Unter Kipppunkten versteht man in der Klimaforschung, wenn durch kleine Veränderungen ein Domino-Effekt ausgelöst wird, dessen Folgen unter Umständen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Foto: Imago/Panthermedia

Die Klimakrise nimmt schon jetzt dramatische Ausmaße an. Forscher warnen davor, dass selbstverstärkende Prozesse wie bei einem Dominoeffekt ausgelöst werden könnten. Doch es gibt auch Anlass zur Hoffnung.

Durch die bisherige Klimaerwärmung drohen Experten zufolge fünf großen Natursystemen möglicherweise unumkehrbare Umwälzungen. Das geht aus dem am Mittwoch (6. Dezember) veröffentlichten „Global Tipping Points Report“ (Kipppunkte-Bericht) hervor.

Was bewirkt der Domino-Effekt?

Ist der „Point of no return“ – der Punkt ohne Wiederkehr - schon erreicht? Foto: Imago/Pond5 Images

Unter Kipppunkten versteht man in der Klimaforschung, wenn durch kleine Veränderungen ein Domino-Effekt ausgelöst wird, dessen Folgen unter Umständen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das Konzept der Kipppunkte und damit verbundene Unsicherheiten werden unter Wissenschaftlern weltweit intensiv und zum Teil konträr diskutiert.

Erstellt wurde der Bericht von einem internationalen Team aus mehr als 200 Forschern. Die Koordination lag bei der britischen Universität von Exeter und dem Bezos Earth Fund.

Kaskade von Kipppunkten

Die Natur gerät aus den Fugen. Foto: Imago/Design pics

„Fünf große Kippsysteme laufen bereits Gefahr, bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten“, teilt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit, das an dem Bericht beteiligt war. Dabei geht es um das grönländische und westantarktische Eisschild, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrost-Gebiete. „Wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius ansteigt, könnten mit borealen Wäldern, Mangroven und Seegraswiesen drei weitere Systeme in den 2030er Jahren vom Kippen bedroht sein“, heißt es seitens des PIK.

Würden mehrere Kipppunkte überschritten, bestehe zudem das Risiko eines katastrophalen Verlusts der Fähigkeit, Pflanzen für Grundnahrungsmittel anzubauen, warnen die Autoren des Berichts. „Ohne dringliches Handeln, um die klimatische und ökologische Katastrophe aufzuhalten, werden Gesellschaften überfordert sein, wenn die Natur aus den Fugen gerät“, heißt es weiter in der Mitteilung der Universität Exeter.

Wie können die Auswirkungen der Kipppunkte minimiert werden?

Ab wann gibt es für die Menschheit kein Zurück mehr? Foto: Imago/Steinach

Da die bisherigen Antworten der Regierungen weltweit nicht ausreichend sind, legen die Forscher sechs Empfehlungen vor, um die negativen Kipppunkte zu vermeiden und umgekehrt positive Kipppunkte einzuleiten.

Zu den sechs Empfehlungen gehört demnach, Emissionen durch fossile Brennstoffe und durch Landnutzung deutlich vor der Jahrhundertmitte zu stoppen. Zudem sollten negative Konsequenzen für besonders stark betroffene Gruppen und Länder abgemildert werden. Es brauche zudem koordinierte Bemühungen, um positive Kipppunkte auszulösen und die öffentliche Aufmerksamkeit für Kipppunkte zu erhöhen.

Als Beispiele für positive Kipppunkte gelten der Ausbau erneuerbarer Energien und der Umstieg auf Elektromobilität. „Eine Kaskade positiver Kipppunkte würde Millionen von Leben retten, Milliarden Menschen Leid ersparen, Billionen von Dollar an Schäden verhindern und den Anfang für eine Wiederherstellung der Natur machen, auf die wir alle angewiesen sind“, schreiben die Forscher.

Artensterben, Weltraummüll, Hitze

Schlüsselrisiken können zu unumkehrbaren Schäden führen, wenn die Menschheit nicht umsteuert. Das ist die alarmierende Botschaft eines anderen Reports „Interconnected Disaster Risks“, der jüngst von der Universität der Vereinten Nationen in Bonn veröffentlicht worden ist. Er zeitg sechs Risiken bzw. Kipppunkte auf.

Maßlose Ausbeutung der Ressourcen

Die Hauptautorin des Berichts, Zita Sebesvari, erklärt:  „Indem wir maßlos unsere Wasserressourcen ausbeuten, die Natur und die Artenvielfalt zerstören und sowohl die Erde als auch den Weltraum verschmutzen, bewegen wir uns gefährlich nahe an den Rand mehrerer Risiko-Kipppunkte.“ Ein solcher Punkt ist laut Report erreicht, wenn ein System nicht mehr in der Lage ist, Risiken abzufedern und gewisse Funktionen zu erfüllen.

„Unser Handeln gefährdet diese wichtigen Pufferkapazitäten, auf die wir dringend angewiesen sind“, so Sebesvari. Die Umweltkatastrophen der vergangenen Jahre wie Dürreperioden, Überschwemmungen und Wirbelstürme zeigten dies deutlich.

Eskalation des Artensterbens

Aufder Roten Liste: Zwerg-Bläuling – Cupido minimus – auf einer Blüte des Zottigen Klappertopf – Rhinanthus alectorolophus. Foto: Imago/Chromorange

Wenn eine bestimmte Tier- oder Pflanzenart ausstirbt, hat dies weitreichende Folgen auch für andere Arten. Ein Beispiel: die Gopher-Schildkröte. Sie gräbt Löcher, die von mehr als 350 anderen Arten als Verstecke, Brutplätze oder Ausweichort bei extremen Temperaturen genutzt werden. Die Folge: Stirbt die Schildkröte aus, gefährdet dies auch andere Arten. Der Bericht warnt zudem: Wenn ein Ökosystem mehrere besonders stark vernetzte Arten verliert, kollabiert es schließlich.

Erschöpfung des Grundwassers

Aufgerissen und ausgetrocknet ist eine Sandbank an der Niedrigwasser führenden Donau im Oktober 2023. Foto: dpa/Armin Weigel

Aus mehr als der Hälfte der großen Grundwasserspeicher der Welt wird mehr Wasser entnommen als sich auf natürliche Weise wieder auffüllen kann. Dadurch können Wasserquellen dem Bericht zufolge verlorengehen.

In Saudi-Arabien wurde dieser Kipppunkt der Grundwasserschöpfung laut Bericht bereits erreicht. „Auch in Deutschland greift die Landwirtschaft immer öfter auf Grundwasser-Vorräte zurück. Wir sollten uns jetzt frühzeitig überlegen, wie weit wir mit der Nutzung gehen wollen“, appelliert Sebesvari.

Schmelzen der Gletscher

Eisberge in Grönland. Foto: Imago/NurPhoto

Gletscher ziehen sich zurück, wenn ihr Eis schneller schmilzt als neues durch Schnee geformt wird. Aufgrund der Klimaerwärmung schmelzen dem Bericht zufolge Gletscher weltweit doppelt so schnell wie in den vergangenen 20 Jahren. Wenn erst einmal der Höhepunkt der Schmelze überschritten ist, weil sich der Gletscher stark verkleinert hat, nimmt die Menge des Schmelzwassers ab.

Das hat dem Bericht zufolge erhebliche Folgen für die Wasserversorgung, die in vielen Gebieten davon abhängt. Lange Phasen der Trockenheit können die Folge sein.

Müll im Weltraum

Das computergenerierte Bild der European Space Agency (Esa) zeigt Weltraummüll früherer Weltraummissionen, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist.  Foto: Esa/dpa

„Der Weltraum hat ein Müllproblem“, heißt es in dem Bericht. „Das kommt daher, dass Satelliten, die nicht mehr funktionieren, als Weltraummüll in der Erdumlaufbahn belassen werden.“ Da sich der Weltraummüll mit einer Geschwindigkeit von mehr als 25 000 Kilometern in der Stunde bewegt, kann auch schon ein kleines Schrottteil bei einer Kollision massiven Schaden verursachen und dadurch für noch mehr Weltraumschrott sorgen.

Die Internationale Raumstation und funktionstüchtige Satelliten müssten deshalb regelmäßig Ausweichmanöver vollführen. Der Bericht sieht das Risiko einer Kettenreaktion, wenn zwei große Objekte kollidieren sollten. Dies könne den Betrieb von Satelliten und die damit verbundene Wetterbeobachtung beeinträchtigen. „Hier müssten wir dringend über eine Regulierung nachdenken“, fordert Sebesvari. Sonst drohten wir unsere Weltraum-Infrastruktur zu zerstören.

Unerträgliche Hitze

In einigen Regionen werden heute schon Temperaturen erreicht, bei denen Menschen kaum noch ohne Hilfsmittel für längere Zeit draußen bleiben können. Dies wird laut Bericht durch den Klimawandel in immer mehr Gebieten vorkommen. Kühlung durch Klimaanlagen und Ventilatoren können sich nur reiche Menschen leisten.

Zudem verzögern sie den Autoren zufolge nur den Zeitpunkt, an dem der Kipppunkt „unerträgliche Hitze“ für Menschen erreicht ist. Sie könnten sogar zur weiteren Erderwärmung beitragen, wenn sie mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, erläutert Sebesvari.

Verlust von Versicherbarkeit

Bagger reißen die 300 Jahre alte Nepomukbrücke im Ahrtal ab. Das Wahrzeichen von Rech wurde 2021 durch die Flutkatastrophe schwer beschädigt. Foto: dpa/Thomas Frey

Immer schwerwiegendere Katastrophen treiben die Kosten für Versicherungen hoch, bis sie irgendwann nicht mehr bezahlbar sind. Sobald dieser Punkt erreicht ist, haben die Menschen kein wirtschaftliches Sicherheitsnetz mehr.

Probleme verzögern statt bekämpfen

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich die heute umgesetzten Lösungen eher auf eine Verzögerung der Kipppunkte konzentrieren als wirklich die Ursachen zu bekämpfen. „Unser Handeln ist zu sehr auf das Jetzt getrimmt“, kritisiert Sebesvari. „Die Optionen künftiger Generationen werden zu wenig berücksichtigt.“

Die Autoren nennen viele mögliche Verbesserungsschritte. Generell sei es nötig, die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Natur besser zu achten und sie als globales System von zusammenhängenden Teilen zu sehen, „von denen wir Menschen nur eines sind“.