Angelika Schneider und Michael Fingas vor der Klinik: Manchmal reicht es schon, wenn Patienten sich gesehen fühlen. Foto: Simon Granville

Die Kliniken suchen neue Notaufnahmebegleiter. Das Ehrenamt ist ungewöhnlich, bewegend und aus dem Ludwigsburger Klinikalltag nicht wegzudenken. Es sagt aber auch viel über unser Gesundheitssystem aus.

Schon kleine Taten können in der Notaufnahme der Ludwigsburger Klinik riesige Wirkung haben, sagt Angelika Schneider. Sie erinnert sich beispielsweise an einen Jungen, der von seinem Pferd gefallen war. Verletzt, einsam und immobilisiert lag er in einem Behandlungszimmer. „Er weinte und sagte, er würde so gerne zu Hause anrufen, seine Familie macht sich Sorgen.“ Schneider suchte in den Sachen nach seinem Handy, wählte die Nummer und hielt ihm das Gerät ans Ohr. Er sei unendlich dankbar gewesen, „ich habe ihm in der Not geholfen, ohne etwas Medizinisches zu machen“.

Die ehrenamtlichen Notaufnahmebegleiter der RKH Klinik Ludwigsburg springen da ein, wo Ärzte und Pflegekräfte an ihre Grenzen stoßen. Sie sind die Sensoren der Notaufnahme, informieren Patienten und Angehörige und nehmen ihnen Ängste. Das Projekt ist nahezu einzigartig im Land, dabei könnte es ein wichtiges Mittel gegen ein überlastetes Gesundheitssystem sein.

Kommt oft zu kurz: Patienten müssen gesehen werden

Eigentlich hatten Angelika Schneider und ihr Ehrenamtskollege Michael Fingas ihr Leben lang nichts mit Krankenhäusern am Hut, bis beide 2019 vom Begleitteam der Notaufnahme in der Zeitung lasen. Schneider und Fingas suchten damals ein Gegengewicht zu ihren Bürojobs, eine sinnhafte Aufgabe – weniger Excel-Tabellen, mehr Menschlichkeit, sagt Schneider. Beide meldeten sich an und starteten in die Ausbildung.

Das Ehrenamt hat im Grunde zwei Aufgaben: Erstens erfüllen Notaufnahmebegleiter Serviceleistungen, informieren Patienten und Angehörige, versorgen diese mit Decken und Kissen oder füllen Wasserspender auf. Die zweite, anspruchsvollere Aufgabe, ist die emotionale Versorgung. Die Ehrenamtlichen nehmen die Patienten wahr, die teils Stunden auf eine Behandlung warten. Sie erkennen Wut, Trauer und Angst und helfen den Personen damit umzugehen. „Wir kümmern uns um das leibliche und seelische Wohl“, fasst Michael Fingas zusammen.

An einem normalen Wochentag sind rund 60 Patienten und Angehörige gleichzeitig in der Notaufnahme, jeder Ehrenamtliche habe seine eigene Herangehensweise diese anzusprechen, sagt Angelika Schneider. Sie erkundige sich zuerst, welche Personen schon besonders lange warten und fragt diese, ob sie irgendetwas brauchen. Die allermeisten reagieren freundlich, einige winken ab, viele seien sichtlich erleichtert, dass sie endlich gesehen werden, sagen die beiden Helfer.

Herausforderung Demenz

Die Arbeit mit den Menschen ist aber auch herausfordernd. Die Ehrenamtlichen begleiten beispielsweise Angehörige zu ihren gerade verstorbenen Familienmitgliedern. Sie müssen mit aggressiven Patienten umgehen. Andere reden und reden, werfen ihren seelischen Ballast auf die Ehrenamtlichen, die Acht geben müssen, darunter nicht einzubrechen. „Die größte Herausforderung für mich ist immer noch der Umgang mit Demenzkranken“, sagt Fingas, häufig dringe man gar nicht zu ihnen durch. Da helfe nur, sich auf deren Insel zu begeben, ergänzt Schneider. Eine 90-jährige Demenzkranke habe ihr einmal gesagt, dass sie auf ihre Mutter warte. „Ich habe ihr nicht gesagt, dass das nicht sein kann, sondern habe meine Hilfe angeboten, nach der Mutter zu suchen.“

Die Arbeit der Ehrenamtlichen sei aus der Notaufnahme nicht mehr wegzudenken, sagt Dr. Oliver Hautmann. Laut dem ärztlichen Direktor der Notfallmedizin decken die Begleiteter wichtige Bereiche ab, für die Ärzte und Pflegefachkräfte keine Kapazitäten hätten – sie stopfen damit ein Defizit des Gesundheitssystems.

Seit Jahrzehnten beschleunigt sich der Durchlauf an Patienten in deutschen Notaufnahmen. Die Zeit der Fachkräfte für den einzelnen Patienten sinkt, die Arbeitsbelastung steigt. In Ludwigsburg stieg die Zahl an Notfallpatienten von 52 000 im Jahr 2014 auf 57 000 im vergangenen Jahr.

Das hat mehrere Gründe, unter anderem wird die ambulante Versorgung schlechter. Während im Jahr 2010 ein Allgemeinarzt in Baden-Württemberg 1800 Bürger versorgte, waren es 2022 schon fast 2500. Die Patienten, die keinen Hausarzt finden, landen häufig in den Notaufnahmen. Hinzu kommen die Auswirkungen des demografischen Wandels, die Patienten werden älter und haben nicht nur eine, sondern mehrere Erkrankungen. Wieder Mehrarbeit für Notaufnahmen.

Ehrenamtliche haben ihre Berufung gefunden

Ein Teil der Branche sieht die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach als Chance. Kleine Kliniken werden geschlossen und die Kompetenzen dort gebündelt, wo sie gebraucht werden. Gegner der Reform sagen das genaue Gegenteil voraus: Wenn Strukturen wegfallen, müssen diese woanders aufgefangen werden. Das klappe nur mit Investitionen in die übrig bleibenden Krankenhäuser. Die Belastung der Notaufnahmen werde durch die Reform tendenziell weiter steigen, sagt auch Oliver Hautmann – und ehrenamtliche Helfer in der Notaufnahme immer wichtiger.

Er sei lange auf der Suche nach einer sinnvollen Aufgabe gewesen, sagt Michael Fingas. Seine Arbeit bei einem Versicherungsunternehmen sei nur ein Job gewesen, jetzt habe der Rentner aber seine Berufung gefunden. „Ich bin mit Leib und Seele dabei.“ Man müsse zwar Wege finden, das Erlebte nicht nach Hause zu tragen, sagt Angelika Schneider. Die positiven Erfahrungen würden jedoch deutlich überwiegen, besonders das Gefühl, einen Unterschied im Leben eines Menschen gemacht zu haben. Auch wenn es nur durch eine kleine Tat ist, wie einem immobilisierten Patienten das Handy ans Ohr zu halten.

Wie kann ich mich in Ludwigsburg und Bietigheim ehrenamtlich engagieren?

Die Arbeit
 Eine normale Schicht der Ehrenamtlichen dauert rund vier Stunden – mal kürzer, mal länger. Die Ehrenamtlichen bestimmten selbst, wann sie Zeit haben und vorbeikommen. Angelika Schneider kommt beispielsweise manchmal ganz spontan: „Wenn es mir schlecht geht, dann gehe ich in die Notaufnahme, danach geht’s mir immer besser.“

Die Anmeldung
 Aktuell suchen die RKH Kliniken 15 neue Ehrenamtliche für die Begleitteams in Ludwigsburg und Bietigheim-Bissingen. Vor dem Einsatz in den Notaufnahmen durchlaufen die Freiwilligen eine umfangreiche Schulung. Anmeldeschluss für die Kurse im Sommer ist der 5. April. Bei Fragen zum Ehrenamt hilft Klinikpfarrerin Susanne Digel weiter (07141-99-97133, susanne.digel@rkh-gesundheit.de).