Und dann geht gar nichts mehr am Wilhelmsplatz in Cannstatt... Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wenn der Wunsch nach Mobilität auf die Realität trifft, steht unter dem Strich oft ein Minus an Lebensqualität. Kurz gesagt: Frust! Verkehr ist für die Stuttgarter der Nervfaktor Nummer eins, meint Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Es gibt große und kleine Probleme auf der Welt: Zu den großen zählt der Straßenverkehr. Zumindest nehmen das viele Autofahrer, ÖPNV-Nutzer, Zweiradfahrer und Fußgänger in Stuttgart und der Region so wahr. Der Verkehr ist zu einem täglichen Ärgernis geworden, weil das Ziel der Fortbewegung – nämlich voranzukommen – immer öfter verfehlt wird. Stattdessen sehen sich die Verkehrsteilnehmer mit Stillstand konfrontiert: Staus, Behinderungen, Baustellen. Oder auch: verspätete Züge, überfüllte Bahnen. Unterwegssein im und rund um den Kessel ist keine Freude mehr. Wenn der Wunsch nach Mobilität auf die Realität trifft, steht unter dem Strich oft ein Minus an Lebensqualität. Kurz gesagt: Frust!

Dazu einige Beispiele aus dieser Woche. Das jüngste spielte am Freitagmorgen auf der B10 auf Höhe des Mercedes-Museums, wo der Verkehr nach mehreren Unfällen lahmgelegt war. Dafür können weder die Stadt etwas noch das Land – so wenig, wie für den schweren Lkw-Unfall am Donnerstag auf der A8 mit 25 Kilometer Stau. Doch beide zeigen, wie schnell Stuttgart blockiert ist. Die enervierende Baustellensituation – vom Leuze-Tunnel über den Hauptbahnhof bis zur Weinsteige – verstärkt diesen Eindruck.

Am Wilhelmplatz in Cannstatt ist die Situation verfahren

Manche der Probleme sind hausgemacht oder jahrelang ist nichts gemacht worden – man schaue sich die Situation rund um den Wilhelmsplatz in Cannstatt an; angesichts der dortigen buchstäblich verfahrenen Situation darf man gespannt sein, ob die für Oktober angekündigte Schnellbuslinie in Richtung City hält, was ihr Name verspricht. Gleichzeitig hält der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit dem wachsenden Bedarf nicht mit: Viele Bürger wären bereit, die Segnungen der jüngst beschlossenen, überfälligen Tarifreform zu nutzen und für Fahrten in die City auf Busse und Bahnen umzusteigen. Das stößt jedoch vielfach an Kapazitätsgrenzen. Ein echtes Defizit.

Diese Gesamtsituation spiegelt sich in den Ergebnissen der aktuellen Bürgerumfrage wider: Nichts nervt die Stuttgarter mehr als der Verkehr. Die Fahrverbote, die am 1. Januar 2019 in Kraft treten, werden an diesem Störgefühl nichts ändern. Eher im Gegenteil. Lösungen? Schwierig angesichts der Stuttgarter Topografie. In jedem Fall braucht es mehr Intelligenz, mehr öffentliche Verkehrsmittel und eine größere Bereitschaft, neue Verkehrswege zu gehen, wie es die SSB jetzt mit Flex-Bussen vormacht. Ein ganzes Bündel smarter Maßnahmen ist notwendig. Auch Seilbahnen, über die jetzt diskutiert wird, haben ihre Berechtigung.

Die Verkehrsmoral lässt zu wünschen übrig

Wenn der Verkehr heute für viele Menschen ein großes Problem darstellt, dann hat das auch mit den Verkehrsteilnehmern selbst zu tun. Die Verkehrsmoral lässt zu wünschen übrig – ablesbar daran, dass rote Ampeln zunehmend missachtet werden. Problematisch ist auch der Umgang mit Schwächeren. Das zeigen aktuell Beschwerden in der Tübinger Straße. Sie wurde als „Shared Space“ definiert, als Straßenraum, den sich motorisierte und unmotorisierte Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt teilen. Das Experiment droht zu scheitern, weil es – wie so oft – an Rücksicht fehlt.

jan.sellner@stzn.de