Bildermächtige Inszenierung von Robert Borgmann: Szene aus Rainald Goetz’ „Krieg“ im Berliner Ensemble. Foto: dpa

Das Hauptstadt-Theater sorgt sich um die Republik: „Rom“ nach Shakespeare und „Krieg“ von Rainald Goetz

Berlin - Wenn man so will, kann man die Uraufführung von „Gorki – Alternative für Deutschland“ im Maxim-Gorki-Theater Berlin als Auftakt für die zwei nächsten Hauptstadt-Premieren des Wochenendes betrachten. Oliver Frljic und sein Ensemble fragten, ob das Theater überhaupt die Potenz hat, auf faschistoiden Tendenzen in der Gesellschaft adäquat zu reagieren. Seine Sorge um die Demokratie fand ihre didaktische Fortführung am Deutschen Theater, wo Regisseurin Karin Henkel die Republik verabschiedete. Und einen Abend später am Berliner Ensemble, wo Regisseur Robert Borgmann Mensch und Welt vollends in ein bild- und sprachgewaltiges Chaos stürzte.

Karin Henkel, mit „Beute Frauen Krieg“ (Schauspielhaus Zürich) zum Berliner Theatertreffen eingeladen, hat gemeinsam mit dem Dramaturgen John von Düffel aus Shakespeares Stücken „Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“ Passagen verwendet, die um Demokratie und Gesellschaft kreisen. Das funktioniert hervorragend auch deshalb, weil die Schauspielerin Kate Strong als grimme Conferencière die dreistündige Inszenierung zusammenhält.

Coriolan mit Donald-Trump-Krawatte

Martialischer Stechschritt, eisiger Blick. Schnarrend und ungerührt stellt sie klar, was Sache ist: Chaos herrscht in Rom, das Volk will Ruhe. Und sie weiß auch, was zu tun ist. Demokratie vorspielen. „You MUST play the game!“, schärft sie ihrem Sohnemann Coriolan (Michael Goldberg) ein. Das Spiel spielen, die Wähler an der Nase herumführen. Coriolan, Mamakind und Mega-Kämpfer, soll außerdem ihre eigene Machtlust befriedigen. Der Hüne in Unterhosen lässt sich Wunden zufügen, die dem Volk zeigen, wie er fürs Vaterland litt und die Macht verdient. Fein an Henkels Inszenierung: Sie stattet Coriolan mit roter Donald-Trump-Krawatte aus, doch er ist kein tumber Kämpfer, sondern einer, der wirklich nichts vom Volk hält, aber zumindest nicht heuchelt. Die Verhandlungen scheitern – „der Mann ist nicht wählbar“.

Der Rest? „Ist in einer Minute erzählt“. Kate Strong berichtet, zackzack, von weiteren Kämpfen und dem Mord an Corolian. Und schon wird aus dem auf dem Konferenztisch aufgebahrten Corolian Julius Cäsar. Das Stück könnte in dieser Fassung „Brutus“ statt „Julius Cäsar“ heißen, da es um dessen Gewissenskampf kreist. Brutus wird verkörpert von Felix Goeser, der in Stuttgart schon mit Karin Henkel arbeitete: Tschechows „Platonow“ und Molnárs „Liliom“ sind in bester Erinnerung geblieben. Brutus hadert. Soll er Cäsar, den Freund, töten? Er argumentiert plausibel, die Freiheit aller sei wertvoller als die Verherrlichung eines Eroberers und Blenders. Wie Coriolan ist Brutus aber kein Manipulator. So unterliegt er Antonius, der in der berühmten Totenrede das Volk gegen Brutus aufwiegelt. Toller Schlagabtausch am Konferenztisch sitzend statt vor den Massen Roms stehend wie man es aus dem 50er-Jahre-Hollywoodschinken mit Marlon Brando in Erinnerung haben mag.

Tod der Republik

Mit „Immer noch Chaos“ eröffnet Kate Strong das Finale. Während Manuel Harder (bis vergangene Saison in Stuttgart engagiert) als Antonius in „Julius Cäsar“ Haltung bewahrt und ambivalent spielt, nölt und windet er sich allzu ausgiebig wie ein bekiffter Rockstar, der mit der Verwaltung von Cäsars Imperium überfordert ist und sich tötet. Dennoch – eine toughe Inszenierung, die es leicht macht, Parallelen zum Hier und Heute zu ziehen und die mit dem Tod der Republik ein düsteres Bild vom Zustand der Welt zeichnet.

Sprachzertrümmerung im Berliner Ensemble

Ähnliches Anfangsbild einen Abend später im Berliner Ensemble: im Deutschen Theater wurde mit blutroter Farbe „Rom Republik“ an die graue Wand gemalt (was Coriolans Sohn mit dem erhobenen Mittelfinger kommentiert). Im Berliner Ensemble pinselt ein Schauspieler „Heiliger Krieg“ auf ein Bild deutscher Innerlichkeit, Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“. Viel Nebel und Staub, doch keinerlei Weitsicht bei den Figuren dem dreiteiligem Drama „Krieg“ aus dem Jahr 1986 von Büchner-Preisträger Rainald Goetz‘. Hier wie da spätrömische Dekadenz – bis zu den Requisiten, etwa wenn Weintrauben von der Bühne in Richtung Publikum fliegen, man in Blut badet und auf Leichenbergen tanzt. Auf den Politdreiteiler folgt ein Psychotryptichon - nach Demokratieabschaffung ist Sprach- und Ichzertrümmerung der nächste Schritt. Das Politische ist auch privat, und wenn die Sprache ihre ordnenden Sicherheitsstrukturen verliert, geraten Welt und Mensch außer Kontrolle, kreist das Wesen unaufhörlich um sich selbst, bis es sich verliert. Der Rest ist Brabbeln und Sabbern.

„Ich predige Bier“

So wie Karin Henkel für Nebenfiguren ironisch komische Szenen entwarf, lässt auch Robert Borgmann sein Ensemble manchmal spaßig auftreten. Als „mündige Bürger“ sächseln sie populistisch daher. In „Hallo Harald – Hallo Bubi“-Tiraden prosten sie einander lustig, verängstigt, übermütig zu. „Umsonst. Man predigt, umsonst, sie machen was sie wollen. Ich predige Bier“ – „Die Scheiße ist, dass das Argument wurscht ist, wenn das Argument kein Gewehr ist“. Der Regisseur und Bühnenbildner Robert Borgmann, der bei Armin Petras in Stuttgart regelmäßig Tschechow inszeniert („Onkel Wanja“, „Kirschgarten“), kürzt aber in einer amüsanten Theaterbeschimpfungs-Passage ausgerechnet das, was ihm selbst gelegentlich vorgehalten wird: „schöne Bilder, Optikfirlefanz“. Dabei sind Borgmanns Bilder in „Krieg“ so schön wie imposant. Vor allem das an Kirmes-Fahrgeschäfte erinnernde eckige Weltenrad aus Neonleuchten, das unerbittlich über den Darstellern kreist. Selbstironie ist eben nicht jedem gegeben. Daher streicht er auch diese Regiekritik von Goetz: „Langsamkeit und Schweigen, statt Reden und Tempo, was normal ist für jeden“. Doch erstens was ist schon normal, zweitens verkneift sich Borgmann jetzt Langsamkeitsmätzchen, Schrei- und Schweigeorgien. Rainald Goetz‘ Sprachmarathon bewältigen die Schauspieler bravourös, sieht man von Gerrit Jansens mal bräsiger, mal brüllend Salat spuckender Künstlerverzweiflung im Mittelteil „Schlachten“ ab.

Verdienter Szenenapplaus

Doch sowieso alle Mäkelei vergessen lässt die engelsgesichtige, aufgedrehte, umwerfende Stefanie Reinsperger. Sich auch körperlich entblößend, zuckt sie, geifert, ereifert sich über pseudoweibliche Sprachmarotten und erhält mehr als verdienten Szenenapplaus. Und erst das Finale „Kolik“. Sprachmäandertheater bis zur körperlichen Erschöpfung, von Aljoscha Stadelmann eine Stunde lang absolviert. Spot auf eine Kiste, immer kürzer werden die kurzen Ruhephasen durch Blackouts, immer schneller, wirrer, verzweifelter gerät die klaustrophobische Rede. Da will einer zum Wort, zur Klarheit kommen, doch aus Sprachverlust wird Identitätsverlust, jegliche Sicherheit auf der Welt: perdu.

Diese Zumutung, die unerbittliche sprachliche Grammatik des Krieges knallt noch mehr als eine wohl durchdachte Rede über politische Verhältnisse. Erledigt nach guten vier Stunden sind nicht nur die Schauspieler.