Die Planer Werner Sobek und Christoph Ingenhoven liegen richtig: Eine Diskussion über die Zukunft der Stadt – jenseits des neuen Tiefbahnhofs – ist dringend notwendig.
Großer Bahnhof für die Superhirne des Tiefbahnhof-Projekts, Architekt Christoph Ingenhoven, Betonspezialist Bernd Hillemeier und Tragwerksplaner Werner Sobek: Ausführlich berichteten sie auf einer Veranstaltung der Bahn in dieser Woche über den Stand der Planung für die komplexe Konstruktion des Tiefbahnhofs, für die es weltweit kein Beispiel gebe. „Das ist das Komplizierteste, was man im Bereich Bauen mit Stahlbeton je gemacht hat“, sagte Staringenieur Sobek. Wenn man diese Worte im Ohr hat, ist es ernüchternd, wenige Tage später zu erfahren, dass das Eisenbahn-Bundesamt noch auf den Nachweis der Tragfähigkeit des Tiefbahnhofs wartet, was ja keine unbedeutendes Detail ist, sondern eine Information, mit der das Bauwerk – um im Wort zu bleiben – steht oder fällt.
Die Tragweite dieses Versäumnisses lässt sich aus Sicht des Laien schwer beurteilen. Die Bahn betrachtet den fehlenden Nachweis eher als Formalie, die keinen nennenswerten Verzögerungen zur Folge habe. Kritiker des Bahnprojekts dürften eine andere Lesart haben: Die Bahn hat die Statik-Panne verschwiegen, jetzt kann sie einem vieles erzählen . . .
Es fehlt eine städtebauliche Vision
Dieser Vorgang, so ärgerlich er ist, darf nicht dazu führen, den Erzählungen der Planer Ingenhoven und Sobek kein Gehör mehr zu schenken. Im Gegenteil. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören. Besonders wenn die beiden danach fragen, was – zeitlich wie räumlich gesprochen – eigentlich nach der Fertigstellung des Tiefbahnhofs kommt? Beide vermissen eine städtebauliche Vision für das frei werdende Gleisfeld und darüber hinaus. Sobek, der Spezialist für Kubaturen, drückt es ganz untechnisch aus: „Wir brauchen eine Erzählung darüber, wie die Stadt sein soll.“ Diese Erzählung soll nicht von Baulinien handeln, sondern von Menschen, Gerüchen, Bäumen – von Lebensqualität.
Die Fläche, die für eine solche Erzählung zur Verfügung steht, ist beträchtlich. Die Innenstadt vergrößert sich um bis zu 30 Prozent. „Stuttgart muss sich dieses Privilegs als würdig erweisen“, fordert Ingenhoven. Es gehe darum – anders als auf dem Gelände hinter der Landesbank – etwas die Stadt Bewegendes zu bauen. Klingt pathetisch. In der Sache hat er Recht. Auch mit der Feststellung, dass vieles versäumt worden sei. Der Weltreisende Sobek spricht von „verlorenen Jahrzehnten“. Es gebe keine Planung, ja noch nicht einmal einen Diskurs. Im Rathaus ist man irritiert. Immerhin beginne 2016 ein Bürgerbeteiligungsprozess . . .
Diskutieren statt bruddeln
Sobek und Ingenhoven liegen trotzdem richtig: Es ist höchste Zeit, den Erzählfaden aufzunehmen. Insbesondere Oberbürgermeister Fritz Kuhn ist gefordert, eigene Vorstellungen zu entwickeln. In der Erzählung von der Stadt der Zukunft sollte sich ihre Kreativität abbilden – und ihre Geschichte. Dabei darf man gern bis zu den zwanziger Jahren zurückblicken, als Stuttgart in vielerlei Hinsicht eine Stadt der Avantgarde war. Einen Diskussionsbeitrag lieferte jüngst der Architekt Roland Ostertag. Er forderte, das isolierende Denken in der Architektur aufzugeben. Widerspruch ist willkommen. Aber er muss halt auch kommen. Stuttgart braucht dringend eine offene, unvoreingenommene Diskussion über seine städtebauliche Zukunft, über menschenfreundliche Architektur und bezahlbaren Wohnraum. Nicht das verbreitete Bruddeln und Besserwissen im Kleinen.