Die Polizei im Land hat reichlich zu tun. Foto: dpa/Marijan Murat

Auch in Baden-Württemberg ist die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr gestiegen. Innenminister Thomas Strobl hält die Zuwanderung für einen der Hauptgründe – allerdings auch die hohe Inflation.

230 Seiten stark ist das Buch, das am Donnerstagvormittag vor Innenminister Thomas Strobl (CDU) liegt. Der Sicherheitsbericht für 2023 listet ausführlich auf, wie es um die Kriminalität in Baden-Württemberg bestellt ist. Die Diskussionen, die schon seit Tagen laufen, dürften damit wohl noch mehr Fahrt aufnehmen. Denn nach dem Bund verzeichnet nun auch der Südwesten eine gestiegene Zahl an Straftaten. Und es stellt sich die Frage: Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Das ist wie so häufig bei Statistiken eine Frage der Interpretation. Strobl sieht die Zuwanderung, aber auch wachsende Armut durch die hohe Inflation als Treiber der Kriminalität.

Die Gesamtlage

Die Zahl der Straftaten im Land ist im vergangenen Jahr um 45 000 auf knapp 595 000 gestiegen. Das entspricht einem Plus von acht Prozent. Ein guter Teil davon ist allerdings auf ausländerrechtliche Verstöße zurückzuführen, die im Jahr 2023 im Zuge der anhaltenden Zuwanderung um fast zwei Drittel angestiegen sind. „Baden-Württemberg ist in Sachen Sicherheit spitze“, sagt Strobl. Nur in Bayern lasse es sich bundesweit vergleichbar sicher leben. Die Zahl der Straftaten pro 100 000 Einwohner lag bei 4952. Das ist tatsächlich weit unter dem Bundesschnitt von 6688. Die Polizei, so der Innenminister, bringe einen hohen Einsatz. Die Aufklärungsquote habe sich dadurch auf 61,2 Prozent verbessert und liege auch über dem Schnitt der Republik. „Doch es gibt auch Bereiche, die große Sorgen machen“, sagt Strobl – und warnt vor zu einfachen Schlüssen: „Die Statistik ist zu komplex dafür.“

Ausländerkriminalität

Dieser Punkt hat zuletzt bundesweit für die heftigsten Diskussionen gesorgt. Und auch im Land sind die Zahlen auffällig. Bei den Tatverdächtigen hat mittlerweile fast die Hälfte keinen deutschen Pass. 78 600 Straftaten sind von Geflüchteten begangen worden – nach 53 000 im Jahr zuvor. Allerdings waren knapp die Hälfte davon ausländerrechtliche Verstöße. Und die Zahl der Ausländer in Baden-Württemberg hat sich weiter erhöht. Klar ist jedoch: Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und besonders Geflüchtete sind bei Straftaten weit überrepräsentiert. Das liege oft an ihrer Situation und daran, dass es sich um junge Männer handle, so Strobl. Er sagt aber klar: „Wir müssen die illegale Einwanderung mit mehr Entschiedenheit bekämpfen. Und wer hier Schutz sucht, aber Straftaten begeht, hat sich dagegen entschieden, hier zu bleiben.“

Kinder und Jugendliche

52 700 Tatverdächtige waren unter 21 Jahre alt – ein deutlicher Anstieg. Auffällig ist der besonders bei Kindern. Etwa ein Viertel sind Mehrfachtäter. Ein neues Programm von Polizei, Staatsanwaltschaften und Jugendämtern soll sich um die besonders harten Fälle kümmern, um frühe kriminelle Karrieren zu verhindern.

Gewalt gegen Einsatzkräfte

Höchstwerte überall: fast 6000 Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten, gut 3000 dabei verletzt. 236 Helfer von Rettungsdienst und Feuerwehr wurden zu Gewaltopfern, 111 verletzten sich.

Politisch motivierte Kriminalität

Erfreulich: Hier gab es einen Rückgang um über 1300 Fälle und damit fast ein Viertel. Das liegt vor allem an weniger Taten im Kontext der Pandemie und des Ukraine-Krieges. Allerdings ist die Trendwende bereits eingeleitet. Seit dem Hamas-Überfall auf Israel im Oktober und dem folgenden Gegenangriff ist die Zahl der antisemitischen Taten explodiert und lag mit 668 auf einem Zehn-Jahres-Hoch. „Diese Zahlen sind alarmierend“, so Strobl.

Eines ist sicher: Auch diese Kriminalitätsstatistik wird für längere Zeit reichlich Anlass für unterschiedlichste Interpretationen liefern. Scharfe Kritik an der Präsentation kommt bereits kurz danach von der Opposition im Land. „Gerade der Anstieg der Gewaltkriminalität, aber auch der Anstieg der jugendlichen und ausländischen Tatverdächtigen im letzten Jahr ist besorgniserregend. Hier brauchen wir eine klare Antwort“, sagt SPD-Innenexperte Sascha Binder. Dazu müsse der Innenminister aber wissen, woran der Anstieg liege. Diese Klarheit habe Strobl nicht geliefert. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft übt Kritik: „Die Kriminalität steigt und damit auch die Anzahl der ungeklärten Fälle. In der Zeit von 2016 bis 2023 konnten bei Aufrechnung aller Jahreszahlen fast 1,7 Millionen Straftaten nicht aufgeklärt werden. Das ist ein Negativrekord.“ Es sei „erschreckend“, wie die Lage verharmlost werde. Das Dunkelfeld, also die tatsächliche Kriminalität, sei noch viel höher.