Thomas Karzelek mit seiner Tochter Lara: Wo sich die beiden aufhalten, ist unbekannt. Das Foto hat uns Karzelek zur Verfügung gestellt. Er will damit dokumentieren, dass es der Neunjährigen nach der umstrittenen Rückholaktion gut geht. Foto: privat

Die Luft wird dünner für Thomas Karzelek. Ein Richter hat einen europäischen Haftbefehl gegen Laras Vater erwirkt, der vor drei Wochen seine Tochter von Polen nach Deutschland verschleppt hat. Erstmals äußert sich jetzt Laras Mutter zu der Tragödie.

Ditzingen - Thomas Karzelek hat am Montag in einem Telefonat mit unserer Zeitung angekündigt, dass er sich sobald wie möglich der Polizei stellen wird. Es ist das zweite Mal, dass sich der 46-Jährige aus seinem Versteck meldet, nachdem er am 23. Mai in Polen seine Tochter verschleppt hat. Er habe über seinen Anwalt bereits Kontakt mit den Behörden aufgenommen, halte seinen Aufenthaltsort aber noch geheim, sagt Karzelek. „Momentan zählt für mich nur die Sicherheit meiner Tochter – ich muss erst wissen, dass sie mir nicht wieder weggenommen wird.“ Für ihn selbst wird die Situation zunehmend prekär. Ein polnischer Richter hat am Freitag wegen Freiheitsberaubung einen europäischen Haftbefehl gegen Karzelek erwirkt. Kommt es zum Prozess, drohen ihm bis zu zwölf Jahre Gefängnis.

Weil sich der Vater mit seiner Tochter vermutlich in Deutschland versteckt, ist jetzt die deutsche Polizei am Zug. Konkret: die Polizei in Neubrandenburg, denn dort befindet sich Karzeleks letzter bekannter Aufenthaltsort. Bislang hatten sich die deutschen Ermittler zurückgehalten bei der Fahndung, weil der Fall rechtlich kaum noch zu überblicken ist. Geboren und zunächst aufgewachsen ist Lara in Deutschland. Ihre Eltern – Thomas Karzelek und Joanna S., eine polnische Juristin – lebten mit ihr im Strohgäu. 2011 trennte sich das Paar im Streit, im Oktober 2014 entführte Joanna S. die Tochter von Ditzingen nach Polen. Die Mutter kam ins Gefängnis und hat schon lange kein Sorgerecht mehr für Lara. Aber das Kind blieb in Polen und lebte zuletzt wieder bei ihr. Die polnischen Behörden wollten es Karzelek nicht übergeben und argumentierten, dass Lara Angst vor ihrem Vater habe.

Vor drei Wochen nahm Thomas Karzelek das Recht dann selbst in die Hand, entriss Lara in Stettin der Mutter und verschwand. Seiner Tochter gehe es gut, sagt er jetzt. Sie werde betreut, und er sorge dafür, dass sie viel Kontakt zu Gleichaltrigen habe zum Spielen. Lara lache viel, spreche jeden Tag mehr deutsch. „Ich möchte, dass sie bald ein normales Leben führen kann.“ In Polen sei das nie möglich gewesen. „Sie kann nicht Fahrrad fahren, sie kann nicht schwimmen – sie hat dort völlig isoliert gelebt.“

Die Polen zwingen die deutsche Polizei zum Handeln

Karzelek ist überzeugt, dass er mit der Rückholaktion keine Gesetze gebrochen hat. Die Polen beurteilen das anders und zwingen die deutsche Polizei zum Handeln. „Wenn es einen europäischen Haftbefehl gibt, sind wir gemäß internationalen Verträgen verpflichtet, den Beschuldigten festzunehmen“, sagt Gerd Zeisler, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg.

Längst handelt es sich bei dem Fall nicht mehr nur um eine Familienangelegenheit, sondern um Vorgänge, die zahlreiche Institutionen in Polen und Deutschland beschäftigen – bis hin zu den Innen- und Außenministerien. Auch medial schlägt das Gezerre in beiden Ländern hohe Wellen.

Gegenüber unserer Zeitung hat sich Laras Mutter nie geäußert, aber vor wenigen Tagen wandte sich Joanna S. an das Ludwigsburger Amtsgericht, das für den familienrechtlichen Teil des Falls zuständig ist. Sie zeige „eine akute und chronische Kindeswohlgefährdung“ an und fordere, „Lara nach Auffinden mir zu übergeben“, schrieb sie. Lara habe am 23. Mai ein erneutes Trauma erleben müssen, „indem wildfremde Männer sie gewaltsam von mir weggerissen haben“. Sie mache sich große Sorgen. „Seit meiner Trennung von Herrn Karzelek wird mir unser Kind immer wieder ohne Rechtsgrundlage entzogen.“

Zumindest die letzte Aussage ist fragwürdig. Dass Joanna S. das Sorgerecht entzogen bekam, hat einen Grund: Sie war es, die nach der Trennung mehrfach versuchte, Lara nach Polen zu verschleppen und dem Vater wegzunehmen – bis zu der erfolgreichen Entführung im Jahr 2014. Im Internet, auf Facebook und anderen Plattformen bekommt sie viel Zustimmung für ihre Haltung. Ebenso wie Thomas Karzelek, der dafür gelobt wird, dass er seine Tochter nie im Stich gelassen habe. Viele Beobachter sind indes dazu übergegangen, beide Elternteile zu kritisieren, weil sie das Wohl ihres Kindes aus den Augen verloren hätten.

Der Vater hofft nun, dass sich seine ehemalige Partnerin zu einer gemeinsamen Mediation bereit erklärt, in der mit professioneller Unterstützung eine Lösung entwickelt werden könnte, die allen zugute kommt. „Ich wollte Lara nie der Mutter wegnehmen. Ich wollte nur die Möglichkeit haben, mein Kind zu sehen.“ Vor wenigen Tagen habe er Joanna S. diesen Weg per Mail vorgeschlagen. „Sie hat nicht darauf reagiert“, sagt Karzelek.

Der Vater hofft auf eine Mediation, aber die Mutter reagiert nicht auf den Vorschlag

Aller Voraussicht nach muss der Fall also juristisch gelöst werden. Sobald sich Karzelek der Polizei gestellt hat, wird diese ihn festnehmen, aber dann wird es kompliziert. „Danach muss geprüft werden, ob er nach Polen ausgeliefert werden kann“, erklärt die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg. Die entscheidende Hürde vor jeder Auslieferung ist, dass beantwortet werden muss, ob die zur Last gelegte Tat auch in Deutschland strafbar ist. Zwar ist Freiheitsberaubung überall auf der Welt ein Verbrechen. Fraglich ist im Fall Lara jedoch, ob ein deutscher Staatsbürger wegen Freiheitsberaubung angeklagt werden darf, wenn er eine Tochter zu sich holt, für die er sorgeberechtigt ist.

Und selbst wenn Karzelek ausgeliefert wird – was wird aus Lara? Dass die Deutschen das Mädchen ohne Weiteres an die Mutter zurückgeben, erscheint unwahrscheinlich, auch Karzelek glaubt das nicht. „Um dem allein sorgeberechtigten Vater das Kind wegzunehmen, müssten die Behörden das Recht schon ziemlich vergewaltigen“, sagt er. Angst hat er daher weniger vor einer Auslieferung oder etwaigen neuen Sorgerechtsbeschlüssen. Angst hat er vor Autos mit polnischem Kennzeichen. Wann immer er sein Versteck verlasse, so Karzelek, sei er auf der Hut. Offenbar sei der polnische Zweig der Familie nicht gewillt, die Sache vernünftig zu regeln. „Also muss ich damit rechnen, dass irgendwann Schlägertrupps hier auftauchen.“