Pesto, Suppen, Aufläufe, Smoothies und Salate: Wildkräuter sind vielseitig einsetzbar. Foto: dpa

Fuchsbandwurm, Unwohlsein – viele Deutsche haben Bedenken, Wald- und Wiesenpflanzen zu verspeisen. Dabei können diese den täglichen Speiseplan durchaus bereichern.

Stuttgart - Einem Spaziergänger wäre die filigrane Pflanze mit den weißen Blüten wohl nicht aufgefallen. Kniehoch wächst die Knoblauchsrauke in einem Wohngebiet in Möhringen, direkt neben einem Maschendrahtzaun. Barbara Preisinger jedoch bleibt stehen, als sie die Pflanze sieht. Sie bückt sich, zerreibt zwei der herzförmigen Blätter zwischen den Fingern. „Wie der Name es vermuten lässt, riecht die Knoblauchsrauke nach Knoblauch oder Bärlauch“, erklärt die schlanke 63-Jährige ihren Zuhörern.

Für die Stuttgarter Ortsgruppe des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) führt Barbara Preisinger Führungen durch zum Thema Heil- und Wildkräuter. An diesem Abend führt sie eine kleine Gruppe entlang der Streuobstwiesen nahe der Stadtbahnhaltestelle Rohrer Weg. „Viele Menschen haben Angst vor Wildpflanzen. Ich esse sie fast täglich – und lebe wirklich noch“, sagt Barbara Preisinger und lacht.

Dann öffnet sie ihren Rucksack, holt Brot, einen Löffel und ein Glas Pesto hervor. „Das Pesto kann man ganz leicht herstellen“, sagt sie, während sie Brotstücke verteilt. „Man vermengt die Knoblauchsrauken-Blätter einfach mit ein bisschen Olivenöl, Parmesan und Pinienkernen und zerkleinert alles mit dem Pürierstab.“ Die Führungsteilnehmer kauen, einige nehmen einen Nachschlag. Quark könne man mit den Blättern ebenfalls zubereiten, sagt Barbara Preisinger, Frischkäse, Aufläufe und Salate. „In Maultaschen sorgt die Knoblauchsrauke für einen ganz milden Knoblauchgeschmack.“

„Man sollte sich langsam an Wildkräuter gewöhnen“

Ob der Genuss für Menschen, die nicht oft Wildpflanzen verspeisen, Nebenwirkungen habe, möchte ein Teilnehmer wissen. „Sagen wir es so: Wenn Sie heute Abend alle Kräuter einsammeln, die Sie finden, und sich daraus einen Salat zubereiten, kann es sein, dass Sie die Nacht im Bad verbringen werden“, antwortet Barbara Preisinger. „Man sollte sich langsam an Wildkräuter gewöhnen.“

Sie selbst beginnt jedes Jahr mit einigen Blättern Löwenzahn im Salat – jeden Abend mischt sie ein paar mehr unter die anderen Salatzutaten. „Solange Sie nicht gleich ein Kilo Löwenzahn verwenden, werden Sie nichts davon merken“, versichert sie und zeigt auf eine niedrig wachsende Pflanze neben der Knoblauchsrauke. „Den Gundermann“, sagt sie, „erkennt man an seinen blau-lilafarbenen Lippenblüten.“ Die Pflanze enthalte viel Vitamin C und Bitterstoffe, sei gut für Magen, Darm und Leber. Und auch für Erkältungskrankheiten: „Übergießt man zwei Pflänzchen mit heißem Wasser und gibt etwas Honig dazu, hat man einen wirkungsvollen Erkältungstee.“

Obwohl beim Verzehr von Wildkräutern und -pflanzen die Gefahr gering ist, sich mit dem Fuchsbandwurm zu infizieren – gerade einmal 30 bis 40 Fälle kommen jedes Jahr in Deutschland vor –, rät Barbara Preisinger dazu, Pflanzen nur da einzusammeln, wo keine Hunde oder Füchse unterwegs sind. „Ich spüle die Kräuter zu Hause außerdem immer kurz unter kaltem Wasser ab“, sagt sie. „Wer unsicher ist, kocht die Pflanzen ab – dann ist der Fuchsbandwurm auf jeden Fall kein Thema mehr.“

Einlegen, einfrieren, trocknen

Wer die Kräuter nicht sofort verarbeiten möchte, kann sie in Öl einlegen, einfrieren oder trocknen. „So kann man sie im Winter als Tee verwenden“, sagt Barbara Preisinger. Wegen der Verwechslungsgefahr warnt sie jedoch davor, Pflanzen einzusammeln, die man nicht kennt oder bei denen man noch unsicher ist. Vor allem bei Doldengewächsen sei die Verwechslungsgefahr hoch.

„Wer mit Wildpflanzen kochen möchte, sollte sich erst einmal gut informieren“, sagt auch die Heilpraktikerin Annegret Müller-Bächtle aus Münsingen. „Man sollte die Pflanzen sicher erkennen – in jedem Zustand und zu jeder Jahreszeit.“ In dem Ratgeberbuch „Heilpflanzen der Schwäbischen Alb“ stellt sie zusammen mit den Autoren Bernd Pieper und Karsten Freund Wildkräuter der Region vor.

Eine Wildkräuter-Führung sowie eine eingehende Lektüre und ein Seminar hält Annegret Müller-Bächtle vor dem ersten Sammeln für unerlässlich. „Wo finde ich Pflanzen, welche Pflanzenteile kann ich verwenden, und wie kann ich sie anschließend verarbeiten – dieses Wissen ist nicht schnell erlernbar“, sagt sie. Und ein paar tödliche Pflanzen gebe es ja auch in Deutschland.

„Kräutersammeln wirkt beruhigend“

Für unkritisch – und auch für unerfahrene Sammler geeignet – hält Annegret Müller-Bächtle Pflanzen wie den Löwenzahn, die Brennnessel, Giersch und Gundermann. „Sie sind leicht erkennbar – und man kann auch viel mit ihnen machen“, sagt sie: Pesto, Salate, Smoothies, Kräuterquarks, Tee, Quiches und Aufläufe. Die wild wachsenden Kräuter enthalten viele Bitterstoffe, Gerbstoffe „und einen Haufen Vitamine“, sagt Annegret Müller-Bächtle. Giersch etwa enthalte mehr Vitamin C als die vergleichbare Menge an Zitronen oder Orangen. Dazu kommen die heilenden Kräfte der Pflanzen: „Bei Magen-Darm-Problemen kann man es mit einem Löwenzahntee versuchen“, so die Heilpraktikerin. „Und wer bei einem Husten Thymiantee mit Spitzwegerich-Blättern kombiniert, verstärkt dessen Wirkung.“

Für den Hausgebrauch empfiehlt sie, im Garten oder auf dem Balkon einige Pflanzen anzubauen: „Kräuter müssen mit den Schlappen erreichbar sein – sonst nutzt man sie nicht.“ Das allerdings sieht der Wildpflanzen-Experte Markus Strauß anders: „Das Wildkräutersammeln im Wald wirkt beruhigend und entschleunigend“, sagt er. „Studien in Japan haben bewiesen, dass die Botenstoffe der Bäume dafür sorgen, dass die hilfreichen Killerzellen unseres Immunsystems durch einen normalen Waldspaziergang um 40 Prozent ansteigen.“ Viele Menschen, sagt Markus Strauß, leben heutzutage dauerhaft im Stressmodus. Ein Spaziergang im Wald stelle da eine begrüßenswerte Auszeit dar.

Die Böden im Wald seien außerdem viel humusreicher als Ackerböden, sie enthalten auch mehr Mineralstoffe: „Wilde Pflanzen und -kräuter haben eine andere Qualität als die, die wir im Supermarkt kaufen.“ Deren Bitterstoffe etwa seien längst weggezüchtet worden. „Dabei helfen sie dem Körper bei der Entgiftung und bei der Fettverdauung“, sagt Markus Strauß. Das gehe zwar nicht auf Knopfdruck, fügt der Biologe hinzu,„aber wenn man Wildkräuter regelmäßig isst, wirken sie schon.“

Darauf sollten Sammler achten

Darauf sollten Sammler achten

Ausrüstung Schützende Handschuhe und eine Gartenschere oder ein kleines Messer helfen beim schonenden Ernten der Wildpflanzen und -kräuter. Für den Transport eignen sich Körbe oder große Stoffbeutel.

Sammelorte Wegen der hohen Schadstoffbelastung sollte man Wildpflanzen nicht an stark befahrenen Straßen oder landwirtschaftlich genutzten Flächen sammeln.

Erntezeit Die beste Erntezeit für wild wachsende wie für gezüchtete Kräuter ist am späten Vormittag: Dann sind die Kräuter nicht mehr taufeucht, aber schön saftig.

Naturschutz Viele Pflanzen dürfen nicht gepflückt werden. In Naturschutzgebieten ist das Pflücken generell tabu.