Manche hassten sie, manche liebten sie: Sebastian Hartmanns gut vierstündige Inszenierung „Staub“ nach Sean O’Casey im Schauspielhaus Stuttgart Foto: JU Ostkreuz

Warum Armin Petras 2013 als Intendant am Schauspiel Stuttgart fulminant gestartet ist und nach künstlerischen Hängern in der letzten Saison gemeinsam mit seinem herausragenden Ensemble ein beachtliches Finale hingelegt hat.

Stuttgart - Paul Grill palavert, grinst und grimassiert. Das geht in Ordnung. Er gibt in Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ alle drei Figuren, „Direktor“,„Theaterdichter“ und eine „lustige Person“ in Stephan Kimmigs „Faust“-Inszenierung, die im Herbst 2017 Armin Petras’ letzte Saison im Schauspielhaus Stuttgart eröffnete.

Paul Grill begrüßt also allerseits Leute im Schauspielhaus, räsoniert darüber, wie man das Volk ins Theater lockt: „Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt… Bei hellem Tage, schon vor Vieren, mit Stößen sich bis an die Kasse ficht und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren, um ein Billett sich fast die Hälse bricht“. Dieser Wunsch wurde fast wahr zu Beginn von Armin Petras’ Intendanz in Stuttgart im Jahr 2013. Das Publikum war extrem neugierig auf die Neuen aus Berlin, allein der Begrüßungsabend „Hello, Look At Me“ , bei dem sich die Schauspieler vorstellten, war so erfolgreich, dass er wiederholt werden konnte.

Erfolgsproduktionen zum Beginn

Petras und sein Künstlerischer Leiter Klaus Dörr zeigten viele Erfolgsproduktionen, die sie vom Maxim Gorki Theater Berlin mitgebracht hatten, Antú Romero Nunes’ fulminante Schiller-Inszenierung „Räuber“, Dürrenmatts „Das Versprechen“ mit Fritzi Haberlandt und Peter Kurth. Große Namen standen auf den Produktionszetteln: Edgar Selge und Franziska Walser spielten Schnitzlers „Reigen“, Astrid Meyerfeldt und Joachim Król fetzten sich in Bergmans „Szenen einer Ehe“.

Junge Regisseure wie Robert Borgmann, Martin Laberenz und Christopher Rüping sorgten indes dafür, dass die Auslastungszahlen in Saison eins nicht komplett durch die Decke schossen, aber mit 87 Prozent als wirtschaftlicher Erfolgsstart verbucht werden konnten. Borgmann und Rüping bescherten dem Haus nach langer Zeit außerdem wieder einmal überregionales Bestenschau-Lob: Es gab zwei Einladungen durch eine Kritiker-Jury zum Berliner Theatertreffen, für Tschechows „Onkel Wanja“ und Vinterbergs „Das Fest“.

Künstlerisch Unausgegorenes

Der Theaterdirektor ist allerdings auch ein Dichter und so wie dieser sich in Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ über Erfolg und Misserfolg im Hier und Jetzt äußert, gab auch Armin Petras, wie er kürzlich im Interview mit unserer Zeitung sagte, offenbar in Saison zwei die Losung aus, mehr Experimente zu wagen. Der Regienachwuchs, auf den Petras weiterhin setzte, wurde zwar auch später zu Theatertreffen eingeladen, allerdings mit Arbeiten aus Wien oder München. Wer in der zweiten Saison künstlerisch Unausgegorenes wie Dostojewskis „Der Idiot“ , Manns „Der Zauberberg“, Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ oder Sophokles/Hölderlins „Antigone“ noch geduldig durchlitten hatte, wer sich außerdem nicht für Sebastian Hartmanns herrlich spielfreudigen Vierstundenabend „Staub“ erwärmen konnte, wurde in der dritten und vierten Saison dann doch einigermaßen missmutig. Vor allem, wenn er den erhofften Ernst in Inszenierungen vermisste oder das Spiel der Darsteller nur um sich selbst zu kreisen schien.

Zudem wanderten wichtige Schauspieler wie Paul Schröder und Anja Schneider ab nach Hamburg ans Thalia Theater oder ans Deutsche Theater nach Berlin. Holger Stockhaus ging zum Fernsehen, Peter Kurth spielte vor allem in Filmen weiter. Womöglich konnten Kino und andere Theater auch deshalb locken, weil die Künstler merkten, dass es künstlerisch nicht mehr ganz so glanzvoll zuging, die künstlerische Bandbreite der Regisseure nicht mehr so weit war. Die Auslastung in der dritten Saison 2016/2017 sank auf auf 74 Prozent (und im Jahr darauf noch einmal, auf 72 Prozent) - und Armin Petras beschloss im Herbst 2016, seine bereits auf 2021 verlängerte Intendanz doch schon 2018 zu beenden, aus persönlichen und privaten Gründen, wie er angab. Ob auch Enttäuschung über die Zahlen oder Druck wegen sinkender Gewinne im Spiel war? Ein Staatstheater indes ist kein börsennotiertes Unternehmen, es erhält Subventionen auch, um sich künstlerisch auszuprobieren und auch mal scheitern zu dürfen.

Hervorragende Schauspieler

Unabhängig davon, dass es in großen Theatern wie dem Schauspielhaus Zürich oder den Kammerspielen München deutlich weniger auch öffentliches Rumoren gab, obwohl dort die Auslastung deutlich schlechter war, sollte der Blick auf Finanzen und Prozente nicht den Blick auf die Kunst verstellen. Und die gab’s in den fünf Jahren immer wieder, zumal in der finalen Spielzeit, in der sich die Zahlen bei knapp 80 Prozent einpendelten. Kluge Abende von Schorsch Kamerun und René Pollesch waren darunter, Frank Castorfs „Tschewengur“, Armin Petras’ Inszenierungen von Stoffen aus der Region wie Raabes „Pfisters Mühle“ mit Peter Kurth und Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ mit Caroline Junghanns, Tschechows „Der Kirschgarten“, Katers „Buch (5 ingredientes de la vida)“, Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion…“, Voges’ „Das 1. Evangelium“ und der Theaterspaß von Schönthans „Der Raub der Sabinerinnen“. Und: es blieben (und kamen neu hinzu) Schauspieler und Gäste wie Wolfgang Michalek, Peter René Lüdicke, Thomas Schmauser und Christian Friedel und vor allem herausragende Schauspielerinnen wie Astrid Meyerfeldt, Manja Kuhl, Caroline Junghanns, Lea Ruckpaul, Julischka Eichel und Sandra Gerling.

Sandra Gerling als Mephisto war es auch, die man sich immerzu auf die Bühne wünschte in Kimmigs „Faust“-Inszenierung, die Goethes Text hart auf Jelineks „Faust In And Out“ krachen ließ und unter dem Anspruch politischer Korrektheit und bemüht wirkender Theorieseligkeit ächzte. Die mit Armin Petras gekommenen Schauspieler gehen nun fast alle. Immerhin wird man Sandra Gerling weiter erleben können, ohne an andere Theater reisen zu müssen. Der auch künftig Schulklassen ins Theater lockende „Faust“ wird vom designierten Intendanten Burkhardt C. Kosminski übernommen.