Grund zum Feiern in Brüssel – wie hier beim Silvesterfeuerwerk? Das wird davon abhängen, wie die EU die großen Herausforderungen meistert, vor denen sie in diesem Jahr steht. Foto: dpa

Seit Monaten verharrt Deutschland außenpolitisch in der Nabelschau. Höchste Zeit, das zu ändern, meint StN-Chefredakteur Christoph Reisinger. Schließlich steht für die EU in diesem Jahr viel auf dem Spiel.

Stuttgart. - Für die Europäische Union wird 2018 ein Jahr großer Entscheidungen. Jede davon berührt die Interessen Deutschlands. Denn gerade sein Wohlstand hängt von einem sicheren Umfeld ab, speziell von einer gefestigten, handlungsfähigen EU. Baut er doch auf positive Handelsbilanzen, Europas Binnenmarkt und eine arbeitsteilige europäische Wirtschaft.

Grund genug also, sich beherzt der wichtigsten Entscheidungen anzunehmen, vor denen Europa steht. Aus deutscher Warte sind das: die Bewältigung der Euro-Krise, das Wie zum Ausscheiden der Briten, die Sicherung der EU-Außengrenzen. Sinnvolle deutsche Beiträge dazu wären die Wiederbelebung der Partnerschaft mit Frankreich und die Weiterentwicklung der Bundeswehr zu einer Armee, an die Streitkräfte kleinerer Partner mit ihrer Organisation, Ausbildung und Ausrüstung andocken können.

Noch haben nicht alle begriffen

Leider gibt es Anzeichen, dass noch nicht alle verstanden haben: Nach der Nabelschau im vergangenen Jahr führt kein Weg mehr vorbei an einer mutigen deutschen Europapolitik. Dass mit Ralf Stegner kürzlich ein Vize-Chef der Vielleicht-Regierungspartei SPD eine solche, selbstverständlich mit Mehrkosten verbundene Weiterentwicklung der Bundeswehr als „sinnlose Aufrüstung“ einstufte, hat insofern etwas Deprimierendes.

Aber es gibt auch Ermutigendes zu Beginn dieses Europa-Jahres. Es verblüfft und erfreut, wie wenig sich die verbleibenden 27 EU-Staaten bisher haben gegeneinander ausspielen lassen, wann immer es um die Bedingungen ging, unter denen Großbritannien die EU verlassen wird. Weiter so!

Zum Rückenwind einer aktiveren Europapolitik taugen auch die Signale, die der französische Präsident Emmanuel Macron über den Rhein sendet. Er hat Frankreichs Interesse, mit Deutschland wieder zur Lokomotive der EU zu werden, erfrischend klar formuliert.

Jenseits der Mehrheitsmeinung in Deutschland

Was allerdings so einfach nicht wird. Die schwierige Haushaltslage schränkt Frankreichs Spielräume ein. Deutschland wiederum braucht erst einmal eine nicht bloß verwaltungsfähige Regierung. Ordnungs- und finanzpolitisch liegt Macron weit ab von dem, was in Deutschland Mehrheitsmeinung ist. Etwa da, wo er das Geld der einzelnen EU-Staaten zumindest zum Teil vergesellschaften will.

Was einen besonders deutlichen Hinweis darauf gibt: Gerade bei der Bearbeitung der Euro-Krise ist ein gemeinsamer deutsch-französischer Nenner nicht in Sicht. Das birgt erhebliche Gefahren. Schließlich hat die Politik der Europäischen Zentralbank zwar Staaten wie Banken stabilisiert. Aber sie hat gigantische Geldmengen geschaffen, hinter denen kein realer Gegenwert, keine Wirtschaftsleistung stehen. Streng betrachtet, ist der Euro in aktueller Verfassung daher so etwas wie eine Scheinwährung. Und deutsche Vorstellungen, daraus wieder eine Hartwährung zu machen, weichen erheblich von französischen ab.

Lehre aus dem Kollektivversagen

Ähnlich schwierig scheint eine Verständigung der 27 EU-Länder auf zumindest ein paar Grundsätze und ein Minimum an Solidarität, nach denen Europa mit Zuwanderung und Grenzsicherung verfahren will. Ohne gemeinsame Grundsätze geht es aber nicht, sonst werden nationale Souveränität oder gemeinsame humanitäre Maßstäbe immer wieder verletzt. Genau das ist doch die zentrale Lehre aus dem Kollektivversagen der EU unter dem Druck der Zuwanderungswelle von 2015. Und genau daran muss die deutsche Europapolitik zu diesem Thema ansetzen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de