Georg Niedermeier weiß, was er kann. Der VfB Stuttgart weiß das von sich auch: Zwischen 0:4 und 5:1 ist alles möglich. Jetzt suchen Verein wie Verteidiger einen Weg, um den jüngsten Aufwärtstrend zu verfestigen. Ob sie ihn gemeinsam gehen, ist offen.
Stuttgart - Wer Erfolg haben will, der muss sich strecken. Also setzte Georg Niedermeier nach fünf Minuten zur Grätsche an, fuhr das rechte Bein aus und spitzelte den Ball im Tiefflug über Hoffenheims Torhüter Oliver Baumann hinweg ins Netz. „Ich hab’ ja lange Haxen“, sagte Niedermeier über das 1:0 und schmunzelte: „Die habe ich aber auch gebraucht, um an den Ball zu kommen.“ Das zeigt: Einsatz zahlt sich meistens aus – und auf Niedermeier ist Verlass. In der Form vom Samstag mehr als das: Der Münchner krönte sein 142. Bundesligaspiel mit seinem ersten Doppelpack, er räumte vor dem eigenen Tor alles ab, was ihm in den Weg kam, rüttelte mit seinem unbändigen Kampfgeist Mitspieler wie Fans auf – und überraschte nach der Gala mit einem Rückblick in seine Anfänge als Fußballer. „Bis zur D-Jugend war ich Stürmer“, sagte Georg, den alle Schorsch nennen, „mir hat das gefallen, Tore zu schießen und zu jubeln.“ Dummerweise musste er damals mit dem Nachwuchs von Bayern München häufig gegen ältere Semester antreten: „Da wurde meine Kopfballstärke hinten gebraucht.“ Was nicht schlimm war für den jungen Georg: „Ich habe schnell Spaß an Zweikämpfen gefunden.“
So köpft und grätscht er sich seither durch Deutschlands Strafräume, und weil er das mit einer bemerkenswerten Robustheit tut, haben sie ihm beim VfB den Spitznamen „Niederstrecker“ verpasst. Das ist respektvoller gemeint, als es sich anhört: Ein Rastelli, bedeutet das, wird er nicht mehr, dafür überzeugt er mit Tugenden, die im modernen Laptop-Fußball als antiquiert gelten, durchaus aber auch im 21. Jahrhundert von Nutzen sein können: Zweikampfstärke, Härte, Herz, Einsatz, Leidenschaft.
Niedermeier: "Ein perfekter Tag"
Das alles hat die ganze Mannschaft beim 5:1 gegen die TSG Hoffenheim ausgezeichnet, wobei Künstler wie Filip Kostic und Daniel Didavi den Auftritt mit Spielwitz und Esprit gewürzt haben. Was herauskam, zerstreute die nicht eben geringe Furcht, der VfB könne nach dem 0:4 in Mönchengladbach in die nächste Sinnkrise stürzen. „Da haben wir den schwächsten VfB in dieser Saison gesehen, drei Tage später den stärksten VfB“, sagte Didavi. Bei zehn Punkten Abstand ist der direkte Abstieg nun wohl kein Thema mehr, auch die Relegation droht nicht akut. Weshalb Robin Dutt nun die Personalplanung vorantreiben kann. Die Frage ist nur: mit oder ohne Niedermeier?
Sportvorstand Robin Dutt vermeidet klares Bekenntnis zu Niedermeier
Dessen Vertrag läuft im Juni aus, und nach seinem Auftritt gegen Hoffenheim könnte kein Mensch nachvollziehen, wenn der Sportvorstand ihm den Laufpass gäbe. Andererseits begleiten Niedermeier stets Zweifel, ob und wie lange er diese Glanzform konservieren kann – und ob seine Qualitäten, in Abwägung mit seinen Schwächen und seinem Alter (30), wirklich zukunftweisend sind. „Wir sprechen mit allen Spielern, deren Verträge auslaufen“, sagte Dutt.
Zu ihnen zählt auch Daniel Schwaab (27), der zweite Innenverteidiger. Perspektivisch setzt der VfB auf Timo Baumgartl (20), der nach seiner Blinddarmoperation erst wieder ins Training zurückkehrt, und auf Neuzugang Federico Barba (22), der wegen eines Muskelbündelrisses in der Wade noch kein Pflichtspiel für den VfB bestritten hat und erst seine Eignung nachweisen muss.
Das spricht nun nicht gegen Georg Niedermeier – eher gegen Toni Sunjic (27), der wohl nur über eine Abfindung aus seinem Vertrag bis 2018 weiterzuvermitteln wäre. „Ich habe in Stuttgart meinen Lebensmittelpunkt gefunden, ich fühle mich wohl hier“, sagte Niedermeier, „es wird bald Gespräche geben. Mal sehen, was sie bringen.“
Verbale Spitze gegen Ex-Trainer Alexander Zorniger
Keine Frage: Niedermeier hängt am Verein – seine persönlich schwierigste Phase hat er schließlich hinter sich. „Kommt mir bloß nicht mit Niedermeier!“, hatte Kramnys Vorgänger Alexander Zorniger gesagt, als die Krise unter ihm kein Ende nahm – und ihn dauerhaft ins Abseits gestellt. Inzwischen ist Zorniger VfB-Geschichte und Niedermeier wieder obenauf. „Die Punkte, die wir seit dem Trainerwechsel einfahren, sprechen für sich“, sagte er. Es ist die einzige Spitze, die er sich erlaubt, denn: „Ich bin nicht der Typ, der nachkartet. Ich schaue nach vorn.“ Auch das zeichnet Niedermeier aus: Er ist einfach ein feiner Kerl.