Streit um den Wohnungsbau: grüne Wiese opfern oder Freiflächen schützen? Foto: dpa

Susanne Bay, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Land, spricht sich für Wohnungsbau auf der grünen Wiese aus – für viele ihrer Parteigenossen ein rotes Tuch. Haus-und-Grund-Chef Ottmar Wernicke beurteilt hohe Wohnkosten derweil als klaren Standortnachteil.

Stuttgart - Susanne Bay, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Land, spricht sich für Wohnungsbau auf der grünen Wiese aus – für viele ihrer Parteigenossen eine Unmöglichkeit. Derweil beurteilt Haus-und-Grund-Chef Ottmar Wernicke hohe Wohnkosten als klaren Standortnachteil für den Südwesten.

Stuttgart – - Frau Bay, Herr Wernicke, es stehen sich zwei Ziele unvereinbar gegenüber: Zum einen das Ziel, keinen Boden zu versiegeln, auf der anderen Seite das Vorhaben, in Zeiten der Wohnungsnot neue Wohnungen zu bauen. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
Wernicke: Der aktuelle Wohnungsmangel ist so groß, dass die Lösung nicht heißen kann: reine Innenverdichtung betreiben. Es muss auch neues Bauland ausgewiesen werden. Das größte Problem aber sehe ich darin, dass es kein Verzeichnis gibt, aus dem hervorgeht, wo es überhaupt rasch bebaubare Flächen gibt.
Bay: Da muss ich widersprechen – eine einheitliche Übersicht gibt es nicht, aber die Flächenverwaltung ist eine Kernkompetenz der Städte und Gemeinden. Und entsprechende Kataster werden von den Kommunen bereits geführt, da die bestimmen, wo am Ende gebaut werden darf.
Frau Bay, damit haben Sie aber nicht beantwortet, ob neue Flächen für den Bau von Wohnungen bereitgestellt werden sollen oder nicht.
Bay: Es muss unser Ziel sein, den Flächenverbrauch zu stoppen. Aber ich bin nicht naiv und die aktuelle Wohnungsnot ist ein Problem. Natürlich geht es heute darum, wie man an bebaubare Flächen kommt. Dabei gilt für mich: zuerst innen, also auf bereits versiegelter Fläche zu bauen. Doch wenn es keine passenden Alternativen gibt, muss auch im Außenbereich gebaut werden. Es muss immer ein gründlicher Abwägungsprozess ablaufen.
Wenn tatsächlich auf der grünen Wiese gebaut wird, was ist Ihnen dabei wichtig?
Bay: In den 1970er Jahren hat man sehr schnell ganz viel Wohnraum erstellt. An diesen Bausünden und Trabantenstädten leiden wir noch heute – sozial wie ökologisch. Das darf nicht mehr passieren.
Wernicke: Da bin ich ganz bei Ihnen. Wir dürfen keine neuen sozialen Brennpunkte schaffen. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, landesweit zu erfassen, welche Flächen vorhanden sind. Damit will ich die Hoheit der Kommunen nicht beschneiden. Doch wenn man genau wüsste, wo man rasch bauen könnte, ließe sich der Druck auf einzelne Städte erhöhen, wenn diese Potenziale vor Ort nicht genutzt werden.
Wenn wir keine Hochhaussiedlungen mehr wollen, heißt das im Umkehrschluss: Nur noch freistehende Einfamilienhäuser auf die grüne Wiese zu setzen?
Wernicke: Ausgehend vom extrem hohen Wohnungsbedarf ist die Dichte neuer Wohngebiete eine wichtige Frage. Denn wenn wir alle benötigten Wohneinheiten als Einfamilienhäuser bauen, müssen wir die Fläche einer Stadt wie Ludwigsburg zubauen. Wenn es im verdichteten Wohnungsbau geschieht, reicht die Fläche eines kleinen Dorfes. Das ist der Schlüssel. Es muss auch auf dem Land dichter als bisher gebaut werden. Zudem ergibt sich die Notwendigkeit, dichter zu bauen, schon allein aus der Tatsache, dass Normalverbraucher sich ein Einfamilienhaus schon lange nicht mehr leisten können.
Bay: Sie haben Recht. Die Flächen, die wir ausweisen, müssen wir klug und vor allen Dingen effektiv ausnutzen. Ich bin sehr für Geschosswohnungsbau – auch auf dem Land.