Obst und Gemüse sind feste Bestandteile der Ernährung von Leistungssportlern – egal, ob diese vegan leben oder nicht. Foto: Dmitry Fisher /Fotolia

Können Spitzensportler mithalten, die keine tierischen Produkte zu sich nehmen? Athleten, die sich vegan ernähren, behaupten: Ja. Ohne Fleisch und Milch seien sie sogar leistungsfähiger.

Stuttgart - Patrik Baboumian bezeichnet sich als „Vegan Badass“ – als „veganen Draufgänger“. Das klischeehafte Bild vom dürren, kraftlosen Pflanzenesser führt der 35-jährige Kraftsportler ad absurdum. Beruflich stemmt der 105-Kilo-Mann bei Strong-man-Meisterschaften Baumstämme oder trägt eine halbe Tonne Stahl spazieren. 2011 wurde der Armenier, der in Deutschland aufgewachsen ist, zum stärksten Mann der Welt gekürt. Seit 2012 ist Patrik Baboumian eines der Kampagnen-Gesichter der Tierschutzorganisation Peta. Die Botschaft: Veganer Hochleistungssport ist nicht nur möglich – er empfiehlt sich sogar.

Doch was ist dran an der These, dass sich Sportler schneller und besser erholen, wenn sie auf tierische Produkte verzichten, wie es auch der frühere Toptriathlet Brendan Brazier in seinen Büchern behauptet? Kann es wirklich sinnvoll sein, sich als Spitzensportler vegan zu ernähren? Die Antwort von Stephanie Mosler ist eindeutig: „Ich würde dies auf keinen Fall empfehlen.“

Die Ernährungswissenschaftlerin berät seit zwei Jahren am Olympiastützpunkt in Stuttgart Topathleten. „Ich rate zwar dazu, nicht zu viel Fleisch zu essen“, sagt Mosler, auf die Muskelregeneration habe aber besonders der Verzehr von weißem Fleisch wegen der Proteine (Eiweiß) einen positiven Effekt: „Die höchste biologische Wertigkeit hat Hühnereiweiß.“ Rein pflanzliche Ernährung sei für Menschen einfach nicht vorgesehen.

Fleisch und tierische Erzeugnisse versorgen nicht nur die Muskeln mit Eiweiß, was für Sportler besonders wichtig ist, sie liefern dem Körper auch das Vitamin B12, das unter anderem für die Zellfunktionen und das Nervensystem eine Rolle spielt. Menschen, die sich vegan ernähren, sollten B12 substituieren, es also konzentriert als Flüssigkeit oder in Tablettenform zu sich nehmen. Wem es an dem Vitamin mangelt, dem drohen laut Mosler Müdigkeit und Depressionen, schlimmstenfalls Blutarmut und Nervenschäden. Wie kommt es also, dass sich immer mehr Sportler vegan ernähren? Oder ist der angebliche Trend nur ein Eindruck, den die Verfechter dieses Lebensstils erwecken wollen?

Arne Gabius, der beste deutsche Läufer, hat in der Spitzenleichtathletik noch keine Veganer kennengelernt. Der 33-Jährige, der jahrelang für die LAV Tübingen an den Start ging, ist seit seiner Pubertät Vegetarier. Tierische Erzeugnisse isst er zwar, aber „nichts, was mal Augen hatte“. Damit kommt er bestens zurecht. Kürzlich stellte Gabius einen neuen deutschen Rekord über 5000 Meter auf. Ernährungsberatern, die seit Jahrzehnten Mischkost predigen, steht der erfolgreiche Leichtathlet ebenso skeptisch gegenüber wie dem Hype um vegane Ernährung. „Ich bin einer, der viel ausprobiert“, sagt er. Knapp 100 Gramm Eiweiß nimmt Gabius am Tag zu sich – „ich schaue, dass ausreichend pflanzliches Eiweiß dabei ist“.

Das steckt zum Beispiel in Cashewnüssen oder Leinsamen. Allerdings helfen ihm auch Molkedrinks und Quark bei der Proteinzufuhr. Gabius sagt: „Je mehr man ausschließt, desto schwieriger wird es, ausreichend Proteine zu bekommen.“ Auch wenn es mittlerweile konzentrierte Shakes auf Hanf-, Reis- oder Sojabasis gibt. Diese trinkt auch Eishockey-Profi Sebastian Osterloh. Dass es aufwendig ist, sich als Leistungssportler vegan zu ernähren, hat der Erstliga-Verteidiger der Straubing Tigers in den vergangenen Wochen festgestellt.

Vor rund drei Monaten strich er alles Tierische von der Speisekarte. Seither schluckt er jeden Morgen erst einmal fünf Tropfen Vitamin B12. Allerdings hat sich der 32-Jährige noch nie zuvor so fit gefühlt. „Ich muss nicht mehr so viel schlafen, ich bin viel frischer“, sagt er. Das liegt seiner Meinung nach vor allem daran, dass der Körper für die Verdauung pflanzlicher Gerichte weniger Energie aufwenden muss. Bei Osterloh hatte die Umstellung allerdings gesundheitliche Gründe. Seit er auf Milchprodukte verzichtet, plagen ihn keine Probleme mehr mit entzündeten Nasennebenhöhlen. Der Trick hat auch bei Basketball-Superstar Dirk Nowitzki funktioniert – bei manchen Menschen führen Milchprodukte offenbar zur Verschleimung.

Der experimentierfreudige Osterloh ist bei der Gelegenheit gleich vollends auf vegane Ernährung umgestiegen. „Jeder muss für sich selbst herausfinden, was gut für ihn ist“, sagt er, „ich rate aber jedem, wenigstens mal ein, zwei Wochen vegan zu leben und zu schauen, wie der Körper reagiert.“ Für ganz und gar unmöglich hält auch die skeptische Ernährungsberaterin Stephanie Mosler eine vegane Lebenseinstellung bei Sportlern nicht: „Man muss sich aber schon sehr gut auskennen und wissen, welche Lebensmittel und Stoffe wichtig sind.“

Darüber tauschen sich vegane Leistungssportler in einer öffentlichen Facebook-Gruppe mit dem Namen „Top Athletes Vegan“ aus. Mit dabei ist unter anderem Kraftprotz Patrik Baboumian, aber auch ein Eishockey-Kollege von Sebastian Osterloh: Christopher Fischer vom Erstligisten Adler Mannheim. Der 27-Jährige hat kürzlich in der Gruppe erklärt, warum er seit zwei Jahren auf Tierisches verzichtet: „Angefangen habe ich damit aus ethischen Gründen, bin aber inzwischen voll überzeugt, dass es auch vom gesundheitlichen Aspekt betrachtet absolut das Richtige ist.“ Angehängt an seine Äußerung hat Fischer sein Lieblingsgericht: Schwarze-Bohnen-Curry auf Tortilla.