Gewerbe-Erwartungsland: Rund 600 Meter misst das künftige Fellbacher Gebiet in Ost-West-Richtung. Foto: Dirk Herrmann

Südlich der Siemensstraße in Fellbach-Schmiden wird ein Areal für die Bebauung vorbereitet. Guter Boden wird andernorts verwendet. Vorwiegend örtliche Firmen wollen sich hier niederlassen – und bekommen ökologische Auflagen.

Einerseits mahnt etwa der Verband Region Stuttgart die Kommunen, unbedingt weitere Gewerbegebiete auszuweisen, um den Wohlstand in Deutschland zu sichern. Andererseits warnen Naturschützer vor weiterem Flächenverbrauch.

Auch in Fellbach wird ein Areal für die Zukunft vorbereitet, bei dem es sich um das letzte noch verfügbare zusammenhängende Gewerbegebiet in der Stadt handelt. Mit einer Fläche von 13 Hektar sei es „keineswegs überbordend groß“, so eine Einschätzung. Wer sich allerdings dem Areal nähert, kann nur staunen über die Ausmaße: Einmal in der Mittagspause das Areal umrundet, benötigt man bei forciertem Tempo fast eine halbe Stunde.

Das verwundert kaum, wie eine von der Stadt Fellbach gelieferte Umrechnung veranschaulicht: 13 Hektar, das sind im Vergleich mit einem standardmäßigen Fußballfeld, also 7140 Quadratmeter, genau 16,8 Fußballfelder. Allerdings schränkt die Stadt ein, dass die tatsächlich bebaubare Fläche bei weniger als der Hälfte liege, nämlich bei acht Hektar, was wiederum umgerechnet rund 11,2 Fußballfelder wären.

In diesen Tagen ist das Gelände geprägt von großflächigen Erdabtragungen. „Bodenmanagement“ nennt sich diese Rettungsaktion für hochwertigen Ackerboden im Fachjargon. Dabei sind Bagger- und Lastwagenfahrer zu beobachten, wie sie den guten Boden bis in eine Tiefe von knapp 50 Zentimetern abtragen. Die für ihre ausgezeichnete Qualität bekannten Äcker werden zum sogenannten Hundsbuckel in Nähe des Oeffinger Hartwalds gekarrt, um die dortigen und mit weniger hohen Güteklasse gesegneten Felder aufzuwerten.

Erdarbeiten dauern noch an

Die Erdarbeiten werden voraussichtlich Mitte August beendet sein. „Durch das gute Wetter konnte das Bodenmanagement in großen Teilen sehr zügig erfolgen“, erläutert Fellbachs Rathaussprecherin Sabine Laartz. „Im jetzigen Teilstück sind allerdings Siebarbeiten notwendig, die etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.“ Während zu Beginn die gesamte abgetragene Erde in den Teilort Oeffingen transportiert wurde, wird jetzt auch abgetragener Oberboden bewusst vor Ort behalten. Diese Erde soll für Begrünungsmaßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen im Gebiet verwendet werden.

Bei der Stadt kalkuliert das Tiefbauamt momentan mit Bruttokosten von knapp 550 000 Euro für das Bodenmanagement. Dies auf einen Quadratmeterpreis umzurechnen sei schwierig, weil zwar der größte Teil der „bewegten Erde“ zur Aufbesserung der Böden in Oeffingen genutzt wird, aber auch im Gewerbegebiet selbst Maßnahmen erfolgten. Verschmutzte Bodenanteile werden aufwendig gereinigt, um vor Ort für Grün- und Freiflächen genutzt zu werden. Dazu werden Lärmschutzwälle und Ausgleichsflächen mit der Erde gestaltet.

Kritik an „ungebremstem Landverbrauch in Baden-Württemberg“

Die Bodensicherung hat auch eine frühere Mitstreiterin der Schutzgemeinschaft Schmidener Feld in Kernen-Rommelshausen beobachtet. Was mit den ehemaligen Ackerböden in Fellbach passiert, ist für sie Ausdruck „des nicht enden wollenden Konflikts zwischen Landwirtschaft und Gewerbeansiedlung“. Sie sagt: „Ich sehe den ungebremsten Landverbrauch in ganz Baden-Württemberg als einen sehr großen Fehler, da er weiter ansteigt statt zurückzugehen“, wie es eigentlich als „Netto-Null bis 2035“ im grün-schwarzen Koalitionsvertrag der Landesregierung vereinbart sei.

An ihren Spaziergang erinnert sie sich so: „Es war schon merkwürdig, inmitten des abgeräumten Gebiets zu stehen, wie in einer Wüste an einem sehr heißen Tag. Da, wo vorher fruchtbare Erde war, auf der was zum Essen wuchs. Es erfasste mich dabei eine enorme Traurigkeit, eine Hilflosigkeit und die Frage, ob das denn immer so richtig ist“, so ihr „emotionales“ Statement, wie sie es formuliert. „ Das Bild komplett machte dann der einzelne Feldhase, der scheinbar etwas verwirrt im Zickzacklauf sich durch diese abgeräumten Flächen bewegte. Wahrscheinlich hat der sich auch gefragt, was denn jetzt mit seiner Welt passiert ist.“

Gefordert wird „das Maximale in Bezug auf Ökologie“

Immerhin, Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull erklärte kürzlich, südlich der Siemensstraße werde „ein grünes Gewerbegebiet par excellence“ entwickelt. Gefordert werde von den Bewerbern für die Grundstücke „das Maximale in Bezug auf Ökologie und Klimanachhaltigkeit“. So macht der Bebauungsplan weitreichende Vorgaben zur Dach- und Fassadenbegrünung und zur Begrenzung der versiegelten Fläche. So müssen beispielsweise 75 Prozent aller benötigten Stellplätze in Tief- oder Hochgaragen untergebracht werden. Bis es soweit ist, dauert es aber noch einige Zeit. „Die Bauarbeiten zur Erschließung des Gewerbegebiets beginnen Anfang September und sind bis Ende September 2024 terminiert“, erläutert Laartz. Sie sind mit knapp 3,4 Millionen Euro brutto veranschlagt. Zum vierten Quartal des kommenden Jahres, also ab Oktober 2024, könnten die Gewerbegebäude errichtet werden.

Nachfrage zu 90 Prozent durch Fellbacher Firmen

Das Interesse daran ist groß, der Gemeinderat hat Vergaberichtlinien beschlossen. Überwiegend, das heißt zu mehr als 90 Prozent, haben Fellbacher Unternehmen nachgefragt. Die Wirtschaftsförderung der Stadt hat erste Gespräche mit den Interessenten geführt. Der Bedarf an Gewerbeflächen ist allerdings selbst mit Fertigstellung der Siemensstraße längst nicht gedeckt. Eine Studie des Unternehmens Prognos von 2021 berechnet einen weiteren Bedarf in Fellbach von 35 Hektar bis zum Jahr 2035.

Irritationen durch Rebhuhn und Frauennamen

Vogel-Verzögerung
Weil Rebhühner die ehemalige Ackerfläche an der Siemensstraße als Nistplatz auserkoren hatten, lag die eigentlich schon vor Jahren vorgesehene Erschließung des Gewerbegebiets lange Zeit auf Eis. „Rebhühner durchkreuzen den Bauplan“, lautete die Schlagzeile Anfang Dezember 2020 in unserer Zeitung. Das Thema hat sich mittlerweile offenkundig erledigt. „Durch die Erdbewegungen und die vorbereitenden Maßnahmen war auch zu viel Bewegung im künftigen Gewerbegebiet, sodass sich keine geschützten Tiere mehr angesiedelt haben“, teilt die Stadt mit.

Doppelnamen-Problem
Reichlich Überzeugungskunst benötigte die Stadt, um die Straßen im neuen Gewerbegebiet nach bekannten Wissenschaftlerinnen zu benennen. Dies sei „ein weiterer Schritt in Richtung Gleichberechtigung“, warb Baudezernentin Beatrice Soltys um Zustimmung. Wenn schon, dann aber auf keinen Fall Frauen mit Doppelnamen, konterten beispielsweise die Freien Wähler/Freien Demokraten. Nun sollen im Gebiet zwei Straßen nach der Mathematikerin Emmy Noether und der Zoologin und Parasitologin Maria von Linden benannt werden.