Übt Kritik am Spähprogramm der NSA: Thomas Drake Foto: dpa

Thomas Drake war wie Edward Snowden Mitarbeiter des US-Geheimdiensts NSA. Nun soll Drake vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Es ist Brisantes zu erwarten.

Thomas Drake war wie Edward Snowden Mitarbeiter des US-Geheimdiensts NSA. Nun soll Drake vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Es ist Brisantes zu erwarten.

Washington - Erst das Heu auf einen gewaltigen Haufen schaufeln, um anschließend darin eine Stecknadel zu suchen – ungefähr so beschreibt Thomas Drake, wie die „National Security Agency“ (NSA) mit ihren rund 45 000 Mitarbeitern und einem auf zehn Milliarden Dollar (7,3 Milliarden Euro) geschätzten Haushalt ihre Aufgaben angeht. Der Geheimdienst-Experte sieht darin nicht nur einen massiven Eingriff in die Bürgerrechte, sondern auch eine enorme Steuergeldverschwendung. Denn die NSA habe nicht einen einzigen Terrorplan aufgedeckt.

Der Mann weiß, wovon er spricht. Der 11. September 2001 war Drakes erster Tag als Software-Entwickler in der NSA-Zentrale von Fort Meade. Dort gehörte er als IT-Spezialist zum auserlesenen Kreis jener leitenden Mitarbeiter, die Zugang zu den Top-Geheimnissen der USA hatten. Vom 9/11-Untersuchungsausschuss in Washington war Drake deshalb ausgiebig vernommen worden, und man hörte ihm aufmerksam zu, als er die Versäumnisse der Behörde darstellte.

Damit machte sich Drake beim damaligen NSA-Chef Michael Hayden alles andere als beliebt. Denn Hayden war es, der den Grundstein dafür legte, was Kritiker als schier unbegrenzte Sammelwut des Geheimdienstes beschreiben. Für diese Sammelwut stand das Projekt mit dem Codenamen „Trailblazer“ zur Verfügung – Wegbereiter für Prism, einem vom NSA genutzten Programm zur Überwachung und Auswertung elektronischer Medien und elektronisch gespeicherter Daten.

Aufklärung hätte billiger sein können

Es ist der junge Edward Snowden, der die Machenschaften im vergangenen Jahr enthüllt. Drake gehört zu denen im NSA-Management, die Bedenken anmelden. „Trailblazer“ sei zu teuer, überfordere den Geheimdienst mit allzu vielen Informationen, zudem verletze es die Verfassung, ohne die USA sicherer zu machen. Drake unterstützt das schlankere Projekt seines Kollegen William Binney: „ThinThread“. Dies wäre nicht nur sofort einsetzbar, sondern würde die Behörde Millionen statt Milliarden kosten. Drake ist überzeugt, dass so Hinweise auf die Anschlagspläne für den 11. September 2001 hätten entdeckt werden können, ohne Bürger unter Generalverdacht zu stellen.

Doch die NSA-Führung geht unter Hayden einen anderen Weg. Sie unterzeichnet milliardenschwere Verträge mit Rüstungsunternehmen, die, so Drake, „regelmäßig die Privatsphäre unschuldiger Bürger verletzten“. Der Mann, der als Soldat, Verschlüsselungsspezialist, Pentagon-Experte und NSA-Manager für die Sicherheit seiner Landsleute gearbeitet hat, muss zusehen, wie die Regierung plötzlich die eigene Bevölkerung ins Visier nimmt. Der damalige US-Präsident George W. Bush gibt für entsprechende Maßnahmen höchstpersönlich grünes Licht – und erlaubt der NSA, ohne richterlichen Beschluss Auslandsgespräche von Amerikanern abzuhören.

Drake studiert die Regeln für „Whistleblower“ im Geheimdienstbereich und versucht zunächst, über den Dienstweg seine Bedenken anzumelden. Er wendet sich an seine Vorgesetzten, kontaktiert den zuständigen General-Inspektor und spricht mit Mitgliedern des Kontrollausschusses der Geheimdienste im Kongress. Die Bemühungen enden in der Sackgasse. Deshalb kann er gut verstehen, warum Snowden einen anderen Weg wählt.

US-Regierung kommt Drake auf die Schliche

Die Behauptung, es gebe genügend interne Kanäle, um über Missstände zu sprechen, ist in Drakes Augen „pure Heuchelei“. Nachdem er jahrelang gegen die Wand gerannt war, nahm er 2006 anonym Kontakt zu einer Reporterin der „Baltimore Sun“ auf. Gestützt auf seine Informationen schrieb diese eine Reihe enthüllender Artikel, die Probleme mit „Trailblazer“ offenlegen.

Die Regierung kommt Drake allerdings auf die Schliche und will ihn wegen Verstößen gegen das Spionagegesetz für 35 Jahre hinter Gitter stecken. Drake verliert seinen gur bezahlten Job, seine Pension, seine bürgerliche Existenz. Seine Freiheit behält er nur, weil die Anklage kurz vor Prozessbeginn im Juni 2011 zusammenbricht. Die Staatsanwaltschaft kann ihm keinen Geheimnisverrat nachweisen. Seitdem hat Drake zwei angesehene „Whistleblower“-Auszeichnungen erhalten. Er engagiert sich zudem mit Nachdruck für eine Eindämmung der NSA-Aktivitäten.

Im vergangenen Oktober besuchte er Edward Snowden mit einer Delegation Gleichgesinnter in Moskau. Er sagte vor dem Bürgerrechtsausschuss des Europäischen Parlaments aus und wird an diesem Donnerstag in Berlin vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen. Neben Drake hat das Gremium William Binney, ebenfalls früherer NSA-Mitarbeiter, geladen, um Informationen über die Arbeitsweise des US-Geheimdiensts zu erhalten. Mit der Befragung Binneys und Drakes steigen die acht Abgeordneten erstmals in die Zeugenvernehmung ein. Bisher hörte das Gremium mehrere Sachverständige, die den rechtlichen und technischen Hintergrund der Spionageaffäre erläuterten.

Bundestag muss sich auf Unangenehmes einstellen

Drake ist davon überzeugt, dass Snowdon gut daran tut, nicht in die USA zurückzukehren. „Nimm dir ordentliche Anwälte und bleibe an einem Ort, wo sie Deine Auslieferung nicht arrangieren können“, hat er dem flüchtigen Whistleblower öffentlich geraten. In seiner Heimat habe Snowden doch keinen fairen Prozess zu erwarten.

Bei der Anhörung im Bundestag müssen sich die Parlamentarier auf ein unangenehme Momente einstellen. Deutschland sei zum „Ausspähziel Nummer eins“ geworden, sagt der frühere NSA-Mitarbeiter dem „Spiegel“. Der US-Geheimdienst habe die Deutschen in gewisser Hinsicht dafür bestrafen wollen, „dass die Attentäter unbemerkt unter ihnen leben, trainieren und kommunizieren konnten“. Im Interview mit der „Welt am Sonntag“ kündigte Drake an, vor dem Bundestag „spezifische Informationen“ über die Zusammenarbeit von NSA und Bundesnachrichtendienst (BND) auszubreiten. „Ich habe diese geheimen Absprachen gesehen. Sie sind extrem weitgehend.“ Drake betont, die Verärgerung der US-Geheimdienste über Deutschland habe ironischerweise die Beziehung zum BND noch vertieft, „weil die NSA mehr Kontrolle darüber haben wollte, was Eure Jungs hier machen“. Deutschland gehöre heute offiziell wie Großbritannien oder Australien nicht zu den allerengsten Verbündeten der NSA. „Aber die Beziehung ist so eng und wichtig, dass es kaum einen Unterschied gibt“, sagt er. Die bisherigen Enthüllungen Snowdens, davon ist Drake überzeugt, seien nur die „Spitze des Eisbergs“.

Daheim in Maryland versucht der Vater von fünf Söhnen, eine neue Existenz aufzubauen. Nach dem Verlust seines Regierungsjobs schlug er sich als iPhone-Verkäufer in einer Apple-Filiale durch. Neuerdings kommen Berateraufträge hinzu.

Eines Tages kam der amerikanische Justizminister Eric Holder in den Laden. Drake wollte von ihm wissen, warum dessen Staatsanwälte ihn angeklagt hätten. „Ja, ich bin im Bilde“, antwortete Holder knapp. „Kennen Sie auch den Rest der Geschichte?“, fragte Drake. Die wollte der Minister beim iPhone-Kauf dann lieber doch nicht hören – und verschwand.