Zu viel Bürokratie, verändertes Einkaufsverhalten der Menschen und mangelnder Nachwuchs machen gerade kleinen Metzgereien im Land das Leben schwer. Auf den Spuren eines sterbenden Handwerks.
Stuttgart - Eigentlich liegt die Immobilie in guter Lage. Trotzdem kommen an diesem Vormittag so gut wie keine Passanten an der Kreuzung mitten im Ortskern von Albstadt-Tailfingen vorbei. Lediglich ein älterer Herr im gemusterten Pullunder schiebt seinen Rollator vorsichtig den Bürgersteig entlang und lugt neugierig die Treppe hinauf zur Metzgerei. Wie lange dort noch die automatischen Schiebetüren zum Verkaufsraum auf- und zugehen, ist ungewiss.
Inhaber Alfred Klaiber (64) kann im nächsten Jahr in Rente gehen. Körperlich fühle er sich zwar noch in der Lage weiterzumachen, aber finanziell lohne sich das für seine Frau und ihn „fast nicht mehr“, sagt der Metzgermeister: „Bevor ich nur noch arbeite, um gerade so die Kosten zu decken, lasse ich es lieber.“ Und ein Nachfolger? Ist nicht in Sicht. Er könne sich zwar vorstellen, dass man in anderen Städten noch Interessenten finde. Aber hier auf der Schwäbischen Alb, in einer ländlichen Gegend? „Da tut sich das doch keiner freiwillig an“, sagt Klaiber.
Als er 1987 den Familienbetrieb von seinem Vater übernahm, sei das Geschäft „noch richtig gut“ gelaufen. Man habe Lehrlinge ausgebildet, neun oder zehn Schweine pro Woche geschlachtet und viele Mitarbeiter von ortsansässigen Unternehmen als Kunden gehabt. Die Gegenwart allerdings sieht anders aus. Genauer gesagt: mies. Klaiber produziert nicht mal mehr halb so viel Fleisch und Wurst wie damals. „Unsere Stammkundschaft stirbt uns weg“, sagt er. Neue Kunden zu gewinnen sei schwierig. Im Ort gebe es kaum noch Firmen. Viele Menschen zögen für eine Ausbildung, ein Studium oder einen Job weg. „Und die wenigen Jungen, die bleiben, schauen nur auf den Preis.“ Sie kaufen Salami oder Schinken an der Wursttheke im Supermarkt oder abgepackt beim Discounter statt bei ihm.
Gesamtumsatz des Fleischerhandwerks wächst
Laut dem Wirtschaftsministerium haben die Menschen im Südwesten zuletzt zwar wieder mehr für Fleisch und Wurst ausgegeben. Der Gesamtumsatz des Fleischerhandwerks betrug im vergangenen Jahr rund 3,5 Milliarden Euro. Doch davon profitieren vor allem die großen Fleischereien, weil die an Supermärkte und Discounter liefern.
Seit den 1990er Jahren ermöglicht die Politik den Supermärkten längere Öffnungszeiten. „Das war der Knackpunkt“, sagt Bernd Kussmaul, früherer Besitzer der gleichnamigen Metzgerei im Stuttgarter Stadtbezirk Degerloch. Weil die Einkaufsgewohnheiten der Menschen sich durch Öffnungszeiten bis 22 oder 0 Uhr in den Abend hinein verschoben, haben nach Ansicht des 51-Jährigen traditionelle Metzgereien, die wegen der Personalkosten nicht so lange öffnen können, nach und nach Umsatz verloren.
Um diesen Verlust auszugleichen, mussten die Inhaber kleiner Betriebe erfinderisch werden. Einige verkaufen zusätzlich Fisch, Käse, Milch und Eier, andere bieten einen Mittagstisch und Partyservice an. Mittlerweile macht manch einer mehr Umsatz, indem er Veranstaltungen mit Essen beliefert, als mit dem Verkauf von Fleisch und Wurst in seinem Laden, heißt es. Doch Metzgereichefs, die ihren Partyservice ausbauen, erhöhen auch ihr Arbeitspensum. Sechs-Tage-Wochen sind ohnehin normal; kocht einer dann noch für Veranstaltungen, kommt er im Schnitt rasch auf 13 bis 14 Stunden pro Tag. Doch nicht nur die Arbeitszeiten, auch der bürokratische Mehraufwand durch neue Verordnungen und Auflagen sowie die harte Konkurrenz durch Discounter haben es unattraktiv werden lassen, einen Familienbetrieb weiterzuführen oder gar eine neue Metzgerei zu eröffnen.
Nachwuchs findet sich nur schwer
Gravierende Probleme bei der Nachwuchsgewinnung
Dass das nicht nur den ländlichen Raum betrifft, zeigt das Beispiel Kussmaul. Rund 20 Jahre, von 1992 bis 2012, führte Bernd Kussmaul die Geschäfte der Traditionsmetzgerei. Auch er habe in dieser Zeit versucht, mit Mittagstisch und Partyservice „am Ball zu bleiben“. Finanziell habe sich das gelohnt. Es sei „ein gut laufender Betrieb“ gewesen, sagt der Metzgermeister. Aber: „Ich habe mich gefühlt wie ein Hamster in seinem Rad. Und da musste ich raus.“ Es sei ihm damals zwar nicht leichtgefallen, den elterlichen Betrieb aufzugeben, aber bereut hat er die Entscheidung nie. Heute ist an der gleichen Stelle ein Großmetzger. Und Kussmaul arbeitet für das Land im Bereich Verbraucherschutz.
In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Zahl der Metzgereien mehr als halbiert. Wie aus Zahlen des Baden-Württembergischen Handwerktags (BWHT) hervorgeht, gab es Ende des vergangenen Jahres 2371 inhabergeführte Fleischerhandwerksbetriebe im Südwesten. 1980 waren es noch 5268. Der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Herre, der den schleichenden Niedergang der kleinen Betriebe im April mit einer Parlamentarischen Anfrage an die Landesregierung in den öffentlichen Fokus gerückt hat, fürchtet „eine weitere Schließungswelle“. Es gebe kaum Nachwuchs, beklagt Herre. Was unter anderem „an den schlechten Karriereaussichten, den langen Arbeitszeiten und der geringen Bezahlung“ liege.
In der Frage, ob und wie das traditionelle Handwerk auf Dauer überleben kann, herrscht allerorten Ratlosigkeit. Der Geschäftsführer des Landesinnungsverbands für das Fleischerhandwerk, Ulrich Klostermann, gibt zu, dass man „wirklich ein Problem“ habe, Heranwachsende für den Beruf zu gewinnen. Gründe dafür sieht er aber eher bei den Eltern und beim zunehmenden Angebot an Berufen außerhalb des Handwerks. Klostermann bestreitet, dass die Bedingungen im Fleischerhandwerk sich verändert haben. Gerade als Selbstständiger mit Meisterbrief habe man „attraktive Einkommensmöglichkeiten“ – Voraussetzung sei aber „die Freude am Beruf“.
Kleine Metzgerei setzt auf Hausmacherspezialitäten
Die ist bei den Weippert-Brüdern Dieter (58) und Werner (56) vorhanden. Sie betreiben eine Familienmetzgerei im Herrenberger Stadtteil Kayh, einem abgelegenen 1500-Einwohner-Örtchen am südlichen Schönbuchrand zwischen Herrenberg und Ammerbuch. Außer ein paar schmucken Einfamilienhäusern und einem Bäcker gibt’s hier nicht viel. Tankstelle, Bank- und Postfilialen haben bereits vor etlichen Jahren dichtgemacht. Wer zu den Weipperts kommt, muss es wollen.
Trotz der ungünstigen geografischen Lage zeigen die Brüder, dass es als kleine Metzgerei auch anders geht als bergab. Nach eigenen Angaben haben sie es geschafft, den Umsatz in den vergangenen drei Jahren stetig zu steigern. Das Erfolgsrezept? „Bei uns bekommt man keine französische Salami und keinen Parmaschinken“, sagt Werner Weippert, „wir haben uns bewusst dafür entschieden, nur zu verkaufen, was wir selbst produziert haben. Und die Hausmachersachen laufen halt.“ Viele Kunden kommen dafür extra aus Herrenberg und anderen Nachbargemeinden. Von den Kayher Kunden allein könnten die Brüder nicht leben.
Angesichts der guten Lage denken die Weipperts noch lange nicht ans Aufhören. Erst vor wenigen Monaten investierten sie in die Renovierung ihres Verkaufsraums, Anfang September wurde ein zweiter Geselle eingestellt. Doch was mit ihrer Metzgerei passiert, wenn sie selbst nicht mehr im Verkaufsraum stehen, ist unklar. Beide haben keine Kinder. Und dass ein Fremder das Geschäft im kleinen Kayh übernimmt, halten sie für „ziemlich unwahrscheinlich“.
Das Ressort von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) versucht, über Beratungen und Förderprogramme die nicht selbstständigen Meister dazu zu bewegen, bestehende Metzgereien zu übernehmen. Allerdings räumt es ein, dass das kaum gelingt. Die Suche nach geeigneten Nachfolgern gestalte sich seit Jahren schwierig, heißt es. In attraktiven Lagen übernehmen oft noch größere Fleischereien kleine Betriebe, machen eine Filiale draus und beliefern diese von einem zentralen, meist stark industrialisierten Produktionsstandort aus. Das ist einerseits gut für die Nahversorgung, andererseits bedeutet das aber auch das Aus für die echten Hausmacherspezialitäten.