Für Systembauten wie hier in Bad Cannstatt gibt es nur noch sechs Flächen in der Stadt. Danach wird die Verwaltung Flüchtlinge in Turnhallen unterbringen müssen Foto: Lichtgut /Max Kovalenko

Ungenutzte Schulgebäude, Waldheime, Systembauten, Container: Die Stadt greift in ihrer Not, immer mehr Asyl- bewerber unterbringen zu müssen, auf jede Möglichkeit zurück. Ob das reicht, ist dennoch fraglich. In Zukunft bleiben wohl nur noch Sporthallen.

Stuttgart - Fast könnte man sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier. Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer jedenfalls spricht von einem Déjà-vu-Erlebnis, als sie am Mittwoch gemeinsam mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn und dem Ersten Bürgermeister Michael Föll im Rathaus zur Pressekonferenz Platz nimmt. Mittlerweile muss dieses Trio alle paar Wochen der Öffentlichkeit verkünden, wo die nächsten Flüchtlingsunterkünfte entstehen sollen. Denn der Druck nimmt zu: Bekam Stuttgart noch zu Jahresbeginn jeden Monat 207 Asylbewerber vom Land zugewiesen, sind es inzwischen 600. Tendenz: weiter steigend. Eine enorme Herausforderung für die dicht bebaute Stadt.

Die mittlerweile mit ihrem Latein fast am Ende ist. 4397 Flüchtlinge leben derzeit hier, bis Jahresende sollen es mindestens 6500 sein. Die Suche nach neuen Standorten für die Unterbringung stößt an Grenzen. Neun Areale hat die Stadt am Mittwoch verkündet. Auf sechs davon sollen Systembauten entstehen, drei werden mit Containern ausgestattet werden müssen. Die sind derzeit schneller zu bekommen und können später versetzt werden, wenn die Flächen anderweitig gebraucht werden. „Weitere Standorte für Systembauten haben wir danach nicht mehr in petto“, sagt Föll.

Kuhn betont: „Wir wollen den Stuttgarter Weg fortsetzen.“ Also weiterhin Flüchtlinge möglichst dezentral in kleinen Einheiten übers Stadtgebiet verteilen. Allerdings wird es künftig häufiger vier statt bisher drei Systembauten an einem Ort geben. „Wir arbeiten im Krisenmodus“, sagt Kuhn. „Wir können nichts daran ändern. Wir bekommen die Menschen zugewiesen und müssen sie so gut wie möglich unterbringen.“ Dabei drängt die Zeit. Der Gemeinderat soll am 29. Oktober über die vorgeschlagenen Standorte der sogenannten Tranche 5 mit 2148 Plätzen entscheiden – und die Baukosten, die allein für die Systembauten 33,35 Millionen Euro betragen. Die Pläne im Einzelnen:

Systembauten

An sechs Standorten will die Stadt im nächsten Jahr neue Systembauten errichten. Von der Entscheidung bis zum Einzug dauert es derzeit rund zehn Monate. In Birkach sollen auf einer Fläche neben der Grundschule an der Grüninger Straße zwei Gebäude mit 156 Plätzen entstehen. An der Krailenshaldenstraße in Feuerbach will die Stadt ein gewerbliches Grundstück kaufen, um dort vier Häuser mit 321 Plätzen zu bauen. Am Ehrlichweg im Fasanenhof soll das ehemalige Schulgelände ebenfalls vier Gebäude mit 321 Flüchtlingen aufnehmen. In Münster an der Burgholzstraße lagert derzeit auf einem ehemaligen Sportplatz Erdaushub vom Stadtbahnbau. Auch dort sollen 321 Menschen in vier Häuser ziehen. Drei Systembauten mit 243 Plätzen sind in Obertürkheim an der Hafenbahnstraße geplant. Der Parkplatz beherbergt derzeit den Zentralen Omnibusbahnhof, der Anfang nächsten Jahres zum Flughafen ziehen soll. Und in der Straße Am Klingenbach im Osten ist ein Gebäude vorgesehen, in dem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wohnen sollen.

Container

Bereits im Januar und Februar sollen Flüchtlinge in Container an drei weiteren Standorten ziehen. Besonders an einem davon erwartet Föll „intensive politische Diskussionen“. Er meint einen Sportplatz am Georgiiweg in Degerloch. Auf dem Gelände im Sportgebiet Waldau ist eine neue Ballsporthalle geplant. Deren Bau wird verschoben. Zwei bis drei Jahre sollen die Container mit 306 Asylbewerbern dort stehen. „Das ist immer noch besser, als eine bestehende Halle zu nutzen, wo Schulen und Vereine betroffen wären“, sagt der Erste Bürgermeister. 294 Menschen sollen in Container auf dem ehemaligen Messeparkplatz Rote Wand auf dem Killesberg ziehen. Die geplante Wohnbebauung dort soll 2017 beginnen. Der dritte Standort mit 108 Plätzen ist auf einer Wiese direkt am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Heumaden vorgesehen – befristet bis zum Beginn der geplanten Schulsanierung.

Zusätzliche Notunterkünfte

Trotz aller neuen Standorte reichen die Kapazitäten nicht aus. Denn die Stadt muss bereits kurzfristig Löcher stopfen. Bis Jahresende fehlen noch gut 1200 weitere Plätze. Deshalb werden in den nächsten Wochen alle derzeit leer stehenden Schulgebäude belegt. 240 Menschen sollen in die geschlossene Friedensschule im Westen ziehen, bis sie im Frühjahr als Ausweichquartier für die Sanierung der Schwabschule gebraucht wird. Die ehemalige Hedwig-Dohm-Schule, ebenfalls im Westen, wird mit 250 Flüchtlingen belegt. Aber nur bis Ende 2016, dann dient sie als Ausweichquartier für das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium. In Teile der Fasanenhofschule ziehen bis Spätsommer nächsten Jahres 80 Asylbewerber. Und in Provisorien der ehemaligen Freien Aktiven Schule in Sillenbuch sollen ebenfalls 80 Menschen unterkommen. Dazu will die Stadt über den Winter acht Waldheime mit 400 Flüchtlingen belegen – vier davon stehen so gut wie fest, werden aber noch nicht genannt. Auch die Baugesellschaft SWSG stellt Wohnungen.

Die Perspektive

Derzeit muss Stuttgart 6,24 Prozent der Flüchtlinge in Baden-Württemberg aufnehmen – aufgrund der Wirtschaftsstärke und Einwohnerzahl. OB Kuhn versucht beim Land, eine Einbeziehung der vorhandenen Fläche zu erreichen. Das würde die enge Stadt entlasten. Es zeichne sich allerdings keine schnelle Lösung ab. „Wir wollen keine Turnhallen nutzen, können das aber nicht mehr ausschließen“, sagt Föll. Und ein weiteres Problem zeichnet sich längst ab: Sind die Flüchtlinge anerkannt, brauchen sie Wohnungen – die es in Stuttgart kaum gibt. „Wir müssen schauen, dass die, die schon lange suchen, nicht in Konkurrenz zu denen geraten, die jetzt neu zu uns kommen“, sagt Kuhn. Dafür brauche es mehr Wohnungsbau. Und Isabel Fezer weiß: „Wir müssen die Leute auch integrieren – nicht zuletzt, damit der soziale Friede gewahrt bleibt.“