Landespolitik auf der Bühne des Theaterhauses: Die Chefredakteure von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, Joachim Dorfs und Christoph Reisinger im Gespräch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Vize-Regierungschef Nils Schmid (von links). Foto: Leif Piechowski

Der grüne Ministerpräsident und sein roter Vize auf einer Bühne – das ist selten. Zur Halbzeit der Legislaturperiode suchen sie bewusst den gemeinsamen Auftritt – an vier Orten im Land. Gestern Abend traten sie im Stuttgarter Theaterhaus auf. Winfried Kretschmann und Nils Schmid versprechen, dass an den Schulen Ruhe einkehren wird.

Der grüne Ministerpräsident und sein roter Vize auf einer Bühne – das ist selten. Zur Halbzeit der Legislaturperiode suchen sie bewusst den gemeinsamen Auftritt – an vier Orten im Land. Gestern Abend traten sie im Stuttgarter Theaterhaus auf. Winfried Kretschmann und Nils Schmid versprechen, dass an den Schulen Ruhe einkehren wird.

Stuttgart - Im Theaterhaus steht an diesem Abend ein eigenwilliges Stück auf dem Programm: „Der Wandel beginnt“, ersonnen von der baden-württembergischen Landesregierung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und seinem Vize, Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD), in den Hauptrollen. Erfreulicherweise handelt es sich um kein reines Werbestück, sondern um eine Art politisches Improvisationstheater in Form eines Zweiakters, für das sich rund 350 Menschen interessieren. Im ersten Teil stellen die Chefredakteure von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung, Christoph Reisinger und Joachim Dorfs, die Fragen, im zweiten Teil – Stichwort Bürgernähe – darf das Publikum ran.

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Es geht um die Zwischenbilanz zur Halbzeit der Legislaturperiode, von der Kretschmann und Schmid meinen, sie könne sich sehen lassen. Anders als auf den jüngsten Parteitagen von Grünen und SPD, bietet die Veranstaltung im Theaterhaus allerdings kaum Gelegenheit für Selbstlob. Dazu gibt die jüngste Meinungsumfrage auch wenig Anlass. Erstmals seit der Landtagswahl 2011 hat Grün-Rot keine Mehrheit mehr. „Woran liegt’s?“, will Reisinger wissen. Kretschmann spricht von einer „Delle“, Schmid von einem „Halbzeit-Blues“.

Ihre Beliebtheitswerte unterscheiden sich dabei erheblich: hohe Zufriedenheit mit Kretschmann (65 Prozent), fast schon Unzufriedenheit mit Schmid (34 Prozent). „Heißt das, Herr Kretschmann kann so weitermachen und Herr Schmid muss vieles anders machen?“, fragt Dorfs. Schmid reagiert gelassen. Als Finanzminister müsse man unpopuläre Entscheidungen treffen. Da mache man sich nun mal nicht beliebt: „Politik ist kein Schönheitswettbewerb.“

Kretschmann schweigt an dieser Stelle. Erkennbar ist das Bemühen, ein Bild des Einvernehmens abzugeben. Fast wortgleich erklären sie das Wiedererstarken der Südwest-CDU. Was ist der Grund? „Angela Merkel“, sagt Kretschmann trocken. Schmid sekundiert: „Peter Hauk (CDU-Fraktionschef) und Thomas Strobl (CDU-Landeschef) haben die Kleider von Frau Merkel an.“ Lachen im Publikum. Der Abend beginnt unterhaltsam. Übrigens nur am Rande auf Kosten der Opposition.

Duo räumt Probleme bei Bildungspolitik ein

Die Chefredakteure richten den Fokus auf die grün-rote Schwächen – etwa in der Bildungspolitik. Kretschmann und Schmid räumen Probleme ein. Schauspielern zwecklos. Die Unruhe an den Schulen belaste die SPD, sagt Schmid. Deren Wähler reagierten beim Thema Bildung besonders sensibel. Der „Weg der Ruhe“, zu dem ihm Altkanzler Gerhard Schröder geraten habe, sei Grün-Rot aber verbaut gewesen. Der starke Schülerrückgang und das „extrem ungerechte Schulsystem“ hätten es notwendig gemacht, die Schulpolitik gleich zu Beginn der Legislaturperiode „durchzuschütteln“. Jetzt, nach der Abschaffung der Grundschulempfehlung und der Starthilfe für die Gemeinschaftsschule, müsse Ruhe an den Schulen einkehren. Dem dient wohl auch das Abrücken vom ursprünglichen Ziel, bis in sieben Jahren 11 600 Lehrerstellen abzubauen. Schmid nennt die Zahl jetzt eine „Rechnungsgröße“. Sie werde von Haushalt zu Haushalt überprüft.

Ruhe an den Schulen – darauf baut auch Kretschmann. „Wir gehen keine weiteren Strukturreformen an“, sagt er: „Wir hören jetzt damit auf.“ Zugleich wehrt er sich gegen Kritik von Verbänden – aktuell gegen die des Berufsschullehrerverbandes. Sie lässt ihn ratlos zurück. Schließlich habe man an den Berufsschulen den Unterrichtsausfall halbiert. Für Kretschmann drückt sich darin eine Grundhaltung des großen Lamentos aus: „Bei uns ist immer gleich Weltuntergang.“

Dieses Phänomen beobachtet er auch in der Diskussion um die Musikhochschulen. Obwohl noch nichts beschlossen sei, „steigt die Fieberkurve sofort über 42 Grad.“ Oder in der Diskussion um den Nationalpark. Kretschmann ist darüber „besorgt“. Als langjähriger Gegner von Stuttgart 21 weiß er um die Größe des Empörungspotentials. Seine „Politik des Gehörtwerdens“ stellt er deshalb jedoch nicht infrage. „Ist sie nicht ein programmiertes Dilemma, ein Tor zur Mitentscheidung, das wie beim Nationalpark nicht aufgeht?“, erkundigt sich Reisinger. Auch Kretschmann sieht Schwierigkeiten. Die Rahmenbedingungen für Bürgerbeteiligung müssten klarer gemacht werden. Sonst entstehe Frust. Grundsätzlich sei diese Politik aber erfolgreich: „Ich würde es wieder so machen.“

Schmid, sein Juniorpartner, legt an diesem Abend einen soliden Auftritt hin. Er verteidigt die „Haushaltspolitik der kleinen Schritte“, benennt das strukturelle Defizit und sagt unverblümt: „Es ist völlig illusorisch, 2020 die Schuldenbremse einhalten zu wollen, ohne Steuern zu erhöhen.“ Er wird für seine Verhältnisse sogar emotional: „Jammernde Interessensverbände“ hat er nach seinen Worten „satt“.

„Ich bin kein Faulenzer, Ich arbeite schon richtig“

Gleichwohl ist es doch wieder Kretschmann, der auf den Brettern des Theaterhauses in der Rolle des Charakterkopf die meiste Aufmerksamkeit bindet. Die Aufforderung eines Bürgers, doch bitte als Gesprächspartner für ein bestimmtes Thema zur Verfügung zu stehen, bringt ihn auf die Palme. „Ein Ministerpräsident kann nicht mit allen reden, die das wollen“, donnert er. Das gebe sein knappes Zeitbudget nicht her: „Ich bin kein Faulenzer, Ich arbeite schon richtig.“

Und als eine Naturschützerin den Artenschutz gegen die Windkraft ins Feld führt, kommt es zu einer für Kretschmann typischen Eruption. Er sei Grüner aus Liebe zur Natur, beginnt er zunächst ruhig. 1000 Windräder beanspruchten jedoch höchstens 1000 Hektar Land. Das habe keinen Einfluss auf den Artenschutz. Dann wird er lauter: Manche Naturschützer hofften, das irgendein Tier da ist, um ein Großprojekt zu verhindern: „Ihr letzter Rettungsanker ist immer eine Gelbbauchunke. Das ist nicht die richtige Haltung zu den Dingen.“

Es folgt das Finale furioso. Die Regierung, presst Kretschmann hervor, stelle die Windräder ja nicht in Froschteiche oder auf Orchideenweisen. „Sie müssten mal drauf achten, wie viele Insekten auf Ihrer Windschutzscheibe landen!“ Ende der Ansage. Das ist echt und nicht gespielt. Und irgendwie kommt es an.