Diskutieren über Ernährung: Redakteurin Anja Wasserbäch, Spitzenkoch Alexander Herrmann, Minister Cem Özdemir und Chefredakteur Christoph Reisinger (v.li.) Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit Sauerkrautsaft 104 Jahre alt werden und die Brezel zum Weltkulturerbe erklären: Leser unserer Zeitung erleben Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Sterne- und Fernsehkoch Alexander Herrmann beim Treffpunkt Foyer.

Auch ein Bundesminister ist vor dem klassischen deutschen Bahnchaos zwischen Berlin und Stuttgart nicht gefeit: Cem Özdemir, grüner Agrarminister, steckte im Zug noch auf der Zielgeraden fest, als der Treffpunkt Foyer unserer Zeitung zum Thema „Was ist uns unser Essen wert?“ in der Sparkassen-Akademie Baden-Württemberg in Stuttgart am Freitagabend bereits angerichtet war.

Wie gut, dass bei dieser köstlichen Veranstaltung nicht nur ein prominenter Gast eingeladen war, sondern gleich zwei. So konnte der fränkische Sterne- und Fernsehkoch Alexander Herrmann zum Warm-up bereits jede Menge Grüße aus der Küche servieren, also inhaltlich.

Der Fernsehkoch zeichnet spontan eine Eule

Herrmann betrat überpünktlich bereits um 19.20 Uhr die Bühne. Den Szenenapplaus erstickte er im Keim: „Bitte tun Sie so, als wäre ich gar nicht da. Ich will nur einen Gin in Sicherheit bringen, den ich eben geschenkt bekommen habe. Oder wollen Sie den, falls Sie sich den Abend schöntrinken müssen?“ Der 51-jährige Koch aus Franken gab hier ein Autogramm, fragte dort freundlich nach, ob man die Gäste aus Gründen in die letzte Reihe abgeschoben hätte und zeichnete aus dem Stegreif einem Besucher eine Eule, und das in bemerkenswerter Qualität.

Ob Cem Özdemir (56) eine ebenso schöne Eule hätte zeichnen können, ließ sich leider nicht verifizieren. Um 19.40 Uhr betrat der Abgeordnete des Wahlkreises Stuttgart I schließlich den Saal, um die einzelnen Stationen seines Bahnabenteuers zu schildern, auch in Bezug auf die Verpflegung: „Wenn ich mit der Bahn fahre, habe ich immer etwas dabei, falls das Bordbistro nichts oder nur noch kalte Speisen im Angebot hat“ – was bei Özdemirs Verbindung natürlich der Fall war.

Bei den Themen Bahn (Özdemir: „Ich plane immer einen Zug früher ein, dann komme ich grad e’ weng zu spät“) und Verpflegung hatte der Politiker das Publikum direkt in seinen Bann gezogen, denn: Essen ist immer etwas ganz Persönliches. Die Gerichte und Gerüche unserer Kindheit begleiten uns im besten Fall ein ganzes Leben lang.

Das Thema Ernährung bedeutet einerseits Emotion und Erinnerung, andererseits spüren Verbraucherinnen und Verbraucher, dass die Inflation Lebensmittel und Restaurantbesuche erheblich teurer machen. Droht uns also ein nicht ganz so gastlicher Herbst und Winter?

Furzende Kühe sind schlecht fürs Klima

Die Antwort auf diese und viele andere Fragen zum Thema „Was ist uns unser Essen wert?“ erhielten 340 Leserinnen und Leser der Stuttgarter Nachrichten und ihrer Partnerzeitungen am Freitagabend beim Treffpunkt Foyer in der Sparkassenakademie zwischen Stadtbibliothek und Hauptbahnhof, moderiert von Christoph Reisinger, Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, und Redakteurin Anja Wasserbäch, die das Thema der Kulinarik in unserem Blatt abbildet.

Die Rollenverteilung auf der Bühne war schnell klar: Während Cem Özdemir auf Knopfdruck schwäbeln und bei aktuellen politischen Diskussionen aus dem Nähkästchen plaudern kann, war Alexander Herrmann an diesem Abend für die pointierten Aussagen zuständig: „Die Kühe furzen uns die Atmosphäre kaputt“, natürlich sei weniger Fleischkonsum etwas Sinnhaftes: „Es reicht aber nicht, nur in Deutschland auf die Tierhaltung zu achten, dann holen sie das Fleisch von woanders. Wir brauchen eine europäische Lösung!“

In dieser Frage gab der Bundespolitiker dem Spitzenkoch sofort recht: „Ich habe mich stark dafür eingesetzt, dass ein europäisches Herkunftskennzeichen kommt, damit der Verbraucher selbst entscheiden kann, ob er das Fleisch aus Deutschland kauft, weil die dort einen Mindestlohn kriegen und Standards einhalten.“

Wie persönlich das Thema Essen und Ernährung ist, zeigte sich beim Treffpunkt Foyer auch an den unterschiedlichen Biografien der Gäste. Alexander Herrmann erzählte von seiner Großmutter, die unglaubliche 104 Jahre alt wurde, auch wegen ihrer Ernährung: „Oma Herta hat all das gemacht, was heute empfohlen wird: Nudeln waren für sie Mehlquatsch und jeden Morgen hat sie ein Gläschen Sauerkrautsaft getrunken.“ Aus dem Sauerkrautsaft sei dann der Gedanke entstanden, ein Buch übers Fermentieren zu machen, erklärte Herrmann, dessen Gourmetrestaurant in Herrmann´s Posthotel im fränkischen Wirsberg derzeit mit zwei Michelin-Sternen dekoriert ist.

Erst Rote-Wurst-Ultra, dann Vegetarier

Özdemir erzählte dagegen vom Aufwachsen in Bad Urach, als Kind zweier Gastarbeiter, beide Elternteile waren berufstätig. „Ich hatte 1,60 Mark für das Mittagessen. Das reichte für Currywurst, Rote Wurst oder Pommes.“ Özdemir habe sein Soll in der Kategorie Rote Wurst also erfüllt für den Rest seines Lebens – „und ich lebe noch.“

Im Alter von 17 Jahren wurde Cem Özdemir schließlich Vegetarier, sehr zum Verdruss seines Vaters, der in der Fabrik schuftete, auch um Fleisch bezahlen zu können. Einige Jahre später wurde auch die Mutter zur Vegetarierin. „Mein Vater sagte lange, jetzt bin ich der einzige Normale in der Familie, ehe er auch auf pflanzliche Ernährung umstellte“, so Özdemir.

Zum Schluss geht es um schwäbische Hochkultur

Angesichts immer länger werdender Schlangen vor den Einrichtungen der Tafel, stellte Christoph Reisinger die Frage: „Wird gutes Essen für ärmere Menschen unerschwinglich?“ Cem Özdemir erklärte: „Wir haben eine Verlagerung vom Hofladen, vom Bioladen zum Discounter. Dass die Leute preiswerter einkaufen, kann ich sehr gut verstehen. Wir haben in Deutschland aber die Möglichkeit, gemeinsam gut durch den Winter zu kommen. Andere Länder hätten gerne unsere Probleme“, erklärte Özdemir und erinnerte an den Grund für die aktuelle Verteuerung von Lebensmitteln: „Das sind die Folgen eines schrecklichen, feigen Angriffskrieges von Wladimir Putin gegen die Ukraine. Wir hoffen, dass dieser schreckliche Krieg bald endet.“

Zum Schluss ging es um schwäbische Hochkultur, um den Ausdruck hiesiger Bäckerskunst. Redakteurin und Moderatorin Anja Wasserbäch wollte in Stuttgart, in der Stadt, in der es schon einmal um oben und unten gegangen ist, wissen: „Wo ist bei der Brezel oben und unten?“ Verblüffende Antwort: Laut Agrarminister seien die Ärmchen oben. Er nutzte diesen Anatomie-Exkurs in die Welt des Laugengebäcks für die folgende Botschaft: Özdemir setze sich derzeit dafür ein, dass die Brezel als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt werde. Sehr zur Freude des Publikums im Saal.

Das kam zum Finale dann selbst zu Wort und durfte den prominenten Gästen Fragen stellen: Dabei ging es unter anderem um Chancen und Risiken veganer Ernährung, um Lebensmittelverschwendung und um die Frage, wann ein europäischer Nutriscore von Lebensmitteln kommen könnte. Im nächsten Jahr, wenn es nach Cem Özdemir geht. Alexander Herrmann verriet dann noch, wieso er im Gegensatz zu Özdemir pünktlich beim Treffpunkt Foyer eingetroffen sei: Er sei natürlich mit dem Auto angereist.