Notärzte und Rettungswagen müssen schnell am Einsatzort sein – kommen aber mit der Arbeit kaum noch nach Foto: dpa

Seit Jahren ist bekannt, dass Notärzte und Rettungswagen in vielen Teilen des Landes zu oft zu spät zum Einsatzort kommen. Nur: Gebessert hat sich bisher wenig. Die Zahlen für 2014 sind sogar schlecht wie nie. In der Region hakt es besonders in den Kreisen Böblingen, Esslingen und Ludwigsburg.

Stuttgart - Ein älterer Mann bricht in Herrenberg auf der Straße zusammen. Nachbarn wählen die 112. Das Krankenhaus ist ganz in der Nähe. Doch der Rettungsdienst kommt nicht. 20 Minuten später haken die Anrufer nach. Der Disponent entschuldigt sich: Es sei kein Fahrzeug verfügbar, Kollegen aus Böblingen müssten kommen. Nach einer halben Stunde sind sie da. In der Klinik wird später eine Hirnblutung festgestellt.

Nur ein Fall von vielen. Immer häufiger wird die sogenannte Hilfsfrist in Baden-Württemberg nicht eingehalten. Das Gesetz sieht eine klare Regelung vor: Notarzt und Rettungswagen müssen in 95 Prozent der Fälle binnen maximal 15 Minuten am Einsatzort sein. Doch in der Realität bessert sich wenig. Im vergangenen Jahr war die Bilanz so mies wie seit Jahren nicht.

34 Rettungsdienstbereiche gibt es im Land. Nur in dreien davon konnten die Notärzte 2014 die gesetzliche Regelung einhalten – nach fünf im Jahr zuvor. Beim sogenannten ersteintreffenden Rettungsmittel, in der Regel ist das der Rettungswagen, ist die Verschlechterung noch größer. Acht von 34 Bereichen haben die Vorgabe erreicht. 2013 sind es noch 15, im Jahr 2012 sogar 25 gewesen. Am schlechtesten abgeschnitten hat einmal mehr der Bereich Waldshut mit nur 84,6 Prozent bei den Notärzten.

In der Region Stuttgart ist die Bilanz gemischt. Die Landeshauptstadt selbst glänzt nach Umstrukturierungen vor einigen Jahren mit Zahlen im grünen Bereich, ebenso der Rems-Murr-Kreis. Der Kreis Göppingen hat immerhin die Vorgabe bei den Rettungswagen erreicht. Die Landkreise Ludwigsburg, Esslingen und Böblingen verfehlen die Ziele samt und sonders, teils knapp, teils deutlich, gerade in kleinen Orten an den Rändern der Kreise. Speziell Böblingen hat sich dabei auffällig verschlechtert.

Für die Experten im Innenministerium liegt das auch an einer neuen Art der Datenerhebung. Erstmals hat nämlich die neu geschaffene Qualitätssicherungsstelle im Rettungsdienst landesweit die Zahlen erfasst. Die Werte seien deshalb nicht direkt mit den Vorjahren vergleichbar. „Ich begrüße sehr, dass die Kostenträger nicht unerhebliche Finanzmittel eingesetzt haben, um mit dieser bundesweit einmaligen Stelle klare Fakten zur gesamten Rettungskette zu erhalten“, freut sich Innenminister Reinhold Gall (SPD). Auf dieser Basis könne man aufbauen. Ziel aller Beteiligten müsse dabei sein, „eine möglichst optimale Versorgung der Menschen in unserem Land zu erreichen“.

So manche Verschlechterung ist also der Erfassungsmethode geschuldet. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bisher mancherorts offenbar falsch gerechnet worden ist. „Das könnte man vermuten“, sagt ein Ministeriumssprecher zurückhaltend. Absicht könne man dabei aber nicht unterstellen, es gehe eher um die Rechenmethode. In den vergangenen Jahren sah also manche Zahl auf dem Papier besser aus als in der Realität. Trotz der ohnehin schlechten Werte.

Heftige Kritik kommt von der Opposition im Landtag. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk sagt: „Die Entwicklung ist skandalös. Es muss dringend gehandelt werden.“ Er unterstellt Innenminister Gall, er tue zu wenig und gehe deshalb „grob fahrlässig“ vor. Zurückgenommener klingt das bei Rettungsdienstexperten. „Ich teile die Auffassung, dass die Datengrundlage jetzt stabiler ist. Aber natürlich sieht man keine Verbesserung bei den Zahlen“, sagt Eduard Kehrberger, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft südwestdeutscher Notärzte. Er erkenne aber beim Ministerium die Absicht zu handeln.

Gall kündigt an, auf alle Verantwortlichen Druck ausüben zu wollen. Dabei geht es um die Bereichsausschüsse, in denen Krankenkassen und Rettungsorganisationen miteinander verhandeln, aber auch um die Regierungspräsidien und unteren Behörden, die als Rechtsaufsicht dafür sorgen müssen, dass die Notfallrettung funktioniert. Wo immer die Fristen nicht eingehalten werden, will Gall binnen zwei Monaten von den Bereichsausschüssen Masterpläne sehen, wie die Lage verbessert werden kann. Erste Maßnahmen seien bereits eingeleitet.

Bis zum Sommer will die Landesregierung zudem das Rettungsdienstgesetz überarbeiten. Die ersten Pläne stießen bei Experten auf Ablehnung, weil die Hilfsfrist sogar verlängert werden sollte. „Ich würde mir wünschen, dass Änderungen kommen, die das nicht beinhalten“, sagt Notarzt Kehrberger. Sondern solche, die künftig verhindern, dass schwer kranke Patienten eine halbe Stunde lang auf der Straße liegen.