An der Heilbronner Straße in Feuerbach hätte die neue Mercedes-Niederlassung entstehen sollen. Stattdessen findet sich dort ein geschotterter Parkplatz. Es ist nicht der einzige. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Streit um die Platznot im Stammwerk in Untertürkheim spitzt sich auch politisch zu. Die SPD geht auf Konfrontationskurs zum Autobauer. Derweil dämmern mehrere Filetgrundstücke ungenutzt vor sich hin – selbst in nächster Nähe zum Werk.

Stuttgart - Die Platznot muss groß sein im Daimler-Werk Untertürkheim. So groß, dass die Konzernführung die Belegschaft mit einer harten Alternative konfrontierte: Entweder der Betriebsrat verzichtet auf die längst vereinbarte Ansiedlung einer Fertigung für Kurbelwellen in dem Werk, oder der Konzern streicht seine Pläne, Untertürkheim zu einem weltweiten Zentrum für Elektromobilität zu machen und dort Kompetenzzentren für Motor, Batterie und Antriebsstrang aufzubauen. Der Mangel an Flächen soll den Verbrennungsmotor aus dem Stammwerk verdrängen.

Doch wie knapp ist der Platz wirklich? So mancher Beobachter reibt sich verwundert die Augen. Denn Daimler erlaubt sich den Luxus, bereits seit Jahren zwei große Flächen in der Stadt, die man für viel Geld gekauft hat, vor sich hindämmern zu lassen. Die eine liegt sogar in unmittelbarer Nähe zum Stammwerk im Neckarpark. Direkt neben dem Mercedes-Benz-Museum gehören dem Unternehmen 55 000 Quadratmeter, die man 2008 für knapp 16 Millionen Euro von der Stadt übernommen hat.

Ursprünglich lautete der Plan, dort die Mercedes-Welt aus Museum und Niederlassung zu erweitern. Das bisher in Fellbach ansässige Classic-Center mit der umfangreichen Fahrzeug- und Oldtimersammlung sollte dort nebst einem Forschungszentrum und Ausstellungsflächen für die Kunstsammlung des Unternehmens angesiedelt werden. Ein bombastischer Markenauftritt, der trotz eines Architektenwettbewerbs allerdings längst vom Tisch ist. Erst hieß es, die Planung sei zurückgestellt. Jetzt sagt ein Sprecher: „Der ursprünglich angedachte Umzug von Mercedes-Benz Classic von Fellbach neben das Museum wird aktuell nicht weiter verfolgt. Die Standorte in Fellbach bleiben weiterhin bestehen.“

Parkplätze statt Produktion

Derzeit wird gut die Hälfte der Fläche als Parkplatz für bis zu 1000 Fahrzeuge genutzt. Vor kurzem kam das Unternehmen mit einer Bitte auf die Stadt zu. Man möge die Genehmigung zur Parkplatznutzung, die Ende 2021 ausläuft, verlängern. Während das bei einigen Fraktionen im Gemeinderat auf Verständnis stieß, kritisierten andere das Verhalten des Unternehmens und warfen die Frage auf, warum man im Stammwerk nebenan wegen Platzmangels Arbeitsplätze abbauen wolle, während man einige Meter weiter ein Filetgrundstück versauern lasse.

Die SPD hat dazu jetzt einen Antrag gestellt. Die Stadt habe Daimler die Flächen zur Sicherung der Forschungs- und Produktionskapazitäten an diesem Standort überlassen, heißt es darin. „Dass diese Flächen jetzt nicht für die faire Transformation, sondern richtig lange für 1000 Stellplätze genutzt werden sollen, war so nicht angedacht“, sagt Fraktionschef Martin Körner. Die Stadt solle dem Daimler-Wunsch deshalb nur nachkommen, wenn sich Management und Betriebsrat bis Sommer auf eine gute Lösung zum Erhalt vieler Arbeitsplätze einigen.

Doch das Gelände im Neckarpark ist nicht das einzige an prominenter Stelle in Stuttgart, das Daimler ungenutzt lässt. Im Zusammenhang mit der geplanten Neuordnung neben dem Museum hatte man vor neun Jahren auch das frühere Areal von Hahn und Kolb an der Heilbronner Straße gekauft. Direkt nebenan steht das 1999 eröffnete Mercedes-Forum. Das sollte abgerissen werden, die Niederlassung in diesem Zug vom Neckarpark an die Stuttgarter Automeile umziehen. In dem neuen Mobilitätszentrum sollten Verkauf und Service gebündelt werden, zudem war ein Parkhaus mit 1200 Plätzen geplant. Doch auch dort tut sich seit Jahren nichts. Derzeit ist die ehemalige Hahn und Kolb-Fläche geschottert. In der Mitte türmt sich ein Berg aus Sand.

Stadt fordert konkrete Pläne

Ob Daimler die wertvolle Fläche überhaupt noch nutzen will und wie, steht derzeit in den Sternen. Ein Sprecher sagt dazu das, was seit rund zwei Jahren dazu zu hören ist: „Um die optimale Betreuung unserer Kunden der Vertriebsdirektion Württemberg auch in Zukunft sicherzustellen, wurde im Rahmen regelmäßiger Überprüfungen auch das Konzept für die geplante Neuausrichtung neu bewertet. Ein neues Konzept wird derzeit erarbeitet.“ Und: Die Bauarbeiten am ehemaligen Hahn & Kolb-Gelände seien voraussichtlich gegen Ende des ersten Quartals 2021 abgeschlossen. Das bedeutet konkret: Auch dort will sich Daimler einen Parkplatz genehmigen lassen.

Bei der Stadt ist man alles andere als begeistert über die Brachen an prominenten Stellen – zumal es in Stuttgart immer wieder an Flächen für die Ansiedlung oder Vergrößerung von Firmen fehlt, die dann ins Umland abwandern. „Wir wissen derzeit nicht, wann die Projekte fortgeführt werden. Wir würden die Weiterentwicklung der Flächen begrüßen, weil sie an wichtigen Stellen in der Stadt liegen“, sagt ein Sprecher. Es habe ein Gespräch zur weiteren Entwicklung der Sportflächen im Neckarpark gegeben, bei dem Daimler als Nachbar eingebunden war. Immerhin liege der Teil der Flächen im Neckarpark, der nicht als Parkplatz genutzt wird, nicht brach, sondern sei in Form von Sportplätzen an die Stadt vermietet.

Es geht ums Geld

Dass in der Region im großen Stil Arbeitsplätze hin- und hergeschoben werden, ist bei Daimler nichts Neues. So entstehen derzeit in Stuttgart-Vaihingen und Leinfelden-Echterdingen große Bürogebäude, in denen etliche Tausend Jobs räumlich gebündelt werden. Und Ex-Konzernchef Dieter Zetsche verlagerte gleich nach seinem Amtsantritt vor 15 Jahren die Konzernzentrale von Möhringen nach Untertürkheim. Die Immobilie wird heute nur noch von wenigen Daimler-Mitarbeitern genutzt – und das Sagen hat dort längst ein neuer Investor.

Vieles spricht dafür, dass es bei dem Streit bei Daimler ohnehin nur vordergründig um Flächenknappheit geht. Denn Daimler denkt keineswegs daran, sich räumlich auszubreiten. „Daimler benötigt in der Region keine zusätzlichen Flächen“, sagte ein Konzernsprecher unserer Zeitung. Tatsächlich konfrontierte der Konzern den Betriebsrat mit einer Vielzahl von Einsparforderungen, was darauf hindeutet, dass es nicht nur um Grundstücke geht, sondern auch ums Geld. Statt nach Untertürkheim soll die Fertigung von Kurbelwellen nun ins polnische Jawor gehen, wo Daimler bereits ein neues Motorenwerk gebaut hat. Dort sind die Facharbeiterlöhne nach Angaben der IG Metall zwei Drittel niedriger als in Deutschland.