Szene aus Malte Giesens Musiktheater „Frame“ mit den Neuen Vocalsolisten Stuttgart Foto: Martin Sigmund

Das Stuttgarter Neue-Musik-Festival Eclat hat mit Musiktheater von Malte Giesen und Christoph Ogiermann und mit Konzerten begonnen.

Stuttgart - Und noch mal von vorne. Zweiter Auftritt von fünf Sängern der Neuen Vocalsolisten, diesmal mit Trockeneis. Nein, auch das ist nicht gut. Mehr Show, bitte! Aus dem Off tönt laut die Anweisung des Komponisten, und schon treten die Akteure verkleidet ins Rampenlicht. Pose, Glitzer, Glamour. „Frame“ heißt das Musiktheater, das Malte Giesen für das Stuttgarter Eclat-Festival konzipierte, und sein Titel ist Programm. Es geht um die Frage, wie und wie sehr der Rahmen von Kunst – also etwa die Genese eines Werks, seine Interpreten und die Aufführungsbedingungen – deren (Be-)Deutung formt, und der Komponist hat zum so genannten Framing einen reflektierten Artikel im Programmheft geschrieben. In der Aufführung selbst lacht man zunächst sehr über die Selbstironie, mit der Giesen Musiktheater, Neue Musik und sich selbst beschreibt, und sowohl die Sänger als auch die Musiker des Ensembles Ascolta bringen sich mit Elan in die Nabelschau ein. Ziemlich schnell indes läuft sich das Lustige tot, und ein schaler Nachgeschmack bleibt zurück. Der Rahmen ist hübsch, aber viel zu groß. Und, vor allem: Er umfasst rein gar nichts. „Frame“ ist leer. Die Kunst selbst hat sich spätestens bei der Aufführung der Werkkonzeption als E-Mail-Operette auf leisen Sohlen aus dem Staub gemacht. Frei nach Gertrude Stein: Ein Rahmen ist ein Rahmen ist ein Rahmen ist ein Rahmen. Mehr nicht.

Dada-Chorperformance mit dem Vokalensemble Sinsheim

Traditionell experimentiert das Festival Eclat, das 2020 in sein vierzigstes Jahr geht, mit neuen Formen des Musiktheaters; traditionell sind gute Ideen darunter, aber vieles überzeugt im Ergebnis nicht. Das gilt auch für Stück, das Christoph Ogiermann entworfen hat: „Sinshome“ teilt mit Malte Giesens Stück eine Grundhaltung des Selbstreferenziellen, ist aber vor allem eine Dada-Chorperformance, aufgeführt vom Ensemble Klank und vom Vokalensemble Sinsheim – einem von drei Laienensembles, die der Eröffnungsabend mit ins Boot der Neuen Musik holen will. Ob die Sänger inmitten des assoziativen, von Videos begleiteten Aktionismus rund um das Spannungsfeld Kollektiv vs. Individuum tatsächlich begriffen (und empfanden!), was zeitgenössische Klänge sein können und dass sich die Auseinandersetzung mit ungewohnten Aufführungs- und Gesangstechniken lohnt, bleibt allerdings offen. Wie Gewinn bringend (für Laien wie für Profis) Kooperationen ausfallen können, demonstrierten jedenfalls deutlich zwingender das Stuttgarter Kammerorchester und das Junge Streichorchester Weil im Schönbuch bei ihrer sehr (!) gemeinsamen Annäherung an die zwei übereinander gelegten kompositorischen Schichten von Sandeep Bhagwatis „Vistar“, einem Stück mit klarer Dramaturgie und der bezaubernden Klanglichkeit eines aus Einzelklängen zusammengesetzten monumentalen Instrumentes.

Der Komponist Sergej Newski stand im Mittelpunkt eines Kammerkonzertes; ein hübsches, teils lustiges Werk mit dem Kontrabassklarinettisten Gareth Davis, drei (auch Kazoo spielenden) Männern der Vocalsolisten und „Lagerfeuer-Gitarre“ („Track 3“) bleibt ebenso in Erinnerung wie eine versteckte Hommage an die Spannungen und an die besondere Klanglichkeit der Gattung Klavierquartett mit Streichern des Arditti Quartets. Und Mark Andres acht Miniaturen „iv 17“ wirkten auch durch die Präzision im gemeinsam einstudierten Zischen, Hauchen und Atmen bei der Sopranistin Yuko Kakuta und der Pianistin Yukiko Sugawara. Dennoch lief ein nächtlicher, nur etwa halbstündiger Auftritt des Basses Andreas Fischer und des Tablaspielers Stefan Keller ihnen allen den Rang ab: Getragen von Reinhold Braigs fantasievollem Spiel mit der Live-Elektronik, begannen die Trommeln zu sprechen und zu singen, die Stimme wurde perkussiv, die Resonanzen verstärkten und ergänzten einander, und zwischendurch tropften kaum mehr ortbare Klänge aus den Lautsprecherboxen. Ein Hör-Abenteuer, atemraubend.