die Freigabe der ersten zehn Milliarden durch die Kommission hätten dem „Autokraten in Budapest“ gezeigt, dass er damit Erfolg habe. Orban sei „nur am Geld der EU interessiert“, schrieb Daniel Freund auf „X“, „und er setzt dafür die Sicherheit Europas aufs Spiel“. Sehr deutliche Worte fand am Freitag auch EU-Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley. „Viktor Orban ist der korrupteste Regierungschef, den wir haben“, sagte die SPD-Politikerin.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zeigte sich am Freitag dann aber erstaunlich optimistisch, dass bei dem nun anberaumten Treffen im Januar ein Weg gefunden wird, die Hilfsgelder für die Ukraine zu beschließen. Die insgesamt 50 Milliarden Euro teilen sich auf in 33 Milliarden Euro an Krediten und 17 Milliarden Euro als Zuschüsse. Ruttes Zuversicht speist sich wohl aus der Gewissheit, dass die 26 EU-Staaten bereits an Alternativen arbeiten, sollte sich Orban wieder querlegen. So wäre es denkbar, dass ein Ukraine-Sondertopf außerhalb des EU-Haushalts eingerichtet wird.

Die Kommission sucht nach alternative Finanzwegen

Möglich wäre auch, dass Budapest einwilligt, die Finanzierung der Ukraine-Hilfe nicht wie geplant für vier Jahre, sondern nur über zwölf Monate zu sichern. Orban hatte angedeutet, dass er dazu eventuell bereit wäre. Das wäre wegen der dann fehlenden Planungssicherheit für die Regierung in Kiew und potenzielle Investoren allerdings nur die zweitbeste Lösung.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Freitag eine Lösung für die Blockade der Hilfszahlung für die Ukraine versprochen. Ihre Behörde werde die Zeit bis zum nächsten EU-Gipfeltreffen nutzen, um eine machbare Lösung zu finden – „was auch immer bei dem Gipfel passiert“. Ein Weg ohne Ungarn, das sich bislang als einziges Lang quer stellt, sei nicht ausgeschlossen.

Angst vor einem Wahlsieg von Donald Trump

Wichtig sind langfristige Zusagen für die Ukraine auch, weil die Unterstützung aus den USA inzwischen wackelt. Der schwelende Streit zwischen Demokraten und Republikanern über die Ukraine-Hilfe ist nur die eine Seite, niemand mag sich vorstellen, was eine Wiederwahl von Donald Trump im kommenden November bedeuten würde.

Washington hat seit Kriegsbeginn gewaltige Summen für die Ukraine locker gemacht: Rund 44 Milliarden Dollar (rund 42 Milliarden Euro) allein an militärischen Hilfen. So viel wie kein anderes Land. Hinzu kamen große Milliarden-Beträge für finanzielle und humanitäre Hilfe. Daneben nehmen sich die 5,2 Milliarden Waffenhilfe aus Deutschland geradezu bescheiden aus.