In bundesweiten Umfragen liegt die AfD im Moment auf Platz zwei. Foto: dpa/Sebastian Willnow

Wer wählt potenziell AfD? Und lassen sich diese Menschen vielleicht noch umstimmen? Professor Bettina Kohlrausch gibt im Interview Antwort auf diese und andere Fragen.

Die AfD verliert im aktuellen ARD-Deutschlandtrend drei Prozentpunkte, wäre aber mit 19 Prozent immer noch zweitstärkste Kraft im Bundestag. Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, spricht im Interview darüber, warum die Partei zurückgedrängt werden sollte und wie das gelingen kann.

Bettina Kohlrausch beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit der Entstehung und dem Ausmaß anti-demokratischer Einstellungen. Foto: Hans-Böckler-Stiftung/Thomas Range

Frau Kohlrausch, gibt es den typischen AfD-Wähler?

Bei den hohen Zustimmungszahlen gerade im Osten kann man nicht sagen, dass das eine klar umrissene Gruppe von Menschen ist. Die Gruppe reicht weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Aber es gibt gewisse Merkmale, die es wahrscheinlicher machen, dass man AfD wählt. Es sind häufiger Menschen aus niedrigeren Einkommensklassen, die finanzielle Sorgen haben und sich vom Leben übervorteilt fühlen. Es geht aber auch um Bedingungen am Arbeitsplatz.

Wer seine Arbeitsbedingungen als schlecht empfindet und sich nicht wertgeschätzt fühlt, ist empfänglicher für rechtsextreme Positionen. Teilhabe und Anerkennung spielen eine große Rolle. In der Soziologie sprechen wir von Erfahrungen sozialer Integration. Wer das Gefühl hat, nicht teilhaben zu können, wer desintegriert ist, wählt häufiger AfD. Und die meisten AfD-Wähler sind unglaublich unzufrieden mit der Bundesregierung.

Sind AfD-Wähler rechtsextrem?

Bei AfD-Wählern gibt es eine hohe Identifikation mit den Inhalten der Partei, diese ist stärker als bei den Wählern anderer Parteien. Das Vertrauen in die eigene Partei ist hoch, das in andere Institutionen ist gering. Insofern sind die meisten AfD-Wähler nicht einfach nur Protestwähler. Wir konnten aber auch feststellen, dass bei dem letzten Schub, der vom vergangenen Sommer bis November hinzugekommen ist, die Identifikation mit der AfD nicht so hoch ist. Vielen dieser Menschen sind auch soziale Themen sehr wichtig. Diese Menschen sind noch ansprechbar, sie sind für andere Fragen und Themen empfänglich.

Und wie spreche ich AfD-Wähler an?

Ich bin keine Sozialpsychologin. Aber wenn ich mir die Daten und die Forschung dazu anschaue, dann erreiche ich sie nicht mit den Themen, welche die AfD selbst gesetzt hat. Beim Thema Migrationspolitik zum Beispiel ist nichts zu gewinnen. Ich muss ein neues Feld aufmachen. Und wie gesagt, interessiert sich der letzte Schub an AfD-Wählern auch sehr für soziale Fragen, für Fragen der Gerechtigkeit. Man sollte also die realen, gesellschaftlichen Probleme konstruktiv ansprechen.

Warum lohnt es sich, diese Diskussionen zu führen?

Weil die AfD eine Bedrohung für die Demokratie ist. Wir müssen die Partei und die Einstellungen, die von ihr abgerufen werden, zurückdrängen. Demokratie funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Und alle Menschen sollten ein Interesse daran haben, andere für prodemokratische Einstellungen zu gewinnen.

Welche Rolle spielen dabei die aktuellen Demos gegen Rechtsextremismus?

Ich finde diese Demos ganz wichtig. Sie sind ein klares Zeichen und sie entlarven sehr überzeugend ein paar Mythen, welcher sich die AfD bedient. Zum Beispiel, dass sie für die schweigende Mehrheit spreche. Aber die Millionen Menschen auf der Straße beweisen, dass das nicht stimmt. Die Demos sind ein Signal, dass bestimmte Positionen auf Widerstand stoßen. Das ist wichtig. Genauso, wie man bei Alltagsrassismus sagen sollte, dass das nicht okay ist. Sonst kommt es zu Diskursverschiebungen.

Was müssen die demokratischen Parteien jetzt tun?

Sie müssen sich deutlich gegen die AfD positionieren und abgrenzen. Und sie müssen die realen Probleme klar benennen und überzeugende, politische Lösungen dafür bieten. Die Migration ist nicht unser Hauptproblem. Wir haben eine Klimakrise, eine Transformation der Arbeitswelt, Fachkräftemangel, eine eklatante Bildungsungerechtigkeit. Die demokratischen Parteien müssen das Spielfeld neu abstecken und zeigen, wo wirklich was im Argen liegt.

Aber es ist nicht nur eine Frage des Diskurses, wenn Menschen verunsichert sind. Wir haben Demokratie- und Gerechtigkeitsdefizite in diesem Land. Wir müssen das Übel bei der Wurzel packen. Die Frage ist letztlich: Wie sieht eine Gesellschaft aus, in der eine Partei wie die AfD und in der Einstellungen, wie sie die AfD bedient, gar nicht erst groß werden kann?

Wie viel an extremer Meinung verträgt das Land?

Das ist die Frage nach dem Kipppunkt, und die lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ich bin beunruhigt und alarmiert. Was wir im Moment erleben, ist bedrohlich, die Demokratie ist in realer Gefahr. Meinungen fräsen sich ein ins politische System, das ist gefährlich.

Wenn im Familien- und Freundeskreis politische Meinungen aufeinanderprallen, wird Politik als Gesprächsthema häufig ausgespart, um den Frieden zu wahren. Kann auch das eine Strategie sein?

Das finde ich total schwierig. Grundsätzlich finde ich es immer gut, etwas zu sagen, wenn man nicht einverstanden ist, und bestimmte Positionen können einfach nicht unwidersprochen stehen bleiben. Aber Familie ist sehr komplex. Wenn man sich liebt, sollte eigentlich genug Raum sein, um deutlich machen zu können, dass man Dinge anders sieht.

Das WSI-Erwerbspersonenpanel

Zur Person
Bettina Kohlrausch ist seit Anfang Mai 2020 Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und Professorin für gesellschaftliche Transformation und Digitalisierung an der Universität Paderborn. Ihre Forschungsinteressen liegen unter anderem in der Analyse der Bedeutung von Arbeit und sozialer Integration, insbesondere im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Staatsbürgerrechten und Einstellungen zur Demokratie sowie der Entstehung und dem Ausmaß anti-demokratischer Einstellungen (auch im europäischen Vergleich).

Zur Studie
Andreas Hövermann, seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hans-Böckler-Stiftung, hat sich in der Studie „Das Umfragehoch der AfD: Aktuelle Erkenntnisse über die AfD-Wahlbereitschaft aus dem WSI-Erwerbspersonenpanel“ intensiv mit dem Erstarken der Partei beschäftigt und die Ergebnisse zusammen mit Bettina Kohlrausch vorgestellt.