Ein Artillerist der 10. Gebirgsjägerbrigade feuert bei Bachmut eine D-30-Haubitze ab. Foto: Libkos/AP/dpa-Bildfunk

Trotz ihrer Erfolge an mehreren Frontabschnitten vertreibt die ukrainische Gegenoffensive in diesem Jahr nicht die russischen Besatzer. Auch, weil ihr aus Deutschland Marschflugkörper versagt wurden, kommentiert Franz Feyder.

Der Blick aus dem Weltall zeigt es seit Wochen: Rund um das zerstörte südostukrainische Dörfchen Robotyne qualmt es. Viele der weißen Rauchfahnen lassen sich auf den Plattformen Tiktok, X (dem früheren Twitter) und Telegram Ereignissen am Boden zuordnen: brennenden russischen Panzern oder Schützengräben. An der ganzen 800 Kilometer lange Front sieht das so aus; von Topoli nahe der Metropole Charkiw im Osten des Landes über Bachmut und Robotyne bis im Süden nach Cherson an der Mündung des Dnjeprs.

Mindestens 2015 Kampf-, 3698 Schützenpanzer und 999 Artilleriesysteme hat die russische Armee seit dem Beginn ihres aktuellen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 bis Ende dieses Oktobers verloren – das ergaben die Zählungen unabhängiger Journalisten.

Die ansteigenden Verluste bei Schützenpanzern, gepanzerten Transportern, Kanonen und Haubitzen in den vergangenen Monaten spiegeln eines: den erbitterten Kampf in über Hunderten von Kilometern verzweigten, tief gestaffelten Stellungssystemen und -tunneln, in denen sich die Russen verschanzen. Seit mehr als hundert Jahren, seit dem Ersten Weltkrieg gab es keinen derartigen Stellungskrieg. Der auch im Westen hoch geachtete ukrainische Generalstabschef, Walerij Saluschny, warnt vor einem jahrelangem, die Ukraine, – Europa und die Demokratie – zermürbendem Krieg.

Eine Zahl verdeutlicht die Ursache dafür wie kaum eine andere: 2761 russische Nachschub-Lkw wurden seit Februar 2022 zerstört. Nur! In den vergangenen drei Monaten wurden es immer weniger. Das zeigt: Die Ukraine stört den Nachschub über die russisch besetzte Krim nicht, geschweige denn, dass sie ihn stoppt. Dafür fehlen weitreichende Waffensysteme wie der deutsche Marschflugkörper Taurus. Vor allem weil der russische Nachschub ungestört rollt, brachen ukrainische Soldaten in diesem Sommer während ihres Gegenangriffs in die Front nur ein, durchbrachen sie aber nicht.

Bei Robotyne stabilisierten im Spätsommer die eilig aus Russland über die Krim herangekarrten 7. und 76. Garde-Luftlandedivisionen die Front; zudem zwei eilig herangeführte Mechanisierte Infanteriedivisionen – 30 000 Mann. An anderen Frontabschnitten sieht es ebenso aus. Trotzdem ist die Ukraine erfolgreich. Zur bitteren Wahrheit gehört, dass dies alleine im Oktober 22 240 russische Soldaten das Leben kostete – obwohl diese über absolute Feuerüberlegenheit verfügen; 18 314 russischen Artillerieschläge zu 3598 ukrainischen.

Fest steht: Es wird einen weiteren Kriegswinter in der Ukraine geben, in der der erste Schnee bereits fällt. Und neue russische Reservisten, die zusätzliche Schützengräben bauen und Bunker für die aus Nordkorea gelieferte Munition graben. Weiter rollt der russische Nachschub Tag und Nacht über die Krim. Die ukrainische Halbinsel, eigentlich die verwundbare Achillesferse des russischen Diktators Wladimir Putin, ist derzeit sein logistisches wie strategisches Bollwerk.

Zu den bitteren Wahrheiten gehört aber auch, dass das zögernde Deutschland wesentlich dazu beitrug, das Leid in der Ukraine zu verlängern. Jeder Tag, an dem Munition, Benzin und Essen über die Krim an die russische Soldateska geliefert werden, verlängert das Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer. Auch deshalb, weil die Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Ukraine Waffensysteme wie den Marschflugkörper Taurus vorenthält. Die aber braucht sie, um im eigenen Land den russischen Nachschub zu unterbrechen. In den warmen deutschen Stuben lässt sich ein weiterer Winter lang gut über Risiken und Grenzen der Hilfe debattieren, während die Ukraine für Europa blutet.