Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht in Brüssel von einem „hervorragend ausgehandelten Kompromiss“. Foto: AFP/JOHN THYS

Deutschland will nun der umstrittene Krisenverordnung zustimmen. Eine Einigung bei dem Treffen der Innenminister in Brüssel gibt es dennoch nicht.

Der erhoffte Durchbruch ist nicht erreicht worden. Die EU-Innenminister haben die Entscheidung über die umstrittene Krisenverordnung, ein zentrales Element der EU-Asylreform, vertagt. Zuvor hatte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Aussagen zu einer Einigung die Erwartungen hochgeschraubt. Die SPD-Politikerin sagte am Donnerstagabend nach einem Treffen mit ihren Kollegen in Brüssel: „Es gab eine politische Einigung im Rat.“

Doch die Minister trennten sich dann ohne Entscheidung. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erklärte am Abend: „Es gibt keine großen Hindernisse, die formale Abstimmung wird in den nächsten Tagen folgen.“ Wie aus Teilnehmerkreisen berichtet wird, hatte am Ende Italien Bedenken geäußert. Hintergrund ist offenbar der bereits länger schwelende Streit mit Deutschland über die Finanzierung von privaten Seenotrettungs-Organisationen im Mittelmeer. Rom wirft den Nichtregierungsorganisationen vor, den „Menschenhandel“ nach Italien zu fördern.

Die Hoffnung auf eine Einigung bei den Gesprächen in Brüssel war groß, da Deutschland am Donnerstag die wochenlange Blockade der EU-Asylreform aufgegeben hat. „Obwohl wir noch weiteren Änderungsbedarf hätten und auch darüber hinaus, werden wir heute unserer Verantwortung gerecht“, betonte die Ministerin Faeser und sprach von einem „hervorragend ausgehandelten Kompromiss“.

Die Krisenverordnung ist ein zentrales Element der geplanten EU-Asylreform, mit der unter anderem unerwünschte Migration begrenzt werden soll. So soll etwa bei einem besonders starken Anstieg der Migration der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Mit der Zustimmung Deutschlands ist nach Angaben des spanischen Innenministers und amtierenden Ratsvorsitzenden Fernando Grande-Marlaska der Weg frei für den letzten Baustein der europäischen Asylreform.

Ein „Machtwort“ des Bundeskanzlers

Bundesinnenministerin Faeser betonte vor dem Treffen mit ihren EU-Kollegen, dass es für die Bundesregierung wichtig sei, dass ein Mitgliedsland im Krisenfall „nicht leichtfertig in Anspruch nimmt, dann Standards abzusenken“. Hohe Asylnormen müssten auch dann gelten, wenn Drittländer Flüchtlinge gezielt in die EU weiterleiteten, wie es zuletzt der russische Verbündete Belarus getan hatte.

Möglich geworden war die Zustimmung Deutschlands offensichtlich erst durch ein „Machtwort“ des Bundeskanzlers Olaf Scholz. Der hatte am Mittwoch nach Angaben aus Regierungskreisen im Kabinett den Kurs ausgegeben, dass die Krisenverordnung nicht länger blockiert werden dürfe. Damit setzte er sich gegen die Grünen in der Ampel-Koalition durch, die eine deutsche Zustimmung verweigerten und dies mit einer drohenden Aushöhlung des Asylrechts und der inakzeptablen Absenkung des Schutzstandards für Migranten begründeten. In Deutschland äußerten Außenministerin Annalena Baerbock und andere Politiker der Grünen zuletzt zudem überraschend die Befürchtung, dass die Krisenregeln „Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland“ setzen könnte.

Gibt es abgesenkte Schutzstandards?

In Brüssel wurde diese Argumentation mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen, denn für beide Fälle seien Vorkehrungen getroffen worden. Den Plänen für die Asylreform zufolge müssten die Mitgliedstaaten auch bei einem starken Anstieg der Migration alle ankommenden Menschen registrieren. Eine mögliche Verlängerung von Fristen dafür wäre zudem nur nach vorheriger Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten möglich. Das Gleiche gilt auch für die Aufweichung von Schutzstandards. Es blieben demnach auch in einer Krisensituation noch etliche Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern.

Kritik am Vorgehen der Bundesregierung in Sachen Asylreform kommt aus der CDU. „Jetzt gilt es, das verloren gegangene Vertrauen in eine verlässliche Politik Berlins wiederzugewinnen und die Verhandlungen ohne weiteres Zögern und Ausflüchte aufzunehmen,“ sagte am Donnerstag nach dem Ministertreffen Lena Düpont, migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament.

Wenn der Streit über die Krisenverordnung beigelegt ist, können voraussichtlich auch die für die Reform wichtige Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament fortgesetzt werden. Dabei stehen aber die nächsten Probleme ins Haus, denn das Parlament hatte zuletzt angekündigt, Teile der Gespräche zu blockieren, bis sich die EU-Staaten bei dem Thema Krisenverordnung positioniert haben.

Diese Drohung wurde vor allem mit Blick auf die Haltung der Länder Ungarn, Polen, Slowakei und Österreich ausgesprochen, die eine deutliche Verschärfung der EU-Asylregeln fordern.