Die Sprecherin der Grünen Jugend, Aya Krkoutli, sprach von „Schock, Entsetzen und Fassungslosigkeit“ über den europäischen Asylkompromiss. Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Der Länderrat der Grünen hat Beruhigung in die Debatte um den EU-Asylkompromiss gebracht. Beim Landesparteitag ist dennoch zu spüren: es schwelt.

Die Diskussionen sind noch zu frisch, als dass sie nicht Thema bei der Landesdelegiertenkonferenz in Kehl sein könnten. Gerade zwei Wochen ist es her, dass beim Länderrat der Grünen leidenschaftlich über den Asylkompromiss der EU gestritten wurde. Die Co-Landesvorsitzende der Grünen, Lena Schwelling, machte am Samstag keinen Hehl daraus, wie schmerzhaft der Kompromiss für die Partei ist: „Die europäische Asylpolitik braucht dringend maßgebliche Verbesserungen, doch für die gibt es keine Mehrheiten. In der Konsequenz müssen auch wir Grünen Entscheidungen mittragen, die wir so selbst niemals treffen würden.“

Die EU-Innenminister hatten im Juni mit deutscher Zustimmung – und damit auch mit Genehmigung von Spitzen-Grünen – Pläne für eine weitreichende Asylreform und zahlreiche Verschärfungen beschlossen. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Aya Krkoutli, die selbst als Zwölfjährige mit ihrer Familie aus Syrien geflüchtet ist, sprach von „Schock, Entsetzen und Fassungslosigkeit“ angesichts des Asylkompromisses. „Flucht ist doch keine Abenteuerreise“, sagte sie und warnte, „Abschottung führt einzig und allein zu Kriminalisierung von Flucht.“ Krkoutli erntete damit ähnlich viel Applaus wie zuvor Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der erneut für eine gemeinsame Lösung geworben hatte. „Wir müssen in dieser Phase immer wieder durch Kompromisse überbrücken, was auseinandergeht. Es wird nicht anders gehen“, sagte Kretschmann.

Landesvorstand glättet Wogen

Hinter den Grünen liegen bereits Wochen der Auseinandersetzung über den Asylkompromiss. Der Landesvorstand hatte es geschafft, vor der Landesdelegiertenkonferenz die Wogen etwas zu glätten, in dem er seinen eigenen Leitantrag wenige Tage vor dem Parteitag dem Beschluss des Länderrats anpasste. Ein Änderungsantrag, der ähnliche Zustände in den Lagern an den Außengrenzen beklagte und damit anmutete wie eine Replik auf den Ministerpräsidenten, wurde abgelehnt. Kretschmann hatte sich viel Schelte aus den eigenen Reihen eingefangen, als er vorvergangene Woche bei einer Talkshow über die Lager an den Außengrenzen sagte: „Die Leute können ja zurück. Das ist doch keine Haft.“

Nun sprechen sich die Landesgrünen dafür aus, sich im Trilog zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission für Verbesserungen einzusetzen. „Familien und Kinder gehören nicht in die Grenzverfahren“, sagte der Co-Landesvorsitzende Pascal Haggenmüller. Es brauche einen europäischen Verteilmechanismus. In dem Leitantrag geht es neben den Asylverfahren um eine engere Zusammenarbeit innerhalb der EU und mehr Klimaschutz. Das Thema also, mit dem die Grünen 2019 bei der Europawahl gepunktet hatten. Bei dem Landesparteitag vergaben die Landesgrünen sogenannte Voten für die Europaliste, die ihre Zustimmung zu Kandidaten signalisieren. Unterstützt werden sollen unter anderem die Europaabgeordneten Anna Deparnay-Grunenberg und Michael Bloss. Die endgültige Liste für die Europawahl wird beim Bundesparteitag im November bestimmt. Im Gegensatz zur FDP haben die Grünen in Umfragen zuletzt sogar etwas besser abgeschnitten als zur Bundestagswahl. Die Lage ist dennoch eine andere als 2019.

Der 9. Juni 2024, an dem voraussichtlich nicht nur die Europawahl, sondern auch die Kommunalwahl in Baden-Württemberg stattfinden wird, dürfte ein entscheidender Indikator für die Stimmung im Land sein – und mit entscheiden, wen die Grünen dann 2024 zum Spitzenkandidaten und potenziellen Nachfolger von Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann küren.

Abstimmung vor der Europawahl

Voten
Die Landesverbände sprechen für die Kandidatenliste lediglich sogenannte Voten als Unterstützungsbekundungen für die Bewerberinnen und Bewerber aus ihrem jeweiligen Bundesland aus. Der Landesvorstand unterstützt die Votenträger bei ihrer Bewerbung politisch und ideell.

Europaliste
Beim Bundesparteitag Ende November in Karlsruhe wird dann die bundesweite Europaliste aufgestellt. Die Voten sollen den Delegierten bei der Wahl der Liste für die Europawahl Orientierung geben. Die Delegierten sind in ihrem Wahlverhalten jedoch ungebunden. Neben den Voten spielen deshalb auch weitere Kriterien, wie etwa die politischen Schwerpunkte oder die Bewerbungsrede vor Ort, eine Rolle.