Besorgt wegen der Lage im Nahen Osten: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Foto: Simone M.Neumann - www.simone-m-/Simone M. Neumann

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dringt auf einen nationalen Konsens beim Thema Asyl. Mit Blick auf die Zusammenarbeit in der Koalition kritisiert er, einige in der Ampel gingen mit ihrer Verantwortung „zu spielerisch“ um.

Die Außenpolitik war immer schon seine Leidenschaft – und zieht mit dem Krieg in Nahost jetzt wieder die volle Aufmerksamkeit auf sich. Gleichzeitig gibt es, gerade mit dem Thema Migration, viele andere schwierige Baustellen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich spricht im Interview auch über Veränderungen im Stil und in der Zusammenarbeit, die er von der Ampel-Koalition selbst erwartet.

Herr Mützenich, wie würden Sie die Rolle beschreiben, die Deutschland in Nahost jetzt idealerweise spielen sollte?

Wir sind entsetzt über den barbarischen Überfall der Hamas auf Israel. Wir wollen die Solidarität mit Israel praktisch ausfüllen. Deshalb tun wir alles, auch mit den Mitteln der Diplomatie eine weitere Eskalation in der ganzen Region so gut wie möglich einzugrenzen, vorzugsweise zusammen mit europäischen und internationalen Partnern.

Deutschland hat sich bei einer UN-Resolution enthalten, die eine Waffenruhe fordert, den Terror der Hamas als Ursache des Krieges aber verschweigt. Hätte die Bundesregierung nicht, wie die USA, mit Nein stimmen müssen?

Die Bundesregierung hat daran mitgewirkt, den jordanischen Resolutionsentwurf zu verändern. Die deutsche Enthaltung ist daher nachvollziehbar. Dass ich gerne eine andere Mehrheitsmeinung in der Vollversammlung und damit einen anderen Text sehen würde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Bedauerlich ist zudem, dass die Europäische Union nicht geschlossen aufgetreten ist. Frankreich, Spanien, Irland und weitere Staaten haben der Resolution sogar zugestimmt. Darin liegt ein weiteres Problem.

Was ist das Kalkül hinter der deutschen Enthaltung? Können der Kanzler und die Außenministerin aus Ihrer Sicht so besser eine Mittlerrolle übernehmen?

Das ist ein Beweggrund, der ins deutsche Abstimmungsverhalten eingeflossen ist. Demnächst könnte es weitere Resolutionen geben und wir müssen uns die Möglichkeit erhalten, diese besser zu machen. Zudem sind wir darauf angewiesen, dass Länder – auch Deutschland – zu einflussreichen Regierungen im arabischen Raum einen belastbaren Kontakt halten. Nur so können wir eine weitere Zuspitzung mit noch größeren humanitären Folgen vermeiden. Die Welt steht vor einem internationalen Kipppunkt. Sie darf nicht kippen. Dafür müssen wir Tag und Nacht arbeiten.

Hätte Israel besser auf die Bodenoffensive verzichtet?

Ich verstehe das Kriegsziel der israelischen Regierung, die unmittelbare Bedrohung durch die Hamas zu beenden und die Strukturen der Terrororganisation zu zerstören. Ich bin aber auch sehr dankbar, dass innerhalb der israelischen Demokratie über die Verhältnismäßigkeit der Mittel gesprochen wird. Das findet in Deutschland viel zu wenig Beachtung.

Ist eine Zwei-Staaten-Lösung in absehbarer Zeit überhaupt noch denkbar?

Die Erfahrung zeigt: Am besten lässt sich Frieden zwischen Staaten, am besten zwischen demokratischen Staaten schließen. Das Ziel muss deshalb weiterhin auf gesellschaftliche, legitimierte Strukturen abheben. Dafür werbe ich. Ob meine Generation einen solchen Ausgleich zwischen Israel und Palästina noch erleben wird, weiß ich aber nicht.

„Wir müssen kriegstüchtig werden“, sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius. Können Sie seine Worte unterstreichen?

Ich würde mir diese Wortwahl nicht zu eigen machen. „Kriegstüchtig“ oder „kriegsfähig“ zu werden, wird der Komplexität nicht gerecht. Die Begriffe reduzieren die Schaffung von Sicherheit auf nur ein politisches Feld. Sie können zu noch größerer Verunsicherung beitragen und heizen im Zweifel auch gesellschaftliche Konflikte um diese schwierigen Themen an. In der Bundesrepublik haben wir bislang zu Recht immer von Verteidigungsfähigkeit gesprochen. Um die geht es, und dafür tun wir mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro sehr viel.

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz lehnt es kategorisch ab, dass Deutschland geflüchtete Palästinenser aufnehmen könnte. Das Problem mit eingewandertem Antisemitismus sei schon groß genug. Was sagen Sie?

Ich bedaure, dass sich verantwortliche Politiker in der aufgeheizten Diskussion so zugespitzt äußern. Das wird der jeweiligen Situation nicht gerecht. Was ist beispielsweise mit einem mutigen palästinensischen Journalisten, der in Gaza jahrelang die Korruption und schlechte Regierungsführung der Hamas angeprangert hat, und jetzt in Deutschland Schutz sucht? Was ist mit der Mutter, die mit ihren Kindern vor dem Krieg flieht. Man sollte die Konsequenzen seiner Worte schon besser wägen.

Was erwarten Sie von Herrn Merz?

Mir geht es weniger darum, was ich von Friedrich Merz erwarte. Es geht darum, was die Bürgerinnen und Bürger von der Ampel-Koalition und von der ganzen demokratischen Opposition erwarten dürfen. Das Thema Migration und Asyl verlangt nach einer gemeinsamen nationalen Antwort. Bund, Länder, Kommunen und die demokratischen Oppositionsparteien müssen aufeinander zugehen und versuchen sich zu verständigen. Das ist unser Auftrag und unsere gemeinsame Verantwortung in herausfordernden Zeiten.

Die FDP-Minister Christian Lindner und Marco Buschmann wollen, dass Leistungen für Asylbewerber gekürzt werden. Wird das in der Ampel ernsthaft diskutiert? Was ist die Position der SPD-Fraktion?

Meine Worte richten sich deshalb ja auch nicht nur an Friedrich Merz. Es ist nicht sinnvoll, dass die einzelnen Partner in der Ampel – und ich meine damit alle Koalitionspartner – immer wieder mit kleinteiligen Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen und dann jeder Einzelne so tut, als hätten er allein das glückseligmachende Instrument gefunden. Wir müssen konzentriert an Gesamtlösungen arbeiten und das gemeinsam vertreten, auf was wir uns verständigt haben.

Der Umgang in der Koalition ist aus Ihrer Sicht also trotz allem, was man sich vorgenommen hat, nicht besser geworden?

Ich sage ganz ehrlich: Ich bin über das Verhalten, das in der Ampel zutage tritt, nach wie vor irritiert. Ich habe in dieser Koalition manchmal bis zur Selbstverleugnung für Kompromisse, die ich selbst schwierig fand, geworben und diese mit umgesetzt. Weiterhin muss ich feststellen: Einige gehen zu spielerisch mit dieser Koalition und der Verantwortung, die sie für das Land haben, um.

Das klingt nach Frust.

Dabei müsste das gar nicht sein. Wegen des kleinteiligen Streits geht in der Außensicht oft unter, wie viel wir gerade beim Thema Migration schon auf den Weg gebracht haben. Wir müssen mehr Ordnung in die Themen bringen – und das tun wir auch bei der gemeinsamen Asylpolitik. Aber die andere Seite der Medaille ist: Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderung. Da sind wir mit einem modernen Staatsbürgerschaftsrecht und dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz gut vorangekommen. Darauf müssen wir uns konzentrieren und das immer wieder sagen.

Am Montag kommen Ministerpräsidenten und Kanzler zum Migrationsgipfel zusammen. Sollte der Bund den Ländern mehr Geld geben?

Der Bund hat – das werden auch die Haushaltsberatungen im Bundestag zeigen – nicht mehr den finanziellen Spielraum, einfach immer die Rechnung zu übernehmen. Bisher schon haben wir viel Geld gegeben. Manche Länder haben diese Mittel direkt an die Kommunen weitergeleitet, andere Länderregierungen nicht. Wir müssen schauen, was möglich ist. Es geht aber nicht nur ums Geld, sondern um eine Gesamteinigung.

Die FDP hat in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, dass es keine Steuererhöhungen geben darf – und eine Rückkehr zur Schuldenbremse geben muss. Die Welt hat sich seit der Regierungsbildung mehr als einmal sehr grundlegend verändert. Muss sich da auch die Finanzpolitik ändern?

Die Finanzpolitik muss sich einer veränderten Weltlage genauso anpassen wie andere Politikfelder. Wenn es in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und internationalen Situation erklärbar gewesen ist, die Schuldenbremse auszusetzen, dann gilt das jetzt erst recht. Es wäre vernünftig, von der Ausnahmeregel der Schuldenbremse noch einmal Gebrauch machen. Ich nehme mit Respekt zur Kenntnis, dass das nicht alle so sehen. Aber die notwendigen Weichenstellungen für ein klimaneutrales Land, für mehr Sicherheit und für die Sicherung des Wohlstands müssen finanziert werden. Das Investieren in eine gute und wettbewerbsfähige Zukunft Deutschlands dürfen wir nicht aufgeben.