Vorhang auf für die 50. Aktion Weihnachten! Foto: Franziska Kraufmann

Zum 50. Mal hebt sich der Vorhang für die Aktion Weihnachten. Das ist Anlass, einen Blick auf das Gründungsjahr 1971 zu werfen und zu erzählen, wie aus einer hilfreichen Geste eine verlässliche Benefizaktion mit einem weiten Geflecht an Helfern geworden ist.

Stuttgart - Am Anfang war ein Sparschwein. Es soll nicht wirklich hübsch gewesen sein, eher etwas aufdringlich und grell. Das Gerücht, es sei mit Ablasszahlungen der Redakteure für Kalauer, Fehlverhalten und fürs Zuspätkommen gefüllt worden, hält sich hartnäckig.

Schwer war’s, das Schwein, denn man bezahlte noch mit Fünf-Mark-Stücken. „1971 hatte der damalige Lokalchef Hans-Joachim Schlüter die Idee zur Aktion Weihnachten“, sagt Jürgen Offenbach, langjähriger Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten und damals Ressortchef in der Politik. Die Idee: Redakteure und Leser sollten Menschen helfen, die in Not sind.

Das Schlachtfest

Beim Schlachtfest klimpern 720 D-Mark auf den Tisch, 25 000 Mark sollen mittels Sammlung daraus werden. Die Aktion Weihnachten ist geboren. Damals wie heute überraschen die Leser die Redaktion: Die Spendenbereitschaft ist höher als erhofft, im ersten Jahr sogar doppelt so hoch. Innerhalb eines halben Jahrhunderts sind mehr als 10,2 Millionen Euro erlöst worden. Aus einer Geste ist Tradition geworden.

Eine Aktion braucht Teamplayer und Kontinuität, auch im eigenen Haus. Bis heute unterstützt das Verlagshaus die Aktion, unter der fast 30-jährigen Ägide von Chefredakteur Jürgen Offenbach konnte sie an Bekanntheit gewinnen in Politik und Gesellschaft. Die sorgfältige Vereinsführung von Lokalchef Bruno Bienzle war 26 Jahre lang der Garant für die Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit der Aktion. Chefredakteur Christoph Reisinger und Lokalchef Jan Sellner führen diese Tradition heute fort.

Einsatz auf dem Schlossplatz

Viele Redakteure haben sich in den Anfangsjahren an den Adventssamstagen vorm Königsbau kalte Füße geholt. „Es war die Zeit, als Lothar Späth Ministerpräsident und Manfred Rommel Oberbürgermeister gewesen sind, beide waren mit die Hauptpersonen beim Geldsammeln auf dem Schlossplatz“, sagt Jürgen Offenbach. Musikkapellen treten im Musikpavillon auf und untermalen das Klimpern der Sammelbüchsen, Schauspieler und Autoren wie Walter Schultheiß, Dietz-Werner Steck oder Christoph Hofrichter sind umlagert von Autogrammjägern.

Wofür und für wen gesammelt wird, ist seit damals Teil der Berichterstattung. Helmut Engisch, heute freier Autor, erinnert sich an Besuche bei Bedürftigen in den 1980er Jahren: „Schulden und psychische Probleme haben die Leute am meisten belastet.“ Inge Mierke erinnert sich an zwei alte Damen, Flüchtlinge aus Schlesien, die im Stuttgarter Osten in der kalten Kellerwohnung eines ehemals herrschaftlichen Hauses lebten – krank, einsam, verarmt. Sie wurden mit einer Geldspende für notwendige Anschaffungen bedacht. „Am liebsten wäre ihnen allerdings gewesen, wenn wir sie an Heiligabend besucht und beschenkt hätten.“ Eine andere Spendenempfängerin schreibt im letzten Winter: „Mein Vermieter hat sein Geld jetzt. Sie können sich gar nicht vorstellen, was für eine Last von mir genommen ist.“

Große Hilfsbereitschaft

Ganz Stuttgart, möchte man meinen, nimmt Anteil: Kleine Gruppen mit Aktionen und Sammlungen, die SSB stellen an einem Samstag ihren Partywagen für eine rollende Talkshow zur Verfügung, große Firmen sagen Spenden im fünfstelligen Bereich zu. „Die Bereitschaft zu helfen war immer sehr groß, das war auch ein Zeichen ihrer Wertschätzung“, erinnert sich Jürgen Offenbach.

Das gilt für die Kulturschaffenden in besonderem Maß. 1987 bieten die Bosch Musikgruppen ihre Hilfe an. Der Ansturm auf das erste adventliche Quempas-Singen in der Stiftskirche ist so groß, dass die Musiker das Konzert seither an zwei aufeinanderfolgenden Abenden geben – ohne Gage und zugunsten der Spendenaktion.

Spitzentanz für die gute Sache

1980 hebt sich im Opernhaus zum ersten Mal der Vorhang für die Ballettmatinée im Großen Haus. Die Idee stammt von Lokalchef Bruno Bienzle, der ein großer Liebhaber des Stuttgarter Balletts war. Der damalige Generalintendant der Stuttgarter Staatstheater, Hanspeter Doll, und die Grande Dame des Stuttgarter Balletts, Marcia Haydée, stimmen spontan zu. Die Veranstaltung im Opernhaus, gestaltet von Tänzern des Stuttgarter Balletts und Eleven der John Cranko Schule, hat sich zu einem Höhepunkt im Kulturleben der Stadt entwickelt und ist Jahr für Jahr ein großes Fest, sehr familiär, sehr weihnachtlich. „Es liegt Schülern und Tänzern sehr am Herzen, in diesem Rahmen für den guten Zweck auftreten zu können“, sagt Ballettintendant Tamas Detrich.

Künstler halten die Treue

1995 ziehen Redakteure und Kulturschaffende, angeführt vom langjährigen Kolumnisten Joe Bauer, erstmals mit kleinen Veranstaltungen durch die Stadt: ins Alte Schützenhaus in Heslach, ins Gustav-Siegle-Haus in der Altstadt, in die Tri-Bühne in der Eberhardstraße – und ins Kino. „Wir präsentierten Tingeltangel für Klimpergeld am hellen Nachmittag“, sagt Joe Bauer. 2001 überzeugt er Eberhard Merz, den Chef der Innenstadt-Kinos, von seiner Idee, unterschiedliche Dinge, Stile, Menschen – Vielfalt eben – im Herzen der Stadt zusammenzubringen. Die erste Nummernrevue, die erste „Nacht der Lieder“, spielt auf dem schmalen Band zwischen Kinoleinwand und Orchestergraben im Metropol. Im vierten Jahr darf sie im Schauspielhaus gastieren. Inzwischen tritt die auf 60 bis 70 Künstler angewachsene Truppe im Theaterhaus auf, viele von ihnen und allen voran der Tänzer, Kompaniechef von Gauthier Dance und Conferencier Eric Gauthier halten Joe Bauer und der Benefizaktion seit bald 20 Jahren die Treue.

Eleven, Tänzer, Musiker, Sänger, Kabarettisten, Autoren – sie alle waren bereit für ihren Einsatz in diesem Advent, doch Corona hat das kulturelle Leben stillgelegt. Die Hilfe geht trotzdem weiter. Vorhang auf zur 50. Aktion Weihnachten!