Wie kann man Agrarwissenschaften virtuell studieren, ohne Kontakt mit echten Hälmchen? Geht gar nicht, finden zwei Studierendenvertreter der Uni Hohenheim. Von der Landesregierung verlangen sie ein Impfangebot und die Aufhebung der Abstandsregeln bei Lehrveranstaltungen.
Stuttgart - Sie fühlen sich von der Politik vergessen. Zwei Studierendenvertreter der Uni Hohenheim sind jetzt aktiv geworden und haben sich mit ihrem Anliegen direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Sozialminister Manfred Lucha (alle Grüne) gewandt. So, wie es jetzt sei, sei die Studierbarkeit von diversen Studiengängen nicht mehr gegeben, erklären Marie-Luise Dralle und Hauke Delfs, beide Masterstudierende im zweiten Semester, als Vertreter der Fachschaft Agrarwissenschaften. Auch in den Unigremien sind sie gut vernetzt. Dralle ist Mitglied im Unirat, Delfs in Senat und Fakultätsrat. In dem Schreiben übermitteln die beiden nicht nur ihre Enttäuschung über den Studigipfel im Mai, sondern auch einen Forderungskatalog.
Ganz oben auf der Liste steht: Studienbetrieb wieder aufnehmen
Ganz oben auf ihrer Liste steht die Forderung nach Präsenzveranstaltungen. Über die Wiederaufnahme des Studienbetriebs und die Entscheidung über dessen Umfang und den Zugang dazu solle jede Hochschule selbst entscheiden dürfen, verlangen sie. Abstandsregeln für Lehrveranstaltungen mit Hygienekonzept müssten fallen. Das bedinge ein Impfprogramm für alle Studierenden, dafür müssten die Impfzentren offen bleiben und den Studierenden einen separaten Zugang schaffen. Zudem fordern sie, dass zeitnahe Maßnahmen für die Durchführung des Wintersemesters 2021/22 formuliert, kommuniziert und auch umgesetzt werden sollen.
Denn, so argumentieren die beiden Studierendenvertreter: „Eine Universität ohne Präsenzlehre wäre wie Baden-Württemberg ohne Maultaschen und Kässpätzle.“ Dieser Satz sei ihnen in der WG eingefallen, erzählt Dralle. Aber leider sei genau dieses Szenario eingetreten und nachhaltiger Schaden entstanden – und auch weiterhin zu erwarten. Kontroverse Debatten in der Vorlesung? Bei Zoom-Veranstaltungen Fehlanzeige. „Der Diskurs fehlt komplett“, bedauern Delfs und Dralle. Denn es gebe bei Online-Vorlesungen eine hohe Hemmschwelle, Fragen zu stellen. Und speziell ein Agrarstudium lasse sich nicht auf Youtube-Filmchen reduzieren. „Agrar, das muss man leben, das lernt man nicht vorm Laptop“, sagt Delfs. „Vom Hörsaal aufs Feld und zurück – das Grundlegende, das fehlt“, bedauert er. Fast alle bodenkundlichen Exkursionen seien ausgefallen. In der vergangenen Woche habe er an der ersten Exkursion zum Ihinger Hof teilgenommen. Dies sei durch eine Ausnahmegenehmigung vom Rektorat möglich geworden, das müssten die Professoren zuvor erst beantragen. „Das gibt einem ein bisschen Aufwind – viele Studierende sind extra zu diesem Termin angereist“, berichtet er. Dralle ergänzt: „Alle, die ein Laborpraktikum machen müssen, haben Glück, die dürfen an die Uni.“ Aber das, sagt Hauke Delfs, sei die Ausnahme. Denn eigentlich sei die noch zu.
Die klassischen Kennenlerngelegenheiten sind gestrichen
Deutliche Spuren habe die Pandemie vor allem bei den Studienanfängern hinterlassen. 65 Prozent von ihnen hätten in einer Befragung an der Uni Hohenheim angegeben, durch die präsenzlose Lehre psychische Probleme zu haben. „Den jungen Menschen ist nun schon seit drei Semestern die Möglichkeit genommen worden, ein Netzwerk zu bilden“, sagt Marie-Luise Dralle, „das kann man nur in geringem Maß aufholen.“ Genau dies sei auch der Grund, weshalb sie nach dem Bachelor auch den Master in Hohenheim machen wollte und nicht woanders. Das gehe vielen so, bekräftigt Delfs. „Die wollten sich das nicht antun, woanders zu sitzen und niemanden zu kennen.“ Denn all die klassischen Kennenlerngelegenheiten seien ja gestrichen: Nicht nur Partys, sondern auch zusammen vor dem Hörsaal zu warten oder in die Mensa zu gehen. Oder abends bei der Fachschaftssitzung und anschließend beim Bier. Die Fachschaftssitzung gebe es zwar noch, halt über Zoom. Da seien die Treffen etwa von Studierendenvertretern mit Korinna Huber, der Prorektorin für Lehre, im Institut im zwanglosen Rahmen eben doch was anderes gewesen. Auch die Lerngruppen fehlten, dabei gäben diese einem viel, sagt Delfs.
Vom Studigipfel im Mai sind Delfs und Dralle enttäuscht: „Wirklich getan hat sich nichts.“ Und nun? „Wieso sind die Öffnungsschritte für Hochschulen bei sinkenden Inzidenzen nicht denen des öffentlichen Lebens angepasst?“, fragen die Studierendenvertreter in ihrem Schreiben die Minister. Seit fast zwei Wochen warten sie auf Antwort. Bisher vergebens.