Mit dem Lernstoff kommen die meisten Studierenden auch in Digitalformaten gut klar. Aber vielen macht die psychische Belastung durch fehlende Netzwerke zu schaffen. Das zeigt jetzt eine Befragung von fast 3000 Studierenden und 300 Lehrenden der Uni Hohenheim.
Stuttgart - Vor einem Jahr mussten die Hochschulen wegen der Coronapandemie Knall auf Fall nahezu ihren kompletten Lehrbetrieb auf Digitalformate umstellen. Die Universität Hohenheim wollte nun wissen, wie die Betroffenen damit zurechtkommen, und hat im Dezember 2284 Studierende aus allen Studiengängen sowie 304 Lehrende dazu befragt – natürlich online.
Das Ergebnis: Die psychische Belastung hat zugenommen, vielen fehlt der direkte Austausch – aber beim Verständnis des Lernstoffs gab es kaum Schwierigkeiten. Neben einer Bewertung der Online-Lehrveranstaltungen wurden unter anderem technische, organisatorische, psychische und soziale Faktoren abgefragt. Fazit von Korinna Huber, Prorektorin für Lehre: „Die Befragung zeigt uns aktuelle Problempunkte, aber auch das mögliche Potenzial der digitalen Formate.“ Insgesamt seien zwei Drittel der Studierenden mit den Angeboten der Uni Hohenheim zufrieden, 13 Prozent gar nicht.
Hohe Anforderungen an sich selbst
„Deutlich wird unter anderem auch, dass die Studierenden während der Coronapandemie weiterhin hohe Ansprüche an sich selbst stellen“, berichtet Korinna Huber. So gaben 38 Prozent der Bachelor- und 27 Prozent der Masterstudierenden an, dass sie sich zu Semesterbeginn mehr vorgenommen haben als sonst. Neun Prozent der Bachelor- und 13 Prozent der Masterstudierenden wollten das Studium in Coronazeiten hingegen lockerer angehen.
Die Leiden in der Isolation
65 Prozent der Studierenden berichteten von einer verstärkten psychischen Belastung während der Online-Semester, unabhängig von Fachsemester, Bachelor oder Master. Als Gründe nannten sie Einsamkeit, Isolation und fehlende soziale Netzwerke, aber auch Unsicherheit über den Ablauf des Studiums und Probleme, sich selbst zu organisieren und zu motivieren. „Das müssen wir sehr ernst nehmen“, findet Korinna Huber. Hinzu kommt: 62 Prozent der Studierenden fühlen sich nicht ausreichend über Beratungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen informiert. Aber auch die Professoren leiden. Bei ihnen nagt vor allem der Mehraufwand durch die Umstellung des Lehrbetriebs auf online und die damit verbundene mangelnde Trennung von Arbeit und Privatbereich. Das beklagt die Hälfte der Befragten. Unter sozialer Isolation und gestiegenem Leistungsdruck leidet ein Drittel der Lehrenden, fast ebenso viele fühlen sich für die Anforderungen des digitalen Lehrbetriebs nicht gut genug gerüstet. Bei einem Fünftel von ihnen kam noch eine Zusatzbelastung durch die Betreuung von Kindern oder Pflege hinzu.
Zu wenig Lerngruppen
Dass virtuelle Formate Nachteile auf der sozialen Ebene mit sich bringen und somit auch der direkte Austausch zwischen Kommilitonen, aber auch mit den Professoren wegfällt, liegt auf der Hand. Mehr als die Hälfte der Studierenden berichtet, dass in ihrem Studiengang keine Online-Lerngruppen stattfinden. Ebenso viele kämpfen während der Online-Lehre um Konzentration und Motivation. Nur 19 beziehungsweise 24 Prozent haben diese Probleme häufiger bei Präsenzveranstaltungen.
Unterschiedliche Bewertung des Studienalltags
Der Vergleich zwischen Präsenzveranstaltungen in Vor-Corona-Zeiten und Online-Formaten fällt bei den Studierenden unterschiedlich aus. So konnten 44 Prozent von ihnen ihren Studienalltag vor Corona, also klassisch, leichter organisieren, 33 Prozent fällt das hingegen beim Digitalsemester leichter. Und 23 Prozent sahen keine großen Unterschiede. Hemmungen, sich zu Wort zu melden, hatten bei Digitalformaten 36 Prozent, im realen Hörsaal nur 27 Prozent. Für 37 Prozent macht das Format da keinen Unterschied. Bei der Frage, wie gut verständlich die unterschiedlichen Formate sind, schnitten die Online-Veranstaltungen besser ab: 34 Prozent der Studierenden konnte diesen besser folgen, bei den Präsenzveranstaltungen fällt das 27 Prozent leichter, 40 Prozent sind unentschieden. Zu schaffen macht vielen Studierenden die Prüfungsdichte. Ein Drittel der Bachelorstudenten und ein Fünftel der Masterstudenten waren deshalb von einer oder mehreren Prüfungen zurückgetreten.
Kaum technische Probleme
Technische Probleme wie ein fehlendes beziehungsweise ein defektes Laptop oder eine schlechte Internetverbindung spielen für die meisten Uniangehörigen offenbar keine Rolle. Zwei Drittel haben damit keine Schwierigkeiten. Aber: 13 bis 14 Prozent der Studierenden und fünf Prozent der Lehrenden haben damit ständig Probleme. „Das sind natürlich immer noch zu viele“, findet Korinna Huber.
Was sich Studierende wünschen
Ganz oben auf der Wunschliste stehen mehr Vernetzungsmöglichkeiten, Sprechstunden, Lerngruppen und Livechats, aber auch klarere Informationen über Fristen und Prüfungen.
Welche Konsequenzen die Uni zieht
Für Korinna Huber ist klar, „dass wir auch in Zukunft keine Fernuni werden wollen“. Aber man diskutiere über einen verbesserten Zugang zu digitalen Beratungsangeboten, verfeinere das didaktische Angebot, das ja aus dem Notbetrieb heraus entwickelt wurde. Fernziel sei, die positiven Elemente aus der Online-Lehre mit geeigneten Formaten der Präsenzlehre zu kombinieren. Digitale Lehrveranstaltungen könnten zudem bei der Vernetzung mit internationalen Partnerunis interessant sein.