Alexander Kotz fotografierte in einer Sitzung den OB und postete das Bild samt Kommentar sofort auf Facebook. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Gemeinderäte spielen während wichtiger Sitzungen auf ihren Handys herum. Sie fotografieren, tummeln sich auf Facebook, setzen launige Kommentare ab und folgen gleichzeitig wichtigen Debatten über Wohnungsleerstand. Allen voran CDU-Chef Alexander Kotz.

Stuttgart - Kindern, die ständig auf ihrem Smartphone daddeln, werfen Erwachsene vor: „Leg das Ding endlich weg, du kannst dich doch nicht gleichzeitig auf zwei Dinge konzentrieren. Du nervst!“

Jetzt, liebe Kinder, könnt ihr zurückschlagen. Die Erwachsenen sind kein Haar besser. Manche sind sogar noch schlimmer als ihr. Zum Beispiel die Herren Gemeinderäte, also ehrenwerte Vorbilder der Gesellschaft. Sie spielen während wichtiger Sitzungen auf ihren Handys herum. Die Wunder der Konzentrationsfähigkeit schaffen es, gleichzeitig zu fotografieren, sich auf Facebook zu tummeln, launige Kommentare abzugeben und der wichtigen Debatte über Wohnungsleerstand zu folgen.

Kotz stellt manche Frau in den Schatten

Normalerweise, heißt es, sei das ein Talent, das nur Frauen zugesprochen wird, dieses Multitasking. Oder technokratisch: Mehrprozessbetrieb. Genau in dieser Disziplin stellt CDU-Fraktionschef Alexander Kotz jede Frau in den Schatten.

Kotz kann alles gleichzeitig so gut, dass selbst OB Fritz Kuhn die Spucke wegbleibt. Als Kuhn merkt, dass Kotz mitten in der Hitze der Debatte eine zweite Diskussion auf Facebook eröffnet und mit den Stadträten Bernd Klingler (AfD) und Hans H. Pfeifer (SPD) palavert, stellt er Kotz zur Rede.

Aber der CDU-Mann hat kein Unrechtsbewusstsein. Was spreche schon gegen ein klitzekleines Foto aus der Sitzung? Schließlich sei der Oberbürgermeister ja eine Person des öffentlichen Lebens. Also alles rechtens. Und überhaupt: Warum so kleinlich? Heute daddelt doch jeder. In besagtem Fall tippt Kotz „schockiert“ folgende Zeilen auf seine Pinnwand bei Facebook: „Die Orgie der staatlichen Bevormundung erlebt heute mit dem OB Kuhn einen neuen Höhepunkt!!!“

Kuhn reagiert gelassen

Fritz Kuhn lässt trotz der Polemik Milde walten. Die Erfahrung des Vaters von zwei Söhnen hilft ihm vermutlich dabei, die Sache locker zu sehen. Doch die Bürger auf der Zuschauerempore und mancher Stadtrat reagieren empört. Viele stellen sich kopfschüttelnd die Frage: „Warum sollen wir uns eigentlich noch zu Sitzungen treffen? Wir können uns ja gleich über Facebook unterhalten.“ Einer murmelt sogar: „Ich finde das unmöglich, denn der OB kann sich so ja gar nicht wehren.“ Tatsächlich kommt die Empörung reichlich spät. Die Handy-Manie wird im Gemeinderat schon längst geduldet. Manchmal werden sogar Interna aus geheimen Sitzungen nach außen gezwitschert.

Deshalb, liebe Kinder, lasst euch nie mehr von der Seite anquatschen. Verweist bei Kritik an eurem Smartphone-Getippe auf die moderne CDU und ihren Fraktionschef. Sie sind Sinnbild der neuen Zeit.