Selenskyj und Scholz bei der Pressekonferenz im Kanzleramt Foto: dpa/Kay Nietfeld

Während die Lage der Ukraine auf den Schlachtfeld heikel ist, verspricht Kanzler Scholz langfristig Unterstützung. Doch über all dem schwebt die Frage: Reicht das?

Das Treffen im Kanzleramt ist scharf gesichert. Polizisten haben mit rot-weißen Gittern das Regierungsviertel weiträumig abgesperrt, insgesamt 1700 Männer und Frauen sind im Einsatz. Scharfschützen haben sich auf den Dächern positioniert, Taucher sichern die Spree. Im Tiefflug kreisen Hubschrauber über der Mitte Berlins. Sicherheitsstufe 1, mehr geht nicht.

Zu Besuch ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Scholz gibt sich alle Mühe, ein guter Gastgeber zu sein, und setzt auf Zuversicht und Entschlossenheit. „Wir schicken eine glasklare Botschaft: Wir werden in unserer Unterstützung nicht nachlassen, wir stehen fest an der Seite der Ukraine“, sagt Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitagmittag bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Und dass er das auch so meint, zeigt Scholz auch: Kurz vor dem Presseauftritt haben die beiden einen Sicherheitspakt unterzeichnet, den Scholz „historisch“ nennt.

Das ist auch nötig. Die Zeiten in der Ukraine sind schwierig – schon lange und wohl auch noch länger. Die ukrainischen Soldaten sind ausgelaugt und haben nicht mehr genug Munition, um sich gegen die angreifenden russischen Truppen zu verteidigen. Die umkämpfte Stadt Awdijiwka droht nach monatelangem Kampf von Russen erobert zu werden. Und auch die langfristigen Aussichten sind nicht gut: Die Hilfe aus den USA stockt. Und dann ist noch die Wahl im Herbst. Wenn Trump gewinnt, könnte das die Niederlage der Ukraine besiegeln, fürchten manche. Und so sucht Selenskyj den Kontakt zu seinen engsten Verbündeten in Europa.

Ziel der nun unterzeichneten Sicherheitsvereinbarung ist, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine langfristig zu stärken. Außerdem sollen die ukrainische Wirtschaft und Gesellschaft widerstandsfähig gemacht werden. So heißt es in dem Dokument: „Deutschland ist unerschütterlich in seiner Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb der Grenzen, die seit 1991 international anerkannt sind.“

Vereinbarungen sind nicht rechtlich bindend

Rechtsverbindlich ist die Vereinbarung freilich nicht, aber eine „starke politische Absichtserklärung“, heißt es dazu aus Regierungskreisen. Bisher existierte ein solches Abkommen der Ukraine nur mit Großbritannien, Deutschland ist das zweite Land. Weitere sollen folgen. Zudem kündigte die Bundesregierung ein weiteres militärisches Unterstützungspaket an. Das Sicherheitsabkommen ist beachtlich, wenn man sich vor Augen führt, welche Entwicklung das deutsch-ukrainische Verhältnis in den vergangenen Jahren genommen hat. Noch unter der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte man aus Kiew sehr skeptisch auf Deutschland geblickt, insbesondere weil Deutschland trotz massiver Kritik das deutsch-russische Pipelineprojekt Nordstream 2 vorantrieb.

Nach Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 war die Regierung von Kanzler Scholz zunächst zögerlich, was Waffenlieferungen angeht. Es folgten viele Debatten, doch schlussendlich lieferte die Bundeswehr selbst Kampfpanzer. Auch wenn über Marschflugkörper weiter gestritten wird, ist Deutschland inzwischen der wichtigste Unterstützer in Europa. Die Waffenhilfe hat einen Wert von 28 Milliarden Euro erreicht. Scholz tadelte in den vergangenen Wochen sogar Länder wie Frankreich, sie mögen doch mehr liefern.

Selenskyjs Besuch wird von der Nachricht überschattet, dass der russische Oppositionelle Alexej Nawalny in russischer Haft gestorben ist. Selenskyj sagte: „Es ist für mich offensichtlich: Er wurde getötet.“ Putin müsse dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Am Nachmittag fährt Selenskyj dann am Schloss Bellevue vor. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt ihn, es folgt ein Gespräch unter vier Augen. Danach reist Selenskyj weiter nach Paris. Am Samstag kehrt er nach Deutschland zurück, um bei der Münchener Sicherheitskonferenz zu sprechen. Dann wird er auch Scholz wiedertreffen. Der bekräftigte erneut, dass die Ukraine sich auf Deutschland verlassen könnte. Kurz vor Beginn des dritten Kriegsjahres die große Frage, die über allem schwebt: Reicht das?