Eigentlich wollte die CDU ja wieder über Sachfragen diskutieren. Dazu diente auch der gelungene Grundsatz-Konvent. Doch inzwischen hat der alte Richtungsstreit die Partei wieder im Griff. Parteichef Merz ist sauer.
Eigentlich war das Wochenende gar nicht so schlecht gelaufen für die CDU. Einen lebhaften Debattentag lang hatten sich die Christdemokraten auf ihrem Grundsatzkonvent streitbar und zukunftszugewandt gezeigt. Und für ein paar Stunden schien die Vision einer Partei aufzutauchen, die konservative Werte mit den Anforderungen einer modernen Politik in Zeiten der Herausforderungen durch Klimawandel und Migration verbindet. Der Alltag hat die CDU schnell wieder eingeholt. Schon am Montag geht es wieder um Macht und Merz, um Kanzlerschaft und Kandidaten. Das Übliche also.
Eigentlich war Pechsteins Rede nur ein Randphänomen
Es beginnt mit einem Randphänomen des Grundsatzkonvents. Die Partei hatte einige Experten aus Wirtschaft und Gesellschaft zu sehr kurzen Impulsreferaten eingeladen. Die Vorträge sind nicht mehr als kurze rhetorische Ornamente. Auch die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist da. Eigentlich soll sie über die Rolle des Sports reden. Tut sie auch, aber nicht nur. Sie appelliert auch daran, nicht anerkannte Asylbewerber schnell abzuschieben, und verbindet das mit dem Hinweis, dass das auch älteren Menschen und Frauen ein besseres Sicherheitsgefühl in Bussen und Bahnen gäbe. Dazu ein paar Bemerkungen gegen das Gendern und ein Bekenntnis zur klassischen heterosexuellen Ehe, weil Kinder „Mama und Papa“ bräuchten.
Thomas de Maizière: „Ich hätte ihr diese Formulierung nicht empfohlen.“
Bei ihrem kurzen und schlecht abgelesenem konservativen Manifest trug Pechstein die Uniform der Bundespolizei. Manche sehen darin einen Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht von Beamten, sich politisch öffentlich zu mäßigen. Im Beamtengesetz heißt es, die Staatsdiener hätten „bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.“ Die Uniform in Verbindung mit einem erzkonservativen Debattenbeitrag – das hatte vor allem im Netz viel Wirbel gemacht. Auch innerhalb der CDU war nicht jeder entzückt. Der stets besonnen formulierende Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte, auf die Bemerkung über die Asylbewerber in Bussen und Bahnen angesprochen: „Ich hätte ihr diese Formulierung nicht empfohlen.“
Vielleicht hätte es damit sein Bewenden gehabt. Nun aber kommt Friedrich Merz ins Spiel. Der sprang Pechstein nämlich mit dem Hinweis zur Seite, er habe die Rede „brillant“ gefunden. Der Zeitpunkt der Einlassung hätte kaum unpassender sein können. Denn eigentlich war der Grundsatzkonvent auch dazu da, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die CDU wesentlich bunter unterwegs ist, als es manche Äußerungen des Vorsitzenden nahelegen. Das gelang sogar ziemlich glaubwürdig. Aber nun stürzt Merz die CDU wieder zurück in die lästige Richtungsdebatte, ob die Partei mit scharfer Sprache versuchen soll, den Populisten das Wasser abzugraben, oder doch lieber stur und pragmatisch die Sachthemen abarbeiten müsse.
Aus der Sachfrage wird ein handfester persönlicher Konflikt
Inzwischen ist aus der Sachfrage auch ein handfester persönlicher Konflikt geworden, in dem es nicht mehr nur um „mehr Populismus oder mehr Pragmatik“ geht, sondern ganz konkret um „Friedrich Merz oder Hendrik Wüst“. Der NRW-Ministerpräsident hatte sich nämlich strategisch präzis geplant genau vor dem Kleinen Parteitag und dem CDU-Konvent als Gegenentwurf zu Merz positioniert. In einem Gastbeitrag unmittelbar vor dem Kleinen Parteitag hatte er den Satz platziert: „Wer nur die billigen Punkte hervorhebt und sich mit den Populisten gemein macht, legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ Merz musste sich umso mehr angesprochen fühlen, als Wüst in einem parallelen Interview die Mitsprache der Länderebene bei der Bestimmung des Kanzlerkandidaten eingefordert hatte. Der Fehdehandschuh – wie soll man es sonst verstehen?
Wüst muss das als offene Kampfansage verstehen
Das Merz es genau so versteht, zeigt seine Reaktion. Bereits in seiner Rede auf dem Kleinen Betrag hatte er Kritik an dem Gastbeitrag geübt – ohne Wüst beim Namen zu nennen. Im ZDF legt er am Sonntag nach. Gegenwärtig herrsche eine „große Verunsicherung“ in ganz Deutschland, „übrigens auch in Nordrhein-Westfalen“, sagte er. Dort sei die AfD laut Umfragen gegenwärtig fast so stark wie bundesweit. Die Unzufriedenheit mit den Landesregierungen, also auch der von Wüst, sei fast so groß wie die mit der Bundesregierung. Wüst muss das als offene Kampfansage verstehen.