Ein Holzkreuz auf Lampedusa erinnert an die Menschen, die bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrunken sind. Die EU sucht nach neuen Regeln, um die illegale Migration einzudämmen. Foto: AFP/TIZIANA FABI

Bundeskanzler Scholz spricht offenbar ein Machtwort. Deutschland wird sich beim Treffen der Innenminister in Brüssel nicht weiter gegen den Umbau des gemeinsamen Asylsystems stemmen.

Deutschland will offenbar den Widerstand gegen die geplante Krisenverordnung in der europäischen Asylpolitik aufgeben. Bundeskanzler Olaf Scholz entschied während einer Kabinettssitzung, dass Berlin „nichts aufhalten“ werde. Das berichtete am Mittwoch die Tageszeitung FAZ. Die Bundesregierung war von vielen Seiten kritisiert worden, mit ihrer Blockade die gesamte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu gefährden.

Am Mittwoch hatten sich noch einmal die Spitzen der EU in Richtung Berlin gewandt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte alle Beteiligten zu einer zügigen Beilegung des Streits über die geplante Reform des europäischen Asylsystems aufgerufen. Es sei wichtig, gemeinsame Regeln zu haben. Auch Roberta Metsola, Präsidentin des Europaparlaments, hat die EU-Mitgliedsländer aufgerufen, das gemeinsame Asylsystem unter Dach und Fach zu bringen – ohne Deutschland beim Namen zu nennen. Beim Treffen der EU-Innenminister in Brüssel an diesem Donnerstag müssten „alle Anstrengungen unternommen werden, den Knoten zu durchschlagen“, sagte die 44-Jährige.

Wachsender Druck auf Deutschland

Der Druck auf die Bundesregierung war zuletzt immer größer geworden. Sie wurde maßgeblich dafür verantwortlich gemacht, dass die Verhandlungen in Sachen Asylreform mit dem Europaparlament derzeit auf Eis liegen. Kritik mussten vor allem die deutschen Grünen einstecken. Sie gelten als entscheidend für die bislang unnachgiebige Positionierung Deutschlands. Ziel der EU ist es, die Asylreform noch vor der Europawahl zu beschließen, mit dem Sinneswandel Deutschland könnte das gelingen.

Berlin begründete die Ablehnung des Vorschlags in Brüssel bisher insbesondere damit, dass EU-Staaten über die Verordnung bei einem besonders starken Zustrom von Migranten die Möglichkeit bekämen, die Schutzstandards für diese Menschen in inakzeptabler Weise abzusenken.

Keine Asylreform ohne Krisenmechanismus

So soll etwa in Krisensituationen der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Die Lage war deshalb besonders heikel, weil eine Einigung auf die Asylreform ohne den Krisenmechanismus als unwahrscheinlich gilt. Vor dem Ministertreffen am Donnerstag hieß es aus Diplomatenkreisen, dass die südlichen EU-Staaten andere, ebenfalls umstrittene Teile der geplanten Reform nur akzeptiert hätten, weil sie sich sicher gewesen seien, im Gegenzug in Krisensituationen mehr Flexibilität zu bekommen. Wenn dies nun in Frage gestellt werde, könne das ganze Paket platzen.

Unverständnis über die deutsche Haltung

Unverständnis über die deutsche Positionierung gab es insbesondere, weil die Standardregeln dem aktuellen Vorschlag zufolge gar nicht automatisch, sondern erst nach Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten und unter strenger Aufsicht der EU-Kommission aufgeweicht werden dürften. Es blieben in einer Krisensituation noch Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern.

Ohne Einigung auf die Asylreform würden die Flüchtlingstragödien weitergehen, warnte die Malteserin Roberta Metsola am Mittwoch. Sie erinnerte an die „Lampedusa-Tragödie vor zehn Jahren, als das Mittelmeer der größte Friedhof der Welt genannt wurde“. Im Oktober 2013 waren beim Untergang von zwei Flüchtlingsschiffen vor der italienischen Insel mehr als 500 Menschen ums Leben gekommen.

Kritik an Äußerungen der Außenministerin

Für großen Unmut sorgte, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) die Blockade Deutschlands kurz vor dem Brüsseler Gipfel nicht mehr mit Bedenken in Sachen Menschenrechte begründete. Sie hob plötzlich die Gefahr hervor, dass wegen der Krisenverordnung der Zustrom von Migranten in Richtung Deutschland zunehmen könnte. „Statt geordneter Verfahren würde insbesondere das große Ermessen, das die aktuelle Krisenverordnung für den Krisenfall einräumt, de facto wieder Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland setzen,“ schreibt Baerbock. Dieser Tweet nährte die Vermutung, dass es sich bei der Blockade auch um ein innenpolitisches Manöver vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen Anfang Oktober handeln könnte.

Bis zuletzt hatte die spanische EU-Ratspräsidentschaft versucht, die deutsche Blockade zu umgehen und die notwendige qualifizierte Mehrheit ohne Deutschland zum Verabschieden der Krisenverordnung zu organisieren. Das galt jedoch als sehr unwahrscheinlich, denn Berlin bildete in diesem Fall eine Koalition mit Polen, Ungarn, Österreich und Tschechien. Die gelten in Sachen Migration als Hardliner und verlangen – ganz im Gegensatz zu Deutschland – im Kampf gegen die illegale Migration eine drastische Verschärfung der EU-Regelungen.