Muss Europa seine Asylpolitik ändern? Foto: imago/Gustavo Alabiso

Der CDU-Politiker Thorsten Frei schlägt einen Systemwechsel in der Asylpolitik vor – und das Ende des individuellen Grundrechts. Eine Obergrenze für Geflüchtete ist zynisch, kommentiert unser Redakteur Tobias Peter.

Man stelle sich nur einmal vor, alle Krankenwagen würden immer spätestens ab Herbst an allen Unfallstellen nur noch vorbeifahren. Die Begründung: Das Kontingent, Menschen zu helfen, sei für dieses Jahr leider bereits ausgeschöpft. Das wäre unmenschlich? Ja, natürlich.

Genau dasselbe gilt für die politische Idee, eine Obergrenze für Asylempfänger oder Geflüchtete einzuziehen. Eine geschickt formulierte Variante dieser Idee hat nun der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Thorsten Frei, vorgetragen. Aus dem Individualrecht auf Asyl, so schlägt es der CDU-Politiker vor, müsse eine „Institutsgarantie“ werden. Was für ein wohlklingendes Wort! Nur dass es eben bedeuten würde, dass Europa künftig auch diejenigen Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt sind, an seinen Grenzen abweisen würde.

Ein Kontingent für ganz Europa?

Stattdessen, fährt Frei mit seinem Gedanken fort, könne Europa jährlich ein Kontingent von 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen. Diese könnten dann auf die teilnehmenden Staaten verteilt werden. Und: „Käme es zu einem Massenzustrom wie derzeit im Falle der Ukraine, würde Europa für einen längeren Zeitraum kein Kontingent aus dem entfernten Ausland mehr aufnehmen.“

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist der Anspruch, den unser Grundgesetz in Artikel 1 vorgibt. Es ist eine Lehre, die Deutschland aus seiner Geschichte gezogen hat. Ausdrücklich ist dort von der Würde des Menschen die Rede – und nicht nur von der Würde der Bürgerinnen und Bürger. Es heißt im Grundgesetz auch nicht: „Die Würde des Menschen wird in Kontingenten zugeteilt – nur, solange der Vorrat reicht.“

Der Schutz der Menschenwürde gebietet es, dem Verfolgten Zuflucht zu geben. Der Einzelne muss einen Anspruch darauf haben, dass geprüft wird, ob er schutzbedürftig ist. Es ist legitim, wenn Europa diese Frage möglichst schon an den Außengrenzen klären will. Schnelle Entscheidungen tragen zu einer höheren Akzeptanz der Hilfe in der Bevölkerung bei. Wer kein Bleiberecht erhält, soll zurück in sein Heimatland. Dafür müssen Deutschland und Europa sich politisch anstrengen. Und: Wenn es endlich zu einem fairen Verteilmechanismus zwischen den Ländern in der EU käme, wäre viel erreicht.

Die Aufgabe der Integration

Es wäre ohne jeden Zweifel vieles einfacher, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, genau steuern ließe. Nur: Kriege und Krisen kennen keine Kontingente. Auch Diktatoren, die Menschen verfolgen, halten sich nicht daran. In solchen Situationen an Kontingenten festzuhalten, die nichts mit der Realität zu tun haben, wäre zynisch.

Der CDU-Politiker Frei argumentiert, gerade eine Kontingentlösung ermögliche es, den besonders Schwachen zu helfen, also Frauen, Kindern und Kranken. Wenn es ihm darum ginge, müsste einen deutlich großzügigeren Vorschlag machen. So setzt er sich zurecht dem Verdacht aus, dass es ihm nur um populistische Geländegewinne geht. Zudem gilt: Wer ohnehin nur ein Kontingent aufnehmen will, läuft auch Gefahr, noch mehr als bislang zu wenig gegen Fluchtursachen zu tun.

Wenn sehr viele Geflüchtete kommen, ist das in Deutschland vor allem eine Belastung für die Kommunen. Das bedeutet: Bund und Länder müssen gemeinsam zupackend helfen – statt sich die ganze Zeit darüber zu streiten, wer von ihnen mehr beitragen muss.

„Wir schaffen das“: Das war die richtige Botschaft der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), als Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 den Zuzug zahlreicher Geflüchteter zu bewältigen hatte. Ihr Fehler war: Sie hat zu wenig über das Wie gesprochen. Merkel hat politisch zu wenig getan, um Grundlagen für eine gelungene Integration zu legen. Das darf sich nie wiederholen. Europa braucht keine Obergrenze für Geflüchtete. Es muss sich nur gut organisieren, wenn es um Hilfe und Integration geht.