Am Montag protestierten in ganz Deutschland Landwirte gegen die Sparpläne der Bundesregierung. Foto: dpa/Armin Weigel

Die Union stellt sich rückhaltlos hinter die Bauern – auch weil sie fürchtet, dass der Unmut sonst bei der AfD einzahlen würde.

Friedrich Merz schweigt. Am Donnerstagabend verhindern Hunderte aufgebrachte Menschen, die meisten von ihnen offensichtlich Bauern, dass eine Fähre, die von der Hallig Hooge kommt, im Fährhafen Schlüttsiel anlegen kann. An Bord ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Ein Gesprächsangebot des Ministers wird abgelehnt. Es sind Bilder, die in Deutschland bislang nicht zum Alltag gehören. Vorgänge, die dem Tatbestand der Nötigung von Verfassungsorganen zumindest nahekommen, sind hierzulande – noch – Ausnahmen in der politischen Auseinandersetzung.

Entsprechend harsch ist die Kritik, die folgt. Kanzler Scholz nennt die Bilder beschämend. Auch innerhalb der CDU gibt es klare Worte. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther nennt die Geschehnisse „völlig neben der Spur und nicht zu tolerieren“. Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzende, schweigt.

Es hagelt Solidaritätsadressen

Der nachfolgende Freitag ist der Tag der Trauerfeier für Wolfgang Schäuble. Friedrich Merz hält eine Abschiedsrede. Ein Tag der Besinnung also, kein Tag für tagespolitischen Kleinkram. Insofern hätte man verstehen können, wenn der CDU-Chef in den sozialen Medien eine Auszeit genommen hätte. Das hat er allerdings nicht. Während Twitter überläuft mit Beiträgen, die sich der Habeck-Sache annehmen, findet Merz Zeit für einen launigen Geburtstagsgruß an Markus Söder. Erst einen Tag später schickt sein Medienteam dann ein Zitat, in dem die Vorgänge von Schlüttsiel nachrangig Erwähnung finden: „Erstürmung von Gebäuden, Festkleben auf Straßen, Behinderung des Flugverkehrs, Farbattacken oder die gewaltsame Behinderung eines Bundesministers sind Straftaten, die ein Rechtsstaat nicht dulden darf . . .“

Als zu Wochenbeginn Bauern in ganz Deutschland protestieren, hagelt es Solidaritätsadressen der Union. CSU-Generalsekretär Martin Huber fordert in einer Videobotschaft: „Schluss damit, dass die Ampel unsere Landwirte und die Menschen im ländlichen Raum immer wieder an den Pranger stellt.“ Auch der Ex-Generalsekretär der CDU, Paul Zimiak, bekundet den Bauern sein „großes Verständnis“.

Großes Verständnis? Nur zur Erinnerung: Der Fachdienst „agrar heute“ beginnt jüngst eine Analyse mit folgenden Sätzen: „Für Landwirte war das Wirtschaftsjahr 2022/23 ein Ausnahmejahr. In allen Betriebsformen wurden Spitzengewinne erzielt.“ Der Anteil der nun so umstrittenen Agrardieselsubvention an den Gewinnen lag im Mittel der Jahre 2017 bis 2021 bei 4,3 Prozent. Das vom Bauernverband gezeichnete Bild, wonach die Kürzungen Betriebe an den Rand des Ruins führen, liegt abseits der Wirklichkeit. Dennoch hält die Union so eisern wie keine andere demokratische Partei zu den Landwirten.

CDU steht vor einem ausgesprochen schweren Wahljahr

Es ist nicht so schwer zu erkennen, woran das liegt. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte die Union bei den wählenden Landwirten einen Stimmenanteil von stolzen 45 Prozent. Weit abgeschlagen folgte die SPD mit zwölf Prozent. Alles zufriedenstellend also für die CDU? Ganz und gar nicht, mehr Engagement ist gefragt: Denn 2017 hatte die Union noch 61 Prozent der Bauern hinter sich. Ein weiteres Erodieren ihrer Stammwählerschaft will die Partei um jeden Preis verhindern.

Zumal die Partei vor einem schwierigen Wahljahr steht. Gerade hat eine Befragung in Sachsen, wo in acht Monaten ein neuer Landtag gewählt wird, ergeben, dass die Union mit 33 Prozent vier Prozentpunkte hinter der AfD liegt. Vor allem aber wäre sie nur noch mithilfe von Linken und Grünen fähig, weiterhin den Ministerpräsidenten zu stellen. Eine Kooperation mit der Linken aber wäre ein Kulturbruch für die Union.

Zudem geht in der CDU das Gespenst der Spaltung um. Die Ankündigung vom Vorsitzenden der Werte-Union, Hans-Georg Maaßen, mit seiner rechtsnationalen Truppe eine eigene Partei zu gründen und die Union zu verlassen, könnte da nur ein erstes Menetekel sein. Friedrich Merz ist der Gefahr einer Spaltung schon längere Zeit gewahr. Im vergangenen Sommer hatte er in einem Tweet geschrieben: „Es ist unsere Verantwortung, gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir nicht auseinanderbrechen, nicht als Partei verschwinden.“

Kretschmer übernimmt Formeln der Populisten

Aber weiß Merz auch, was zu tun ist? Sachsen ist zusammen mit Thüringen für die Union die vorderste Front im Kampf gegen die AfD, die jedwede Proteststimmung für sich zu nutzen weiß. Der dortige CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer versucht möglichst viel Verständnis für den rabiater werdenden Unmut zu zeigen, um die Absetzbewegung nach rechts außen zu stoppen. Dabei überschreitet er auch Grenzen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk zu den Bauernprotesten sagte er am Montag, der von der Bundesregierung gebrauchte Satz, man lasse sich nicht erpressen, sei „in einer Demokratie eine Unmöglichkeit“. Diese Bundesregierung mache genau das, was sie den Bauern vorwirft, nämlich zu sagen: Wir machen, was wir wollen! Wir sind gewählt.“ Kretschmers Fazit: „Das ist aber nicht Demokratie.“ Kretschmer übernimmt auf diese Weise das rechtspopulistische Stereotyp von „denen da oben“, die nicht aufs Volk hören. Es sind üblicherweise die vom rechten Rand, die mit solchen Formeln den Staat zu delegitimieren suchen. Die CDU spielt hier mit dem Feuer.

Es ist aber nicht so, dass alle anderen Parteien über jegliche Kritik erhaben wären. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke rief am Montag die Bundesregierung dazu auf, „die Kürzungen komplett zurückzunehmen“. Auch in Brandenburg wird in diesem Jahr gewählt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

So ist es erstaunlicherweise Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der am wenigstens Angst vor dem Konflikt mit den Bauern zeigt. Sein Hinweis auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen, dass, wer neue Subventionen bekommt, sich auch schrittweise von alten verabschieden muss, kommt für die Bauern als klare Kampfansage rüber.

Und was macht derjenige, der zur Hassfigur der Bauern und überhaupt zu einem Ziel jedweder Form eines wabernden Unmuts geworden ist? Am Montag sendete Robert Habeck über Twitter eine Videobotschaft, in der er auf die demokratiefeindlichen Tendenzen eingeht, die sich in die Proteste mischen. Der Wirtschaftsminister lässt scharfe Töne anklingen: „Wenn an Traktoren Galgen hängen und Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten“, sagte Habeck. Wer die Demokratie zersetzen wolle, müsse wissen, „dass er dafür mit den Mitteln des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen wird“.