Daimler-Chef Michael Brecht: Es geht um die Altlasten beim Diesel, aber auch um die Zukunftsthemen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Daimler-Konzern steht beim Diesel schwer unter Druck. Wir haben mit Betriebsratschef Michael Brecht über mögliche Folgen und Lösungsansätze gesprochen.

Stuttgart - Beim Diesel steht der Daimer-Konzern schwer unter Druck. Betriebsratschef Michael Brecht macht sich Sorgen, dass deshalb die Zukunftsthemen unter die Räder kommen könnten.

Herr Brecht, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer tritt gegenüber der Autoindustrie ganz anders auf als sein Vorgänger Alexander Dobrindt. War Dobrindt zu lasch oder ist Scheuer zu hart?
Ich wollte nicht in der Haut des Bundesverkehrsministers stecken. Auf der einen Seite muss er natürlich für die Einhaltung der Abgasvorschriften sorgen, auf der anderen Seite hat er auch eine große Verantwortung für die Leitindustrie der deutschen Wirtschaft, an der direkt im Inland 880 000 Arbeitsplätze hängen.
Stehen die Einhaltung der Vorschriften und die Verantwortung für die Industrie denn in einem Widerspruch?
Natürlich nicht. Aber wir müssen schauen, dass wir beim weiteren Vorgehen die Prioritäten richtig setzen. Es gibt zum einen die Altlasten beim Diesel, die müssen natürlich angegangen werden. Das gilt aber auch für das Ziel, den Verbrennungsmotor nach vorne zu bringen und immer verbrauchsärmer zu machen. Und nicht zuletzt ist es eine gewaltige Aufgabe, die Elektromobilität voranzubringen. Wir haben hier drei riesige Themen vor uns, die wir parallel bearbeiten müssen und von denen jedes gewaltige Summen beansprucht. Konzentrieren wir uns zu sehr auf eines der Themen, leiden die anderen.
Zum Beispiel?
Bei der Elektrifizierung stehen wir in einem sehr ungleichen Wettbewerb mit dem US-Hersteller Tesla, der sich nicht mit der Frage befassen muss, wie er auch morgen noch 170.000 Menschen in Deutschland beschäftigen wird. Auch der Bundesverkehrsminister darf sich nicht nur auf ein Ziel konzentrieren, sondern muss auch die Zukunftsthemen im Blick haben.
Für den Dieselskandal interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft, die im vergangenen Jahr Daimler mit einer großen Razzia ins Visier nahm. Was macht so etwas mit der Moral der Truppe?
Die Kollegen erfahren von so etwas aus der Zeitung und dem Fernsehen. Da entsteht eine große Verunsicherung. Ich frage mich schon, ob die Ermittlungsbehörden ihrer Verantwortung gegenüber dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern immer gerecht werden.
Inwiefern?
Die Ermittlungen könnten sicher genauso gut geführt werden, ohne dass die Durchsuchungen im Rampenlicht der Öffentlichkeit stattfinden. Meines Wissens gibt es in Deutschland noch immer das gute rechtsstaatliche Prinzip, wonach jeder, der nicht schuldig gesprochen wurde, als unschuldig zu gelten hat. Wenn Untersuchungen aber derart medienwirksam geführt werden wie das derzeit der Fall ist, gleicht das in der öffentlichen Wirkung einem Schuldspruch, obwohl noch lange kein Urteil gefällt ist. Eine solche Vorverurteilung hat mit einem fairen Verfahren nicht viel zu tun.
Viele Menschen fällen ihr Urteil über den Diesel derzeit beim Autokauf. Sein Marktanteil bricht geradezu ein. Lässt sich das noch aufhalten?
Es ist sehr bedauerlich, dass nun im großen Stil Kaufentscheidungen aus Gründen getroffen werden, die in der Vergangenheit liegen. Die heutigen Technologien halten alle Grenzwerte ein und unterschreiten sie zum Teil deutlich. Die Probleme der Vergangenheit dürfen kein Grund sein, mit der heutigen Dieseltechnologie zu brechen.
Wenn die Autoindustrie wirklich das Vertrauen wieder herstellen will, warum tut sie sich dann so schwer mit der Hardware-Nachrüstung alter Fahrzeuge?
Wenn wir nur von Maximalforderungen wie dem Einbau neuer SCR-Einspritzsysteme in alte Fahrzeuge reden, kann es sein, dass wir in zehn Jahren immer noch reden und nichts erreicht haben. Der große Vorteil der Nachrüstung mit einer verbesserten Software-Lösung besteht darin, dass sie nicht erst in ein paar Jahren wirkt, sondern hier und heute.
Einen Ausweg aus der Dieselkrise soll ja auch die Elektromobilität weisen. Laut einer neuen Studie des Fraunhofer-Instituts könnte sie unter dem Strich aber bis zu 110 000 Arbeitsplätze kosten. Ist die Elektromobilität ein Jobkiller?
Sicher ist, dass die Autoindustrie vor einem Umbruch steht, weil der Elektromotor viel einfacher zu bauen ist und ein E-Auto viele Komponenten wie ein aufwendiges Getriebe gar nicht erst benötigt. Wenn man da nicht gegensteuert, werden wir über kurz oder lang weniger Arbeitsplätze haben.
Wie kann dieses Gegensteuern aussehen?
Es werden ja nicht nur Tätigkeiten wegfallen, sondern auch neue entstehen - etwa im Bereich der Batterie, des Leistungsmanagements und auch bei der Karosserie, an die wegen des Schutzes der Batterie neue Anforderungen gestellt werden müssen. Diese müssen hier bei uns entstehen.
Das sehen Daimler und andere Hersteller offenbar anders. Weder die großen Hersteller noch der Zulieferer Bosch wollen hier im großen Stil eine Fertigung für Batteriezellen aufbauen.
Bei der Batteriezelle erleben wir im Moment einen Wettbewerb, in dem asiatische Hersteller mit staatlicher Unterstützung ihre Produkte zu Preisen auf den Markt werfen, die nicht einmal die Produktionskosten decken. Doch davon darf man sich nicht täuschen lassen: Sobald die Nachfrage höher ist als die Produktionskapazität, wird der Preis kippen. Dann können diese Anbieter ihre Marktmacht voll ausspielen, und die Autohersteller werden darum betteln, beliefert zu werden.
Was müsste dagegen getan werden?
Bei einem derart ungleichen Wettbewerb wäre es angemessen, dass der Aufbau dieser Industrie auch bei uns staatlich gefördert wird - sei es durch Subventionen oder durch einen günstigen Strompreis. Denn unter diesen Marktbedingungen lässt sich hier nicht auf Anhieb eine wettbewerbsfähige Produktion aufbauen.
Die Zurückhaltung der deutschen Konzernchefs liegt vielleicht auch daran, dass sie die Elektromobilität am liebsten außerhalb der großen Werke und auch außerhalb des Einflusses der Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsräte ansiedeln wollen.
In den vergangenen Jahren wurden bei Daimler viele Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Elektromobilität in Tochtergesellschaften ausgegliedert. Deren Mitarbeiter sind bei Geld und Arbeitszeiten schlechter gestellt. Doch das wird so nicht weitergehen.
Was macht Sie da so sicher?
Daimler hat inzwischen bemerkt, dass dieses Vorgehen gerade bei hochqualifizierter Arbeit nichts bringt. Im Gegenteil: Wenn Leute bei uns anfangen, ausgebildet werden und wir sie dann nicht konkurrenzfähig bezahlen, suchen sie so schnell wie möglich das Weite und arbeiten zu ordentlichen Bedingungen beim Wettbewerb. Dann haben wir gar nichts gewonnen, sondern nur eine Menge Lehrgeld gezahlt. Offenbar hat der Vorstand das verstanden. Zumindest hat er die Batterie-Entwicklung von Accumotive ins Werk Untertürkheim integriert – zu den dortigen Bedingungen.
Heißt das, hohe Lohnkosten steigern die Wettbewerbsfähigkeit?
Sie wird durch die Einhaltung der Tarifbedingungen offenbar keineswegs verschlechtert. Vielmehr ist sie zunehmend eine Voraussetzung, um überhaupt qualifiziertes Personal zu bekommen. Auch bei den neuen Technologien tut die Industrie deshalb gut daran, sich an die Tarifverträge zu halten.