Die Weinlese ist in vollem Gange, der Reifezustand erstaunlich: Beim offiziellen Herbstauftakt wurden beim Lemberger in Fellbach stattliche 84 Öchsle gemessen. Foto: Frank Eppler

Die Wengerter in Württemberg müssen ihre Hoffnungen auf gut gefüllte Keller erneut begraben. Mehr als Durchschnitt ist bei der Lese mengenmäßig nicht zu erwarten – auch wenn die Qualitäten zu stimmen scheinen.

Früher als ursprünglich gedacht, starten die Wengerter in Württemberg in den Weinherbst 2023. Bereits in dieser Woche beginnt zumindest bei den früh reifenden Rebsorten die Traubenernte. Am Fellbacher Kappelberg wurden am Montag die ersten Reihen mit Dornfelder, Acolon und Schwarzriesling gelesen – gut zwei Wochen früher als geplant. Mit Müller-Thurgau und dem Grauburgunder für den Premiumbereich wird es am Tor zum Remstal in den nächsten Tagen weitergehen, bei Trollinger und Lemberger bleiben die Trauben noch etwas hängen.

„Die Weingärtner stehen jetzt in den Startlöchern. Der Reifegrad der Trauben zu diesem frühen Zeitpunkt lässt alle Optionen offen, um herausragende Weine in allen Qualitätsstufen zu produzieren“, berichtete Hermann Hohl, der Präsident des Weinbauverbands Württemberg, bei der punktgenau auf den Leseauftakt gelegten Herbstpressekonferenz am Montag. Hohl spricht von einem „vielversprechenden Jahrgang mit spritzigen und fruchtbetonten Weinen“, die aktuell eher kühleren Nachttemperaturen könnten im Zusammenspiel mit vitalen Blättern und einer guten Wasserversorgung gerade bei den roten Sorten noch eine intensive Aromabildung auslösen.

Beim Lemberger sind in Fellbach bereits 84 Öchslegrade erreicht

„Kühle Nächte und warme Tage – das ist das Wunschwetter der Wengerter bis zum Abschluss des Weinherbsts“, sagte Hohl mit Blick auf die meteorologischen Prognosen. Wie weit der Wein schon ist, testeten die Weinprinzessin Birthe Meseke aus Stuttgart und der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) vor Ort am Kappelberg mit einem Refraktometer. Das zur Messung des Zuckergehalts dienende Gerät zeigte bei einer Lemberger-Beere den Wert von 84 Öchslegraden an.

Das ist ein für Mitte September sehr beachtliches Ergebnis – auch wenn die untersuchte Beere gar nicht aus einem von den Fellbacher Weingärtnern bewirtschafteten Rebhang stammt. Wie Thomas Seibold, der Vorstandsvorsitzende der lokalen Genossenschaft verriet, fand der herbstliche Fototermin mit Weinhoheit und Minister am Montag wegen der Gunst der kurzen Wege in einem Lemberger-Stück des Kollegen Rainer Schnaitmann statt. Dass auch in einem Fremd-Weinberg geknipst werden durfte, ist vielleicht ein Beleg dafür, dass die Fellbacher Weinmacher beim fleißigen Rühren der Werbetrommel nicht nur ihr eigenes Süppchen kochen, sondern betriebsübergreifend längst an einem Strang ziehen.

Einen Wermutstropfen gibt es bei der Hoffnung auf einen qualitativ hochwertigen Jahrgang allerdings. Vor wenigen Wochen noch hatten sich die Wengerter in Württemberg berechtigte Hoffnungen gemacht, eine überdurchschnittliche Erntemenge in die Keller bringen zu können. Mittlerweile ist klar, dass die im August gemachte Schätzung zu hoch gegriffen war – und zwischen dem Albtrauf und dem Taubertal allenfalls mit knapp 100 Millionen Litern Wein gerechnet werden kann. Das wäre ein etwas kleinerer Jahrgang als vergangenes Jahr – ordentlich, aber nicht der erhoffte Befreiungsschlag.

Beim Handel klagt der Weinbau über einen ruinösen Preisdruck

Vor allem bei den vom Publikum stark gefragten Weißwein-Sorten hätten sich die Wengerter höhere Erträge und volle Keller gewünscht. Der Hintergrund liegt auf der Hand: Die massive Erhöhung der Betriebskosten durch steigende Preise für Sprit und Spritzmittel, aber auch durch die allgemeine Inflation, lässt sich allenfalls über die verkaufte Menge ausgleichen.

Eine deutliche Steigerung der Verkaufspreise jedenfalls hält Weinbau-Präsident Hermann Hohl nicht für realistisch. „Es ist ruinös und nicht mehr in Ordnung, was der Lebensmittelhandel mit uns treibt. Wir sind zu Sklaven geworden“, sagt der Erzeuger aus Obersulm, der einen Betrieb mit gut zwölf Hektar Rebfläche führt, über den Preisdruck in der Branche, mit ungewohnter Deutlichkeit. Mehr als jede zweite Flasche Wein, die in Deutschland über den Tresen geht, stammt nicht mehr aus heimischer Produktion. Mit den Herstellungskosten in Chile, Südafrika und Kalifornien können hiesige Betriebe preislich nicht mehr mithalten.

Minister: Wer heimischen Wein trinkt, erhält auch die Kulturlandschaft

Bei Peter Hauk stößt der Weinbau-Chef mit dieser Klage auf offene Ohren. Der im Südwesten auch für den Verbraucherschutz zuständige Minister appelliert an die Kundschaft, beim Griff ins Weinregal nicht nur mit dem Geldbeutel zu entscheiden. „Wein aus Baden und Württemberg kann es nicht zu Billigpreisen geben. Aber wer unsere besondere Kulturlandschaft erhalten will, muss beim Einkauf auch die heimischen Produkte erwerben“, sagt der Politiker. Jede Flasche Wein aus der Region sei auch ein Beitrag zur Förderung des typischen Landschaftsbilds.

Hinter den Wengertern im Südwesten liegt ein Jahr mit unterschiedlichen Herausforderungen. Nach dem wegen der kühlen Mainächte verzögerten Start ins Frühjahr gab es zwar ausreichend Wasser für Reben, aber auch erhöhten Handlungsdruck wegen der Pilzkrankheiten Peronospora und Mehltau. Von schweren Hagelereignissen oder Spätfrost blieben die Weinberge weitgehend verschont. Trotz längerer Trockenperioden traten auch Hitzeschäden nur punktuell auf.