Die Staatsanwaltschaft will beim Strafmaß noch eine Schippe drauf legen und fordert eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monate auf Bewährung und eine Geldbuße von 5000 Euro. Das Urteil gegen Bernd Klingler, den früheren FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat, wird kommende Woche erwartet. Er muss damit rechnen, wegen finanzieller Untreue verurteilt zu werden.
Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am Dienstag eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten für Bernd Klingler gefordert – mit einer Bewährungsfrist von zwei Jahren. Außerdem soll dem Ex-Fraktionschef der FDP eine Geldbuße in Höhe von 5000 Euro auferlegt werden. Sie geht damit über den Strafbefehl hinaus, der eine einjährige Bewährungsstrafe vorsieht und gegen den Klingler Einspruch eingelegt hatte. Demgegenüber hat der Anwalt des inzwischen zur rechtspopulistischen AfD gewechselten Angeklagten auf Freispruch plädiert.
Die Staatsanwältin zeigte sich überzeugt, dass die FDP keine Gegenleistung erhalten habe für 23 500 Euro, die Klingler für 80 000 Flyer und zusätzliche Werbeaktivitäten zur Öffentlichkeitsarbeit der FDP-Fraktion verwendet haben will. Diese Flyer seien in Wirklichkeit nie gedruckt worden. Einen Beschluss in der Fraktion habe es darüber nie gegeben, und die Beteiligten hätten auch kein Vorgehen vereinbart wie von Klingler behauptet. Der gibt an, er habe der Geschäftspartnerin Michela G. in der Stuttgarter Reinsburgstraße zuerst 11 750 Euro in bar gegeben, ihr dann in Tranchen 23 500 Euro überweisen lassen und habe dann selbst wieder 11 750 Euro als „Kickback-Provision“ für weitere Parteiaktivitäten erhalten.
Anwalt bestreitet strafrechtliche Schuld seines Mandanten
Für die Staatsanwältin liegt hier ein Scheingeschäft vor. Die Verteilung der Flyer kurz vor der Gemeinderatswahl 2014 wäre auch unzulässig gewesen angesichts der Regelungen über die Verwendung städtischer Gelder. Zudem legte sie Klingler die Barentnahme von 12 500 Euro aus der FDP-Kasse zur Last. Gut 10 000 Euro hatte er, nachdem seine Fraktionskollegen finanzielle Unregelmäßigkeiten beklagt hatten, zurückgegeben. Auch dieses Geld sei der Fraktion entzogen gewesen.
Klinglers Anwalt wies die Vorwürfe zurück. Die Flyer seien tatsächlich verteilt worden. Klinglers Geschäftspartnerin sei keineswegs das „Phantom aus der Reinsburgstraße“, als das sie hingestellt werde. Es gebe auch Zeugen, die die Broschüren gesehen hätten. Sein Mandat habe wohl gegen Richtlinien der Stadt und der Parteienfinanzierung verstoßen, doch deswegen sitze er nicht auf der Anklagebank: „Strafrechtlich ist er unschuldig.“ Zuvor war Klingler von früheren Parteifreunden belastet worden. Stadtrat Michael Conz sagte vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt aus, lediglich 10 000 Exemplare des Werbeflyers seien für das Fraktionssommerfest 2013 produziert worden. Davon, dass dann 80 000 Exemplare nachbestellt worden sein sollen, wisse er nichts. Die angeblichen Kosten für das Nachdrucken scheinen Conz sowieso weit überhöht: „Sollen die denn auf Goldpapier gedruckt worden sein?“
Vorsitzende Richterin hat Zweifel an Kick-off-Provisionen
Richterin Karin Langner ließ Zweifel anklingen, welchen Sinn die verdeckte Provision gehabt haben soll, wenn nicht für Taten im Sinne der Anklage. Solche Transaktionen kenne man in der Werbebranche bei Geschäften mit mindestens drei Beteiligten. Profitieren würden in der Regel die beteiligten Agenturen, nicht die Auftraggeber. Auch die Ex-FDP-Stadträte Günter Stübel und Carmen Hanle sagten, sie wüssten nichts von einem Druck- und Verteilauftrag für 80 000 Werbeflyer oder könnten sich nicht an einen Fraktionsbeschluss erinnern. Die amtierende FDP-Stadträtin Sibel Yüksel, die die Affäre ins Rollen gebracht hatte, erklärte, sie habe Klingler wiederholt nach Belegen und Rechnungen für die fünfstelligen Beträgen gefragt, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten. Klingler habe zudem verhindert, dass die Fraktion sich bei der Agentur telefonisch nach den Rechnungen erkundig: „Das wollte er partout nicht.“
Aufschlussreicher war der letzte geladene Zeuge: Der Kriminalhauptkommissar schilderte detailliert Geldbewegungen über Klinglers insgesamt 22 Konten bei verschiedenen Geldinstituten. Demnach hatte Klingler 2013 und 2014 immer wieder finanzielle Engpässe oder Zahlungsrückstände, die er durch Hin- und Her-Überweisungen auszugleichen suchte. Mehrfach wurden Überweisungen wegen Unterdeckung des Kontos von der Bank nicht akzeptiert. Sechsmal kam es zu Mahnverfahren, fünf Mal musste der Gerichtsvollzieher in Aktion treten. Dem Eindruck der Richterin, Klingler habe versucht, „gerade so über die Runden zu kommen“, widersprach der Polizist nicht. Klingler erklärte die Vorgänge mit seiner beruflichen Überlastung als Chef einer eigenen Werbeagentur und durch sein unermüdliches politisches Engagement: „Da verliert man schon mal den Überblick.“
Die Kripo hat auch die Konten der angeblich beauftragten Agenturchefin, die am Dienstag nicht vor Gericht erschien, unter die Lupe genommen. Auf ihrem Geschäftskonto gab es demnach über 18 Monate kaum Geschäftsvorgänge: Von insgesamt sechs Transaktionen waren fünf Überweisungen im FDP-Auftrag. Die Ermittlungen hätten auch ergeben, dass in mehr Fällen als bisher bekannt an die Agentur gezahlte Beträge am selben Tag auf ein Konto des Angeklagten umgebucht worden seien.
Klinglers Mutter entlastet den Sohn
Entlastet wurde Klingler dagegen von seiner Mutter. Sie sagte aus, das Geld, das er für ein neues Auto ausgeben wollte, hätten sie und ihr Mann dem Sohn geschenkt – genau 25 000 Euro. Laut Anklage soll Klingler das Luxusauto aber mit Geldern gekauft haben, die der Fraktion von der Stadt für die Finanzierung ihrer Öffentlichkeitsarbeit überlassen worden waren. In seinem Schlusswort warb der Angeklagte um Verständnis. „Es ist nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint“, sagte er und fügte in der ihm eigenen Diktion hinzu: „Ich hoffe, dass an das Thema nächste Woche ein positiver Knopf dran gemacht wird.“ Das Urteil fällt am 14. Juni.