Annalena Baerbock und Robert Habeck gelang es, die Partei zu einen – doch jetzt wackelt der Zusammenhalt. Foto: dpa/Sophie Brössler

Deutschland hat der geplanten Asylreform der EU zugestimmt – und damit die Grünen vor eine Zerreißprobe gestellt. Warum der Zusammenhalt der Partei jetzt so gefährdet ist wie schon lange nicht mehr.

Natürlich war es ein kleines Wunder, was im Januar 2018 passierte. Das kann man im Nachhinein mal schnell vergessen. Zwei Realos wurden damals zu den Parteivorsitzenden gewählt: Annalena Baerbock und Robert Habeck. Es war der Augenblick, in dem die Grünen ihre parteiinternen Flügelkämpfe hinter sich ließen. Ein Schlüsselmoment für den Erfolg der folgenden Jahre. Doch dieser Zusammenhalt ist gerade heftig herausgefordert.

Es ist eine Entscheidung aus Luxemburg, die die Partei jetzt spaltet. Dort haben sich die EU-Innenministerinnen und -Innenminister am Donnerstag darauf geeinigt, die gemeinsame Asylpolitik deutlich zu verschärfen. Die geplante Reform bricht mit vielen Grundsätzen, für die die Partei seit Jahren einsteht. Die Grünen sind schon lange mehr als die Partei der Antiatomkraftbewegung. Sie sind auch zur Partei der humanitären Flüchtlingspolitik geworden. Viele Parteimitglieder traten nach 2015 ein, für sie gehört die Asylfrage zur DNA der Grünen. Dass ihre Partei dem jetzt zugestimmt hat, erleben viele von ihnen als erschütternd.

„Ein schwarzer Tag in der Geschichte der Europäischen Union“

„Diese Reform ist ein historischer Bruch mit historischen Werten“, sagt zum Beispiel Julian Pahlke im Gespräch mit dieser Zeitung. Pahlke war selbst mal Seenotretter, jetzt macht er Asylpolitik für die Grünen im Bundestag. „Die deutsche Bundesregierung hätte niemals diesem schmutzigen Deal einschlagen dürfen.“ Ähnlich sieht es Lamya Kaddor, die innenpolitische Sprecherin der Grünen. Der Donnerstag sei „ein schwarzer Tag in der Geschichte der Europäischen Union“, so Kaddor. Sie kündigte an, hart nachverhandeln zu wollen: „Das Grundrecht auf Asyl als deutsche besonders grüne DNA ist mehr denn je zu verteidigen.“

Doch wirklich etwas tun können die Bundestagsabgeordneten nicht – denn die Entscheidung über die Reform findet auf EU-Ebene statt. Deshalb war es die Bundesregierung, die ihre Zustimmung am Donnerstag geben musste. Dazu gehört auch die Spitze der Grünen: die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour, die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann sowie Annalena Baerbock und Robert Habeck. Und die Spitze stimmte zwar zu – aber einigen konnte sie sich offenbar nicht. Nouripour, Haßelmann, Baerbock und Habeck stimmten für die Reform, Lang und Dröge dagegen. Vier gegen zwei. Realos gegen Linke. Flügel gegen Flügel.

Ein offener Konflikt

Seitdem die Grünen in der Bundesregierung sind, ist es das erste Mal, dass ihre Uneinigkeit so sichtbar wird. Lang und Nouripour veröffentlichten auf Twitter lange Threads, in denen sie ihre Entscheidungen begründeten. Lang erklärte, weshalb sie die Zustimmung zur Reform falsch fand, Nouripour begründete seine Zustimmung. Ähnlich machten es Dröge und Haßelmann. Ein offener Konflikt.

Besonders enttäuscht sind viele Parteilinke von Annalena Baerbock, die als Außenministerin an den Verhandlungen um die Reform beteiligt war. Noch am Donnerstagabend schickte Baerbock einen fünfseitigen Brief an die Fraktionsmitglieder. Die Entscheidung sei ihr persönlich sehr schwergefallen, schreibt Baerbock, sie halte sie dennoch für richtig: „Für viele Geflüchtete wird sich der Status Quo verbessern, auch wenn nicht alle Anliegen, für die wir uns stark gemacht hatten, in der Einigung abgebildet sind.“

Nicht genug durchgesetzt

Dass die Parteispitze vor einem Dilemma stand, weiß man auch in der Fraktion. Doch von einigen ist zu hören, dass sie enttäuscht von ihrer Außenministerin sind – auch wenn sie die eigentliche Verantwortung bei Nancy Faeser (SPD) sehen, die als Bundesinnenministerin bei den Verhandlungen federführend war. Sie hatten aber gehofft, dass Baerbock sich stärker durchsetzen könnte. Nun aber hat es kaum eine der Grünen Forderungen in die Reform geschafft.

Die Asylreform fällt in eine ganze Reihe von Kompromissen, die der Parteilinken zu schaffen gemacht hat. Da war ja schon die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, auch mit dem Ergebnis des Koalitionsausschusses waren viele nicht zufrieden. Bislang haben sie es dennoch geschluckt. Doch die Entscheidung über die Asylreform könnte die fast vergessenen Gräben in der Partei wieder aufleben lassen. Sie bräuchten wohl dringend mal wieder ein kleines Wunder.