Thomas Strobl (links, CDU) und Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: dpa

In Baden-Württemberg geht das grün-schwarze Regierungsbündnis in die zweite Halbzeit dieser Legislatur. Wird es jetzt harmonischer? Oder herrscht gerade nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Stuttgart - Regierungsbündnisse sind keine Liebesheirat. Dass auch Grün-Schwarz keine sein würde, machten beide Seiten bereits im März 2016 vor Beginn der Koalitionsverhandlungen deutlich. Zweieinhalb Jahre später, zur Halbzeit dieser Legislaturperiode, lässt sich konstatieren: es ist so.

Das Verhältnis innerhalb der Kiwi-Koalition gleicht eher dem von Bewohnern einer Zweck-Wohngemeinschaft. Einige können ganz gut miteinander. Andere wursteln vor sich hin, ohne sich für die anderen zu interessieren. Und ein paar halten Absprachen auch mal mit Absicht nicht ein, um die anderen zu nerven und sie, um im Bild zu bleiben, früher oder später zum Ausziehen zu bewegen. Das bedeutet konkret: Es gibt bisweilen Streit, vor allem dann, wenn es um ideologisch aufgeladene Politikfelder wie Bildung, Verkehr und Migration geht. Es gab Phasen, in denen der grün-schwarze Koalitionsausschuss alle zwei Wochen tagen musste, um strittige Themen abzuräumen.

Kretschmann und Strobl bemühen sich um Einigkeit

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Vize Thomas Strobl (CDU) bemühen sich, wann immer möglich, um demonstrative Einigkeit. Doch die Reibereien hinter den Kulissen sind stets da – und gipfelten im April dieses Jahres in einer Koalitionskrise. Erst weigerte sich die CDU-Fraktion hartnäckig, trotz herber Kritik auch aus der eigenen Partei das Landtagswahlrecht dem Koalitionsvertrag entsprechend zu ändern und für ein Mehr an Frauen im Parlament eine Parteiliste einzuführen. Dann revanchierte sich die Grünen-Fraktion und versagte der Kandidatin der CDU-Fraktion, Sabine Kurtz, bei der Wahl zur neuen Vizepräsidentin des Landtags im ersten Wahlgang die Zustimmung.

Die oppositionelle FDP befeuerte den Zwist genüsslich, indem Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke laut über eine Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP nachdachte – ein Konstrukt, das rechnerisch ebenfalls möglich wäre. Die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier winkte jedoch ab, sprach von einer „Schnapsidee“. Weil sich die führenden Figuren von Grün-Schwarz zudem zur bestehenden Koalition bekannten, hat sich die Situation wieder entspannt.

Selbst in heiklen Fragen einigten sich die Koalitionäre vor der Sommerpause nahezu geräuschlos – etwa, wie das Gerichtsurteil zu möglichen Fahrverboten für Dieselfahrzeuge in Stuttgart im Luftreinhalteplan umgesetzt und welche Öko-Vorschriften in der Landesbauordnung als Bauanreiz gelockert werden können. Mit einem „Gefühl der Befreiung“ sei man denn auch in die Sommerpause gegangen, sagt ein Koalitionär. Doch wie lange dieses Gefühl anhält, kann niemand so genau sagen. Die Krise kann jederzeit wieder aufbrechen. Das liegt auch an den zwei starken Männern innerhalb der Union: der Vorsitzende des CDU-Landesverbands, Thomas Strobl, und der Vorsitzende der Fraktion, Wolfgang Reinhart, können sich nicht riechen. Sie bemühen sich seit dem Streit um die Wahlrechtsreform aber um eine professionelle Zusammenarbeit.

Wähler finden Machtspiele nicht gut

Es ist wahrscheinlich, dass die Koalition und auch die gespaltene CDU bis zu den Europa- und Kommunalwahlen im Mai 2019 in einer Art Burgfrieden verharrt. Denn wenn es etwas gibt, das die Wähler nicht goutieren, dann sind es Streit um Kleinigkeiten – und Machtspielchen.

Im Sommer des nächsten Jahres allerdings drohen Grün-Schwarz weitere Belastungsproben. Zum einen müssen die Koalitionäre nach Lage der Dinge wenige Wochen nach den Wahlen auf Basis der Entwicklung der Schadstoffwerte entscheiden, ob sie auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge der Euro-5-Norm verhängen. Die CDU will das vermeiden. Und zum anderen beginnen die Debatten über das Spitzenpersonal für die Wahl des Oberbürgermeisters in Stuttgart 2020, die so manch einer als Seismograf für die Stimmung im Land interpretieren wird, und für die nächste Landtagswahl 2021.

Vieles dreht sich um die Frage: Macht’s Kretschmann noch einmal, strebt er bei der nächsten Landtagswahl 2021 eine dritte Amtszeit als Ministerpräsident an? Die Entscheidung steht aus. Klar ist bereits: Die grünen Regierungsmitglieder wollen, dass der Mann mit dem markanten Bürstenhaarschnitt noch einmal antritt. Denn auch sie wissen genau, dass es ohne Kretschmann für die Grünen verdammt schwer werden würde, stärkste Partei im Südwesten zu bleiben und erneut ähnlich viele Mandate, Ämter und Privilegien zu sichern.

Auch für viele in der CDU ist Kretschmann mit seinem Ultra-Realo-Kurs die entscheidende Stütze der Koalition. Bricht diese weg, könnte es gut sein, dass das Bündnis von heute auf morgen platzt. Die politischen Gegner der Grünen im Landtag rechnen gerne vor, dass ohne Kretschmann bis zu 15 Prozent der Wählerstimmen schlagartig neu verteilt würden. Sie gehen deshalb davon aus, „dass die Grünen ihren Winfried zur Not sogar mit dem Rollstuhl durch den Wahlkampf fahren.“ Umfragen belegen, dass Kretschmann beim Volk so beliebt ist wie kein anderer Länderregierungschef in Deutschland. Für ihn geht es eigentlich nur noch um den richtigen Zeitpunkt des Abgangs. Kretschmann selbst weicht den Fragen zu einer möglichen weiteren Amtszeit aus. Er sagt dann nur: „Sie müssen damit rechnen, dass ich noch einmal antrete.“ Oder er erzählt von Jerry Brown, der im Alter von inzwischen 80 Jahren fit ist und das Amt des Gouverneurs von Kalifornien bekleidet.

Folgt Özdemir auf Kretschmann?

Aber selbst wenn Kretschmann gesund bleibe und im Frühjahr 2021 mit seinen dann fast schon 73 Jahren noch mal antrete, müsse man sich bald mal Gedanken machen, mit wem und wie man den Übergang gestalte, sagen mahnende Stimmen aus den grünen Reihen. Als Option gilt Edith Sitzmann. Die ehemalige Fraktionschefin macht als Finanzministerin einen soliden Job. Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir wäre eine charismatischere Alternative. Kretschmann schätzt den Realo. Aber bei Özdemir würden zwei Fragen mitschwingen: Gelingt der Übergang von der Bundes- zur Landespolitik? Und kommt ein Schwabe mit anatolischen Wurzeln auch in konservativ geprägten Milieus des ländlichen Raums gut an?

Die Christdemokraten überlegen derweil, mit welchem Spitzenkandidaten und vor allem mit welcher Strategie sie wieder stärkste politische Kraft im Südwesten werden könnten. Zumal sie aus einer neuen Rolle heraus Wahlkampf machen müssen – aus der des Juniorpartners. Vor der vergangenen Landtagswahl entschieden die Mitglieder, den ehemaligen Landtagspräsidenten Guido Wolf statt den damaligen Bundespolitiker Thomas Strobl gegen Kretschmann ins Rennen zu schicken. Es wirkt, als sei Strobl fest entschlossen, beweisen zu wollen, dass das Mitgliedervotum damals ein Fehler war. Qua seiner Ämter als stellvertretender Ministerpräsident, Innenminister und CDU-Landeschef wäre er der natürliche Spitzenkandidat für die nächste Landtagswahl.

Einige in der Landtagsfraktion sehen diese Personalie wiederum skeptisch. „Dann verlieren wir noch mehr Wähler“, sagt einer. Seine Kritiker werfen Strobl vor allem vor, dass er sich einerseits nicht für das landespolitische Kleinklein interessiere, andererseits bei großen Fragen trotzdem „wie ein kleiner Bub“ im Schatten des Ministerpräsidenten stehe. Auch Problemen bei der inneren Sicherheit und Migration begegne er als zuständiger Minister nur mit „markigen Sprüchen“ statt sie anzugehen.

Eisenmann könnte Spitzenkandidatin der CDU werden

Die Partei ist nach dem Erstarken der AfD insgesamt nervös. Vielen an der Basis fehlt es an Inhalten, an Ideen – an einer Vision fürs Land. „Für was steht die CDU unter Thomas Strobl? Wie sieht er Baden-Württemberg in zehn bis fünfzehn Jahren?“, fragt auch ein CDU-Präsidiumsmitglied. Er müsse endlich Antworten auf diese Fragen finden. Ein weiteres Präsidiumsmitglied meint, dass sich die grün-schwarze Bilanz sehen lassen könne. Es sagt aber: „Wir brauchen Argumente, warum die Menschen die CDU und nicht Kretschmann wählen sollen.“ Strobl, der über die Koalition stets sagt, man habe sich „nicht gesucht, aber gefunden“, müsse sich steigern, sonst sei ein anderer Spitzenkandidat nötig.

Aber wer? Kultusministerin Susanne Eisenmann wird immer wieder genannt. Sie kommt mit ihrer direkten, bisweilen resoluten Art in weiten Teilen der Partei wie auch in der Fraktion gut an. Allerdings sind Strobl und Eisenmann eng befreundet. Dass sie gegeneinander antreten, gilt als ausgeschlossen. Dass Strobl freiwillig Platz macht, ist unwahrscheinlich.

Doch Strobl hin oder her – ein Fraktionär warnt schon jetzt davor, sich zu viel mit sich selbst zu beschäftigen. „Wir sollten zuerst mal die Probleme der Menschen wieder stärker in den Blick nehmen.“