Arbeitsminister Hubertus Heil hat mit seinem Vorstoß zum Mindestlohn viel Wirbel ausgelöst. Foto: dpa

Aus Sicht von SPD und Gewerkschaften steigt der gesetzliche Mindestlohn nicht schnell genug. Nun soll die geplante Überprüfung bis zum Jahr 2020 für einen kräftigen Anstieg genutzt werden. Der DGB ist dafür, will aber auch das derzeitige Verfahren beibehalten.

Stuttgart - SPD-Vize Olaf Scholz geht seit Längerem damit hausieren: Zwölf Euro seien für den gesetzlichen Mindestlohn „angemessen“, meint er. Nun hat er im Bundesarbeitsminister einen Mitstreiter gefunden: Hubertus Heil (SPD) kündigte Mitte voriger Woche an, bis 2020 ein neues Verfahren zur Mindestlohn-Festsetzung zu entwerfen. Ziel sei, die Lohnuntergrenze in Richtung zwölf Euro zu entwickeln. Zur Begründung verwies Heil auf die bis zum Jahr 2020 ohnehin vorgesehene Evaluation der bestehenden Gesetzesregelung.

Der Gewerkschaftsbund (DGB) reagiert verhalten, was ein neues Prozedere nach nur vier Jahren Laufzeit angeht: „Die regelmäßige Anpassung des Mindestlohns muss weiterhin Aufgabe der Mindestlohn-Kommission bleiben, das gebietet schon der Grundsatz der Tarifautonomie“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell unserer Zeitung. „Der Mindestlohn darf keinesfalls zum Spielball politischer Mehrheitsentscheidungen werden.“ Körzell gehört auf Gewerkschaftsseite der Kommission an, die alle zwei Jahre die Lohnuntergrenze überprüft und der Bundesregierung Anhebungen empfiehlt. In dem Gremium stellen die Gewerkschaften und Arbeitgeber jeweils drei Vertreter – hinzu kommen der unabhängige Vorsitzende Jan Zilius und zwei beratende Wissenschaftler.

DGB für „einmalige Niveauanpassung durch den Gesetzgeber“

Ungeachtet formaler Bedenken sprach sich Körzell für eine klare Steigerung aus: „Um den Mindestlohn existenzsichernd zu gestalten, ist eine einmalige Niveauanpassung durch den Gesetzgeber denkbar.“ Weil der DGB auch eine höhere Tarifbindung anstrebt, fordert er zudem, „dass die Tarifverträge künftig leichter für allgemein verbindlich erklärt werden können“.

Ebenfalls Teil der Kommission ist der Vorsitzende der Gewerkschaft BAU, Robert Feiger. „Nach vier Jahren Erfahrung mit dem gesetzlichen Mindestlohn gibt es keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt“, sagte er unserer Zeitung. „Eine deutliche Steigerung des gesetzlichen Mindestlohns auf einen zweistelligen Stundenlohn verkraftet die Wirtschaft problemlos, und die Betroffenen haben das verdient.“ Folglich könne die Bundesregierung bei der Evaluation des Gesetzes „zu keinem anderen Ergebnis kommen“.

Das Bundeskabinett hat gerade erst beschlossen, dass der Mindestlohn zum 1. Januar 2019 von 8,84 auf 9,19 Euro je Stunde und ein Jahr später auf 9,35 Euro steigen soll. Dies hatte die Kommission am 26. Juni beschlossen.

SPD-Landeschefin für neues Verfahren

„Der Mindestlohn wird in zwei Schritten angehoben“, so Baden-Württembergs SPD-Chefin Leni Breymaier. „Das ist gut.“ Dies habe die Kommission so empfohlen. Sie sei aber auch dafür, das Verfahren zu überprüfen. „Wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften an einem Tisch sitzen und die Gewerkschaften keinerlei Druck ausüben können, können sie auch ihrer Rolle nicht gerecht werden.“ Außerdem hätten die Gewerkschaften in den Wirtschaftszweigen, um die es gehe, keine Kraft – sonst bräuchte es ja den Mindestlohn nicht. „Also sollte die Regierung das entscheiden. Dann wären auch zwölf Euro drin.“ Der Mindestlohn sei ein Erfolg, doch das Gesetz dazu lediglich ein Kompromiss. Für andere Regeln gebe es aktuell weder in der Koalition noch im Bundestag Mehrheiten. Die müsste man erst suchen.

Arbeitgeber beklagt politische Willkür

Mit heftiger Kritik reagiert die Arbeitgeberseite: Die SPD „torpediert die Arbeit der unabhängigen Mindestlohnkommission“, twittert der Geschäftsführer des Zentralverbandes im Deutschen Handwerk, Karl-Sebastian Schulte. Die Partei „verabschiedet sich offenbar von der Sozialpartnerschaft!“ Schulte gehört der Kommission ebenso an wie Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). „Keine politische Lohnwillkür, sondern klare Spielregeln“, mahnte dieser auf Twitter an. „Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirken gleichberechtigt – am Ende steht eine gerechte Anpassung des Mindestlohns.“

Laut dem Statistischen Bundesamt haben etliche Arbeitgeber den Mindestlohn in der Vergangenheit nicht eingehalten. So erhielten 2017 bis zu 830 000 Beschäftigte weniger als 8,84 Euro je Stunde. Weitere 500 000 Beschäftigungsverhältnisse lagen unter 8,50 Euro je Stunde.