Deutschland und der Spargel – das ist eine nie endende Liebesgeschichte. Aber übertreiben wir es mit der Leidenschaft? Ein Pro und Kontra.
Alle Jahre wieder wird die Spargelsaison ausgerufen und Deutschland wird ganz hibbelig vor Freude. Der Spargel ist kurz davor, in Deutschland als eigene Jahreszeit gelten. Manche essen dann wochenlang nichts anderes, während andere sich über die fast kultische Verehrung des Saisongemüses wundern.
Vor Freude in die Luft springen oder „Nee, lass mal stecken“? Auch in unserer Redaktion sind wir uns da nicht sicher. Ein Pro und Kontra – und guten Appetit, trotzdem.
Pro: Spargel ist so wandelbar
Wenn die ersten Spargelstände an Landstraßen, Kreisverkehren und auf Parkplätzen Stellung beziehen, werden die Deutschen nervös. Zu Recht, denn Spargel ist der König des Frühjahrsgemüses.
Doch wer bei Spargel nur an Salzkartoffeln und Schinken denkt und das edle Stangengemüse in Sauce Hollandaise ertränken möchte, hat den Sprung in die Küche des 21. Jahrhunderts verpasst.
Angesagt sind stattdessen abwechslungsreiche Spargelvariationen, die sowohl schmecken, sättigen und zugleich vitamin- und nährstoffreich sind. Das ist kein Hexenwerk, denn Spargel ist so wandelbar in derZubereitung wie die Zucchini oder Paprika.
Mit neuen Variationen sind allerdings keine in Pankomehl frittierten Spargel-Spitzen auf kalt aufgeschäumten Spargel-Süppchen gemeint, wie sie Profiköche in Kochmagazinen und Fernsehshows zubereiten.
Wie wäre es stattdessen mit einem Spargel-Risotto, garniert mit Kirschtomaten und Feta? Oder einer unkomplizierten Spargel-Kartoffel-Ei-Frittata aus dem Ofen? Oder mit Spaghetti und saisonalem Bärlauch-Pesto?
Auch auf dem Grill ist der feine grüne Spargel ein überzeugender Überraschungsgast – der selbstverständlich aus regionalem Anbau beim Landwirt nebenan stammt.
Wer Neues in der Küche wagt, regt übrigens Sinnes- und Nervenzellen an. Ein ungewohntes Geschmacksgefühl im Mund, die Kombination mit neuen Sättigungsbeilagen und die Flucht des Spargels aus dem angestaubten Spargelkochtopf werden dem Gemüse gerecht.
In Gesellschaft schmecken die Stangen erfahrungsgemäß noch eine Prise besser. Statt Cocktailparty Spargelparty – das ist der Trend der verbleibenden Spargelwochen.
Eins noch: Wer gegen Spargel mit unangemessenen Arbeitsbedingungen und Wasserverbrauch argumentiert, der sollte zunächst seinen weiteren Kühlschrankinhalt auf Umwelt- und Arbeitsverträglichkeit überprüfen. (Susan Jörges)
Lesen Sie aus unserem Angebot: Angeberwissen über Spargel
Kontra: Nee, lass mal stecken!
Ah, super. Endlich wieder Spargelsaison – das jährliche „Angrillen“ für die wahren Gourmets. Eine längst unverzichtbare Tradition kultischen Ausmaßes, gehegt, gepflegt und wie immer ein echtes Abenteuer.
Denn wie jedes Jahr erfährt man lediglich vom Start der Saison, weil die Experten sie bereits im Vorfeld in Gefahr wähnen. Mal ist es eine Pandemie, mal ein Krieg oder weil die zuständigen Saisonarbeiter gerne krankenversichert wären – dann heißt’s: „Spargelsaison in Gefahr“ oder noch schlimmer „Experten warnen: Wird Spargel teurer?“. Wo Spargel ist, scheint der Ärger selten weit. Ständig gibt’s Drama, irgendwas ist immer.
Spargel ist von derart fragiler Struktur, dass es mittlerweile an Barbarei grenzt, dieses Befindlichkeitsgemüse auch noch aufzuessen. Wenn, dann hat Spargel unser Mitleid verdient. Klar, der Spargel selbst ist nicht schuld daran, eher die Leute, die ihn für geringschätzige Bezahlung aus dem Boden holen sollen.
Wollen oder können die gerade nicht, dann ist sofort Gefahr im Verzug. Weil: So lieb wir den Spargel haben – ihn selbst aus dem Boden grubeln? Nee, lass mal stecken.
Kartoffeln sind da viel robuster, die lassen sich von nichts und niemanden aus der Ruhe bringen. Und: Mit etwas Salz und vier Litern Sauce Hollandaise schmecken sie ebenfalls ziemlich super, weil eben fast alles mit Sauce Hollandaise toll schmeckt.
Spargel, das wird immer deutlicher, scheint eh eine Erfindung der umtriebigen Sauce-Hollandaise-Lobby. Wie perfide die seit Jahrzehnten agiert, ist ebenfalls bekannt: Einige gottlose Pizzabäcker bieten das Zeug mittlerweile sogar als Zutat an. Und Spargel.
Regelmäßig merken Freizeit-Gourmets an, die Zubereitung mit Sauce Hollandaise sei das Musical unter den Opern – also, wahnsinnig unterkomplex oder wahlweise sogar ein Affront. Stimmt schon: Man weiß schließlich, wie gefühlig der Spargel ist. Dieses Problemgemüse. Spargel macht alles unnötig kompliziert. Auch, äh, im Nachgang. (Michael Setzer)