Applaus für die Redner bei der Kundgebung zum Antikriegstag in Fellbach. Foto: Julian Rettig

Die traditionelle Veranstaltung des DGB Rems-Murr zum Antikriegstag fand erneut in Fellbach statt. Beim Demozug durch die Stadt wurde immer wieder der Westen an den Pranger gestellt, da er große Mitschuld am am russischen Krieg gegen die Ukraine habe.

Die Anwohner der Fellbacher Schillerstraße kennen den Demozug schon, der sich alljährlich am 1. September mit lautstarker Megafonunterstützung in Richtung Innenstadt aufmacht. Die meisten Gäste der bestens frequentierten Eisdiele an der Kirchhofstraße blickten aber ebenso irritiert von ihrem Schwarzbaldbecher auf wie die Besucher des neuen Stadtbiergartens im Rathausinnenhof, als sich die rund 150 Teilnehmer des Umzugs näherten, Lieder sangen und „Hoch die internationale Solidarität“ skandierten. Auch kurze Zeit später lugten von den Balkonen der Wohncity-Hochhäuser viele Anwohner hinunter, voller Neugier, welches Spektakel sich denn da in der Cannstatter Straße abspielte.

Knapp 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren vor Ort

Traditionell erinnert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) an dieses Datum, das sich heuer zum 84. Mal gejährt hat: Es ist das Gedenken an den Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die DGB-Mitglieder aus dem Rems-Murr-Kreis, ergänzt um Gleichgesinnte aus der Region Stuttgart, treffen sich seit vielen Jahren am 1. September zur Kundgebung am Fellbacher Friedensbaum auf einer Grasfläche zwischen Schillerstraße und Schwabenlandhalle. Vor Ort begrüßte am frühen Freitagabend Danial Bamdadi, der neue, 26-jährige Sprecher der DGB-Ortsgruppe Fellbach, knapp 150 Frauen, Männer und Diverse aus allen Altersgruppen, einige der Veteranen unter den Aktivisten waren mit dem Rollator da.

Im Mittelpunkt der Versammlung stand natürlich der seit eineinhalb Jahren tobende Krieg in der Ukraine. Garniert von musikalischen Einlagen der in linken Kreisen sehr beliebten und etwa bei 1. Mai-Demos oft gebuchten Schalmeienkapelle Schwäbisch Hall, die „Die Internationale“ in einer bemerkenswerten Interpretation intonierte, waren die Wortbeiträge geprägt durch ein „Ja, aber . . .“ Ja, Putin habe den Angriff begonnen. Aber eine große Mitschuld trage der Westen, der Verhandlungen boykottiere und mit weiteren Waffenlieferungen die Situation anheize.

Chance, den Krieg zu verhindern, fahrlässig vergeben

Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen erklärte: „Die Ukraine wurde ab 2014 mit Milliardenbeträgen aufgerüstet.“ Mehrere Male habe der Westen in den vergangen Monaten „die Chance, den Krieg zu verhindern, fahrlässig ausgeschlagen“. Stattdessen drehe man weiter an der Eskalationsspirale und gebe mit den Waffenlieferungen „das Signal an die Ukraine: ‚Kämpft weiter, geht in die Offensive.’“.

Als Hauptredner erklärte der neue DGB-Kreisvorsitzende Steffen Eckstein: „In unserer Nachbarschaft tobt der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen, auch wenn er eine lange Vorgeschichte hat und die Politik des Westens eine Rolle gespielt hat. Was wir augenblicklich erleben, ist die Erosion alter Ordnungen und das Aufflackern neuer Formen von Gewalt an unserer Peripherie.“ Eckstein: „Die Rüstungsindustrie ist ein großer Profiteur der ganzen Aufrüstung. Schon jetzt knallen die Sektkorken, die Aktienkurse gehen durch die Decke.“ Nun sei es „höchste Zeit, das Ruder herumzureißen“. Die Rüstungsmilliarden seien viel sinnvoller investiert bei der Energie- und Verkehrswende, beim sozialen Wohnungsbau, im Pflege- und Gesundheitswesen.

Ein Zwischenstopp des Umzugs nahe der Stadtbahn-Endhaltestelle Lutherkirche wurde für die Rezitation von Bertolt Brechts „Legende vom toten Soldaten“ genutzt, daneben postierte sich ein Uniformträger mit Totenkopfmaske. Auf der von der Polizei abgesperrten Kreuzung Cannstatter Straße/Seestraße rannte die Menge dann durch ein dort postiertes riesiges Papptransparent und zerstörte so die Konterfeis der als „Deutsche Kriegstreiber“ titulierten Politiker wie Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses.

Hölderlins „Der Frieden“ in der Friedhofskapelle Backnang

Poetischer und weniger rustikal als in Fellbach ging es am selben Abend bei der Veranstaltung in Backnang zum Antikriegstag zu, organisiert vom Arbeitskreis „Erinnern und Gedenken“ des Heimat- und Kunstvereins Backnang und des Schwäbischen Albvereins. Rezitiert wurde in der Friedhofskapelle das zum Anlass passende Gedicht von Friedrich Hölderlin: „Der Frieden.“