Ladenschließungen gab es in der Vergangenheit eher wegen mangelnder Nachfrage. Nun könnte eine weitere Ursache dazukommen. Foto: dpa/Jens Kalaene

Dass Läden schließen müssen, obwohl sie brummen und sich einer hohen Nachfrage erfreuen, dürfte sich leider häufen. Das schreibt Redakteur Andreas Hennings im Blickwinkel.

„Wegen Reichtums geschlossen“ – mit diesem Satz wird gerne mal gewitzelt. Doch tatsächlich einen Laden für immer schließen, obwohl Kunden gerne und zuhauf kommen? Das klang bisher wie ein Szenario aus einer anderen Welt. Mal abgesehen von altershalben Geschäftsaufgaben. Bisher war es doch viel mehr so, dass bei hoher Nachfrage gerne sogar expandiert wurde. Doch diese andere Welt, die Welt einzelner unvermeidbarer Schließungen, sie droht zur realen, zu unserer Welt zu werden. So traurig das ist. Das zeigt die Aufgabe eines Blumenladens, der Ende Juli in Murr seine Pforten schließen wird, obwohl er sich guter Nachfrage erfreute. Die Betreiberin sah keinen anderen Ausweg. Und das ist kein Einzelfall: auch erste Bäckereien kürzen ihre Öffnungszeiten.

Studium statt Ausbildung ist nur ein Teil der Wahrheit

Der Grund hat freilich nichts mit Reichtum zu tun – es ist die simple Schwierigkeit, Mitarbeiter zu finden. In Murr etwa blieb die Suche nach zwei Vollzeit-Floristen erfolglos. Da geht es dem Einzelhandel wie dem Handwerk. An Begriffen wie Fachkräftemangel kommt hier niemand vorbei. Erschreckend: das könnte erst der Anfang, die Schließung in Murr ein bitterer Vorgeschmack sein. Denn die Tendenz, dass immer mehr Schulabgänger studieren statt eine Ausbildung zu starten, ist nur ein Teil der Entwicklung.

Es sind vor allem die trockenen Zahlen, die den bald stärker fortschreitenden Mangel an Erwerbstätigen greifbar machen. Viele werden fehlen, wenn die Boomer-Generation sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Glaubt man dem Statistischen Bundesamt, sind bundesweit 940 000 Bürger genau 70 Jahre alt. Gleichzeitig sind 953 000 Bürger 25 Jahre alt. Heißt: Zuletzt gingen etwa so viele Menschen in Rente wie in die Berufswelt starteten. Eine Punktlandung! Doch genau das wird sich bald radikal ändern: Heute sind je 1,1 bis 1,4  Millionen Bürger 65, 60 und 55 Jahre alt. Auf der anderen Seite kommen nicht mal je 800 000 nach, die heute 20, 15 und 10 sind.

Zahl der Erwerbstätigen nimmt stark ab

Selbst die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt wird das allerhöchstens mildern. Das Statistische Bundesamt erwartet bis 2035 bei der Zahl Erwerbstätiger einen Rückgang von 4,8 Millionen (!) bei „niedriger“ und von bis zu 1,6 Millionen bei „hoher“ Zuwanderung.

Auf diese veränderte Voraussetzung, ein drohendes verstärktes Ladensterben und einen noch größeren Konkurrenzkampf um Mitarbeiter wird man sich einstellen müssen. Was wohl gerade für kleine Geschäfte und den Mittelstand schwierig wird, ist doch heute schon kaum Nachwuchs für den Einzelhandel und das Handwerk zu gewinnen. Von Bereichen wie der Pflege, Kranken- und Kinderbetreuung ganz zu schweigen. Kurzum: Auf uns rollt eine Herkulesaufgabe zu!