Vater Thomas Karzelek mit seiner Tochter Lara. Foto: privat

Lara wurde 2014 von ihrer eigenen Mutter vom Strohgäu nach Polen entführt, kürzlich vom Vater nach Deutschland zurückgeholt – und steht jetzt im Zentrum eines medialen Gewitters. Auch viele Unbeteiligte äußern sich zu dem Fall – mit teils haarsträubenden Thesen.

Ditzingen - Es könnte ein normales Telefongespräch sein. Im Hintergrund lachen Kinder, der Anrufer befindet sich auf einem Spielplatz. Aber hier ist nichts normal, und das liegt an den Beteiligten. Bei einem der Kinder handelt es sich um die neunjährige Lara, die vor vier Jahren von ihrer polnischen Mutter in Ditzingen entführt wurde und danach in einem Land lebte, das sie zuvor kaum kannte: Polen. Der Anrufer ist Thomas Karzelek, ihr deutscher Vater, der das Mädchen vor vier Wochen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zurückholte, untertauchte – und bemüht ist, den Eindruck von Normalität zu vermitteln. Lara bekomme eine Therapie, sagt er. „Sie ist auch schon an einer Schule angemeldet.“ Dann wiederholt er das Mantra, das er seit dem 23. Mai häufig benutzt . Seit dem Tag, an dem er Lara der Mutter entriss: „Ich habe nichts Falsches getan.“

Es war auch der Tag, an dem das mediale Gewitter losbrach – in Deutschland und in Polen. Karzelek ist eine Hauptfigur in dem Meinungskrieg. Wann immer er sich äußert, vermittelt er seine zentrale Botschaft: „Ich war verpflichtet, so zu handeln.“ Auf Facebook veröffentlicht er Fotos von Lara, mit denen er dokumentieren will, dass es dem Kind gut gehe. In den Kommentaren bekommt er Zuspruch. „Ich drücke euch die Daumen“, schreibt eine Nutzerin, andere geben ihm Ratschläge. „So nahe an Polen, das geht bestimmt schief“, fürchtet jemand und empfiehlt Karzelek, der sich irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern aufhält, umzuziehen. Denn: „Die Mutter hat so viel kriminelle Energie, der fällt bestimmt was ein.“ Immer wieder wird dem Staat, den Jugendämtern und Gerichten Versagen vorgeworfen, weil sie Karzelek nicht unterstützt hätten. „Wenn Unrecht zum Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!“, meint ein Mann.

Für die Deutschen ist der Vater ein mutiger Mann, der seine Tochter befreit hat

Kritik an dem Vater? Fehlanzeige. Bei den meisten Schreibern handelt es sich um Deutsche, für die der 46-Jährige ein mutiger Mann ist, der sein Kind aus den Fängen einer Entführerin befreit hat. Diese Sichtweise fußt darauf, dass Lara in Deutschland geboren ist und im Strohgäu lebte, bevor sie am 2. Oktober 2014 von Joanna S., der Mutter, entführt wurde. Sie fußt auch darauf, dass Joanna S. zu diesem Zeitpunkt bereits das Sorgerecht für Lara verloren hatte.

Unproblematisch ist diese Argumentation nicht. Strafrechtlich ist die Entführung aufgearbeitet, die Mutter hat im Gefängnis gesessen. Weswegen das Ludwigsburger Amtsgericht nicht müde wird zu betonen, dass jetzt allein das Wohl des Kindes zählt. Das Gericht bereitet gerade einen Prozess vor, worin geklärt werden muss, wo Lara leben soll. Der Ausgang ist offen. Weil Lara die vergangenen Jahre in Polen verbrachte, ist sie möglicherweise dort inzwischen mehr zu Hause als in Deutschland – wie sie einst nach Polen gelangte, spielt rechtlich gesehen kaum noch eine Rolle. Auf eben dieser Grundlage versucht Joanna S., sich jetzt selbst als Opfer darzustellen. Kürzlich schrieb sie an das Gericht: „Als Mutter von Lara fordere ich Sie auf, Lara nach Auffinden mir zu übergeben, damit sie wieder in ihre gewohnte Umgebung und zu ihrer Familie zurückkehren kann.“

Für die Polen ist die Mutter ein Opfer, keine Täterin

Joanna S. hat einen Kreis von überwiegend polnischen Unterstützern um sich geschart. Freunde und Bekannte betreiben auf Facebook die Gruppe „Findet Lara“, und wenn hier von einer Entführung die Rede ist, ist allein die Rückholaktion des Vaters gemeint. Wird auf der deutschen Seite der Vater als Opfer gesehen, ist es auf der polnischen die Mutter, der Unrecht widerfahren sein soll. In dieser Lesart wird die Polin zur Widerstandskämpferin gegen einen bösartigen Deutschen und eine parteiische deutsche Justiz.

So sieht sich Joanna S. wohl auch selbst: „Seit meiner Trennung von Herrn Karzelek wird mir unser Kind immer wieder ohne Rechtsgrundlage entzogen, bis in meiner Abwesenheit er das alleinige Sorgerecht bekommen hat“, schreibt sie. Kein Wort davon, dass sie einst selbst das Kind verschleppte. Und wenn andere sich dazu äußern, zeigen sie Verständnis, denn: „Ein Kind gehört immer zu seiner Mutter.“

Die offiziellen Stellen in Polen schweigen, aber der Haftbefehl ist beantragt

Thomas Karzelek ist für viele Polen zur Hassfigur geworden. Eine Bekannte von Joanna S. behauptet, er habe Mitglieder der „Findet Lara“-Gruppe bedroht. Mehrere Personen schrieben dem zuständigen deutschen Jugendamt, Karzelek sei „psychisch nicht in der Lage, Sorge für Kinder zu tragen“. In einem Schreiben heißt es gar, Lara sei in Lebensgefahr. Besonders aktiv ist eine Frau, die Karzelek gut kennt: Es ist die Frau, mit der er vor der Ehe mit Joanna S. liiert war. Auch sie ist Polin und verfolgt ihre eigene Agenda. Ein gemeinsamer Sohn der beiden lebt beim Vater, und die Mutter will das ändern. Gegenüber dem Jugendamt erklärte sie vor wenigen Tagen, Karzelek gefährde das Wohl des Jungen, weil dieser seit Wochen keine Schule besuche. Auch behauptet sie, Karzelek habe den Sohn bei der Rückholaktion von Lara eingespannt.

Hinweise gibt es dafür nicht. Karzelek sagt, sein Sohn gehe nicht nur täglich zur Schule, sondern habe auch während der Rückholaktion an einem Schulausflug teilgenommen. Wegen des Datenschutzes lässt sich das nicht überprüfen, aber Fakt ist: Der Junge ist 14 Jahre alt und kann selbst entscheiden, wo er leben möchte. Er hat sich für den Vater entschieden.

So geht es immer weiter mit Gerüchten und Vorwürfen, während die offiziellen Stellen in Polen schweigen. Staatsanwaltschaft, Polizei und Innenministerium blocken alle Anfragen ab. In Polen wird Karzelek der Freiheitsberaubung beschuldigt, weswegen dort ein europäischer Haftbefehl gegen ihn beantragt wurde. Sobald dieser in Kraft ist, wird die deutsche Polizei ihn festnehmen. Der 46-Jährige hat bereits angekündigt, dass er sich stellen wird. Entscheidend ist, was danach geschieht. In Deutschland hat er strafrechtlich wohl nichts zu befürchten, weil er das alleinige Sorgerecht für Lara hat. Die Polen aber sehen in ihm einen Entführer und werden die Auslieferung verlangen. Karzelek glaubt nicht, dass sie damit Erfolg haben, und wiederholt den für ihn so wichtigen Satz: „Ich habe nichts Falsches gemacht.“