Ohne Digitaltechnik läuft in der Industrie nichts mehr Foto: dpa

Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) präsentiert sich als Wirtschaftspolitiker, der den digitalen Wandel mitgestaltet. Landtagspräsident Wolf, Anwärter auf die CDU-Spitzenkandidatur, fährt ihm dabei in die Parade – erstmals.

Stuttgart - Die Landesregierung will den digitalen Wandel so fördern und steuern, dass Baden-Württemberg seine wirtschaftliche Spitzenposition behält. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat dabei vor allem kleine und mittlere Firmen im Blick: Ihnen will er Zugang zu Kapital und Know-how verschaffen.

„Wir müssen die Digitalisierung und die mit ihr verbundene Herausforderung in die gesamte Breite unseres Mittelstands bringen“, sagte er am Mittwoch in einer Regierungserklärung. „Industrie 4.0“ nennt sich das Schlagwort, das auch Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) in den vergangenen Monaten schon mehrfach aufgegriffen hat.

Man versteht darunter eine Verschmelzung von analoger Technik und digitaler Steuerung, so dass zum Beispiel Maschinen miteinander kommunizieren oder Autos autonom fahren können. Weil dabei auch die Risiken beachtet werden müssten, sei es nun an der Zeit, die „Gesamtstrategie“ zu skizzieren, sagte Kretschmann.

Für entscheidend hält er, dass Firmen und Nutzer vor Spionage und Cyber-Kriminalität geschützt sind – wie, das soll zum Beispiel das Karlsruher Forschungszentrum Informatik mit zusätzlichen Landesmitteln erforschen. Es gehe aber auch um ordnungspolitische Fragen, deshalb werde er den neuen Digitalkommissar der EU, den früheren Ministerpräsidenten Günther Oettinger, nach Baden-Württemberg einladen, kündigte er an: „Alle Rufe, dieser hätte kein Schlüsselressort, halte ich für albern.“

Finanziell beteiligt sich das Land auch an einer sogenannten Forschungsfabrik, die in Karlsruhe „Technologievorsprünge“ erarbeiten soll. Auch den von Schmid bereits angekündigten Wagniskapitalfonds für innovative Gründer erwähnte der Regierungschef.

Damit der ländliche Raum nicht abgehängt wird, stellte er weitere schnelle Internetzugänge in Aussicht. Bisher hätten 70 Prozent aller Haushalte diese Möglichkeit. Kretschmann: „Damit liegen wir deutlich vor Bayern.“ Er kündigte an, die Mittel für den Ausbau im Haushalt zu verdreifachen.

Nicht zuletzt sieht der Grünen-Politiker ökologische Chancen in der digitalisierten Wirtschaft: „Intelligent wachsen, das ist das Ziel.“ Die Produktion in der Fabrik der Zukunft könne auch den Energie- und Rohstoffverbrauch reduzieren. Kretschmann appellierte an die Unternehmen, künftig stärker Dienstleistungen als Teil der digitalen Welt zu verstehen: „Wir denken traditionell von der Technik her, müssen nun aber verstärkt lernen, auch in Geschäftsmodellen zu denken.“

In den Augen der CDU-Fraktion blieb Kretschmann mit seiner Regierungserklärung allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zum Gegenschlag holte allerdings nicht Fraktionschef Peter Hauk, sondern der Anwärter für die CDU-Spitzenkandidatur, Guido Wolf, aus – was die Grünen irritierte. Dass ein amtierender Landtagspräsident sich als Oppositionsführer geriere, so Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann, sei außergewöhnlich.

Inhaltlich fuhr Wolf dem Regierungschef schneidig in die Parade und warf diesem Verzagtheit und mangelnde visionäre Kraft vor: „Es reicht halt hinten und vorn nicht aus.“ Baden-Württemberg benötige ein Gesamtkonzept, das vor allem ein weltweites Alleinstellungsmerkmal in Schlüsselbereichen der Wirtschaft entwickle. Wolf nannte dabei die Themen digitale Gesundheitswirtschaft und vernetzte Mobilität.

Weitere Vorschläge: Ein digitales „Kompetenzforschungszentrum“ soll die Kompetenzen im Land bündeln. Eine Verkehrs-App soll dem Pendler die Wahl des Transportmittels erleichtern. Ein „Big-Data-Zentrum“ soll den Umgang mit großen Datenmengen erforschen. Eine Stabsstelle im Wirtschaftsministerium soll den Mittelstand unterstützen. Eine „Denkfabrik“ soll über die Folgen der Digitalisierung forschen.

Wolfs Kritik mündete schließlich in den Vorschlag, Regierung und Opposition mögen doch an einer „großen gemeinschaftlichen Digitalisierungsoffensive“ arbeiten.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke missfiel an Kretschmanns Rede vor allem, dass das Land digitale Unternehmen fördern will. Das sei nicht Aufgabe der Politik, Schlüsselinnovationen müssten ohnehin nicht subventioniert werden. Auch habe Kretschmann sich zu wenig mit den Risiken der Digitalisierung befasst.

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel warnte Wolf davor, das Land schlechtzureden. Die Wirtschaft sei auch digital gut aufgestellt. Der Mittelstand benötige jedoch Unterstützung. Auch seine Grünen-Kollegin Edith Sitzmann wies die Kritik von Wolf zurück: „Vieles von dem, was Sie hier angemahnt haben, findet bereits statt.“ Minister Schmid warf der CDU vor, sie habe das Thema Digitalisierung „verschlafen“.