Auszubildende lernen den Umgang mit einer Standbohrmaschine. Vor allem Handwerksbetriebe suchen noch nach Bewerbern. Foto: dpa

Gute Neuigkeiten für Schulabgänger: Immer mehr Firmen versuchen, auch schlechtere Bewerber für ihren künftigen Job zu qualifizieren. Denn vor allem kleinere Unternehmen haben Probleme, gute Azubis zu finden.

Gute Neuigkeiten für Schulabgänger: Immer mehr Firmen versuchen, auch schlechtere Bewerber für ihren künftigen Job zu qualifizieren. Denn vor allem kleinere Unternehmen haben Probleme, gute Azubis zu finden.

Stuttgart - Bis Filomena Blefari (18) eine Lehrstelle fand, zeigte ihre angehende Karriere nicht gerade steil nach oben. Nach der mittleren Reife begann sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Pflegeberuf, musste aber abbrechen. Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) hörte sie von einer Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau. „Davon war ich total begeistert“, sagt sie.

Beim Stuttgarter Bellissima, einem „Figurstudio für Frauen“, hinterließ Blefari beim Vorstellungsgespräch einen weniger euphorischen Eindruck. Dennoch durfte sie drei Tage zur Probe arbeiten, vor kurzem unterzeichnete sie ihren Vertrag. „Mit meinem mittleren Abschluss hatte ich Panik, dass ich für den Beruf nicht genommen werde. Aber ich war im Glück. Und dieses Mal bin ich bis zum Ende dabei“, sagt Blefari.

Von wegen nur Glück. Auch Blefari profitiert derzeit vom Ausbildungsmarkt. Weil es immer weniger Schulabgänger gibt und gleichzeitig immer mehr nach höheren Abschlüssen streben, gehen die Bewerberzahlen zurück. Zurzeit kann jeder vierte Betrieb in der Region Stuttgart nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen.

Vor allem die kleineren Unternehmen suchen immer häufiger vergeblich nach passenden Bewerbern. „Je weniger Beschäftigte ein Unternehmen hat, desto schwieriger wird es“, sagt Martin Frädrich, Geschäftsführer Beruf und Qualifikation bei der IHK Region Stuttgart, unserer Zeitung. Gleichzeitig wird es auch für schulisch Schwächere immer leichter, eine Stelle zu finden. „Wir haben einen Bewerbermarkt. Die Bewerber haben so große Chancen wie noch nie.“

Vor allem Gastgewerbe, Banken und Versicherungen suchen nach Bewerbern

Seit einigen Jahren befragt die IHK die Unternehmen der Region, wie sich die Ausbildung in den Betrieben entwickelt. Im April meldeten sich 450 von 3000 angeschriebenen ausbildenden Betrieben zurück, 6200 sind es insgesamt. Bei 58 Prozent der Firmen ging die Zahl der Bewerber zurück. Besonders betroffen sind Branchen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, harter körperlicher Arbeit und einem schlechten Image. Mehr als 60 Prozent des Gastgewerbes und rund ein Drittel der Banken, Versicherungen und der Informationstechnologie konnten nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Im Baugewerbe, in den Medien und im Handel liegt der Wert bei rund 25 Prozent. Keinerlei Probleme dagegen hatten die Gesundheits-, Pflege- und Immobilienbranche.

Bei der Arbeitsagentur Stuttgart sieht man den Trend mit Sorge. „Berufe, die wenig attraktiv erscheinen, werden künftig noch immer weniger Bewerber bekommen. Das betrifft vor allem Maler, Lackierer, Bäcker, Fleischer, Köche und Restaurantfachfrauen“, sagt Sprecherin Doris Reif-Woelki. Deswegen akzeptierten die Betriebe immer häufiger schwächere Bewerber und würden sie zusätzlich qualifizieren. „Sie schauen nicht nur auf die Noten, sondern testen die sozialen Fähigkeiten.“

Die Bewerber haben es bequem, heißt es im Handwerk: „Wer will, der findet etwas“

Auch im Handwerk gehen die Betriebe stärker auf Bewerber zu und versuchen, mit einem guten Betriebsklima zu punkten – schließlich beschäftigt ein durchschnittlicher Betrieb nur wenige Mitarbeiter. 30 000 zählt die Handwerkskammer in der Region Stuttgart, 7000 von ihnen bilden aus. So böten immer mehr Betriebe schon während der Lehre Fortbildungen an oder zahlen beispielsweise den Führerschein für den Gabelstapler, sagt Bernd Stockburger. „Die Bewerber befinden sich in einer ganz bequemen Situation. Wer will, der findet etwas.“ Doch jeden nehmen auch Betriebe mit wenigen Bewerbern nicht. „Beim Sozialverhalten machen die Arbeitgeber ungern Abstriche. Dann lassen sie die Ausbildungsplätze eher unbesetzt.“

Ähnlich beurteilt man die Lage bei der IHK. Die Betriebe kritisierten vermehrt die Mängel der Bewerber beim mündlichen und schriftlichen Ausdruck, beim Rechnen sowie in der Leistungsbereitschaft. Viele Unternehmen versuchten verstärkt, diese selbst auszugleichen. „Aber wer dies immer wieder vergeblich versucht und seine Lehrstellen nicht adäquat besetzen kann, gibt irgendwann auf“, sagt Frädrich. Als Folge reduzieren immer mehr Betriebe in der Region Stuttgart die Zahl ihrer Ausbildungsplätze. Bis Ende April wurden 4470 Lehrverträge neu geschlossen – im Vorjahresvergleich ein Minus von 1,2 Prozent. Damit liegt man nur leicht besser als der Landestrend.

Der Hoteldirektor befürchtet, dass künftig Azubi-Plätze frei bleiben

Auch Peter Weishäupl, Direktor des Stuttgarter Hotels Unger, befürchtet, irgendwann nicht mehr alle Ausbildungsstellen besetzen zu können. Seit zehn Jahren bildet der Familienbetrieb aus. Damals gab es noch 50 Bewerber. In den beiden vergangenen Jahren sank die Zahl auf gut ein Dutzend. Sieben Azubis beschäftigt das Hotel derzeit. „Mit der Qualität habe ich bei meinen Lehrlingen keine Probleme – aber das Niveau der Bewerbungen ist gesunken. Im Schnitt haben sich die Zeugnisnoten in den vergangenen zehn Jahren um eine halbe Note verschlechtert. Vor allem Deutsch ist ein großes Problem.“ Weishäupl, der auch im Gastgewerbeverband Dehoga aktiv ist, nennt die Entwicklung in der Hotelbranche „dramatisch“. Auch weil die Wirtschaft so gut laufe. „Je mehr Azubis die Industrie sucht, desto schlechter ist es für uns. Mit Daimler können wir nicht konkurrieren.“

Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Während Bewerber wie Blefari sich die besten Ausbildungsstellen aussuchen können, müssen Firmeninhaber wie Belfaris Chefin Angelika Harm die Stellen mit viel Aufwand bewerben – und manchmal das Image einer ganzen Branche. „Ich habe das Gefühl, dass die Fitnessbranche noch nicht als Ausbildungsmarkt anerkannt ist“, sagt Harm. „Als Kleinbetrieb können wir deren Ruf nicht ändern. Ich fürchte, dass sich die Lage weiterhin verschlechtern wird.“