Die Menschen lassen in den Hofläden mehr Geld als früher liegen. Foto: picture-alliance//Bonß

Die Produkte von Bio-Höfen in der Region sind in der Pandemie – in der mehr gekocht wird – enorm gefragt.

Marbach - Die Schlange vor dem Verkaufsstand des Kirchberger Bio-Landwirts Jürgen Trautwein auf dem Marbacher Wochenmarkt ist lang. Für Außenstehende erweckt sie den Eindruck, als habe sich die Nachfrage nach dessen Bioland-Angebot, hauptsächlich Obst und Gemüse, in Zeiten der Pandemie erheblich verstärkt. Doch Jürgen Trautwein, der zahlreiche Verkäufer mitgebracht hat, um die Kunden rasch bedienen zu können, wägt ab: „Tatsächlich sind es etwa zehn Prozent weniger Kunden, die seit einem Jahr bei uns einkaufen. Dazu zählen auch die Kunden, die zweimal wöchentlich im Hofladen einkaufen können. Allerdings kaufen die verbliebenen 90 Prozent rund ein Viertel mehr ein als zuvor, sodass am Ende ein Plus zu verzeichnen ist.“ Natürlich hat sich der Chef des Bioland-Erzeugerbetriebes dazu Gedanken gemacht. Er vermutet, dass die relativ kurzen und intensiven Einkaufsintervalle, besonders vor Ort im Hofladen, jene Kunden abschrecken, die Angst vor Kontakten haben und deshalb wegbleiben. Die Tatsache aber, dass viele Arbeitnehmer derzeit im Homeoffice sind und dadurch weitaus mehr zu Hause gekocht werde als vor der Coronakrise, betrachtet Trautwein als Indiz dafür, dass der einzelne Käufer mehr Ware benötigt.

Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) bestätigt hierzu: „Während der Corona-Pandemie wird häufiger zu Hause gekocht, die Menschen setzen sich deshalb automatisch mehr mit der Art der Erzeugung, der Qualität und Herkunft von Lebensmitteln auseinander. Der Verbraucherwunsch nach vertrauenswürdigen, regionalen Lebensmitteln wurde in der Pandemiezeit immer wichtiger. Die Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit sind stärker in die Aufmerksamkeit der Verbraucher gerückt.“

Eberdinger Bio-Lieferservice Laiseacker verzeichnet gestiegene Nachfrage

Wer jedoch selbst nicht einkaufen gehen will oder kann, hat etwa mit dem Eberdinger Bio-Lieferservice Laiseacker die Möglichkeit, sich innerhalb des ausgewiesenen Liefergebietes frische Ware direkt an die Haustüre bringen zu lassen. Und nicht nur das, wie Tabea Sanzio betont: „Wir liefern inzwischen so ziemlich alles, was ein Haushalt benötigt. Derzeit werden vielfach Waschmittel und Kosmetikartikel mitbestellt“, so die Geschäftsführerin, die seit dem ersten Lockdown eine insgesamt höhere Nachfrage verzeichnet und sieht, „dass Liefern interessanter geworden ist“. Ob aus Angst vor Ansteckung, weil man in Quarantäne ist oder Zeit sparen will: Die Ware kommt über ökologisch sinnvoll zusammengestellte Touren, also über kurze Wege, ins Haus. Laiseacker gibt deshalb auch den Liefertermin vor. Weil die Bedeutung von Regionalität nun anders begriffen und zu Hause viel mehr gekocht werde, sei die Nachfrage immens gestiegen. Momentan werden Neukunden jedoch nur gedeckelt aufgenommen: „Wir müssen aktuell mit Warteliste arbeiten“, erklärt Sanzio, die den Zuwachs von rund 3500 Kunden auf 4500 beziffert. Ein zusätzlicher Liefertag, der Samstag, musste deshalb her. Ebenso weitere Arbeitsschichten, auch bei den Zulieferern. Allein das veränderte Verhalten der Bestandskunden, die plötzlich kontinuierlich jede Woche bestellten, habe das erforderlich gemacht. „Ohne die Treue unserer langjährigen Geschäftspartner und das gute Netzwerk hätten wir das alles so nicht geschafft“, spricht Sanzio ihre Anerkennung aus. Sie hat erfahren, wie herausfordernd das vergangene Pandemie-Jahr war und nennt diesbezüglich auch die Abhängigkeit der deutschen Landwirtschaft an die Saisonarbeiter aus dem Ausland. „Das ist zusätzlich noch ein sehr bürokratischer Akt.“

Offizielle Zahlen zum momentanen Trend, die das MLR zur Verfügung stellt, zeigen: „Die Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln ist 2020 stark gestiegen. Die Haushalte in Deutschland gaben 2020 mehr als 22 Prozent mehr Geld für Bio-Lebensmittel aus als 2019. Der Bio-Umsatz erreichte damit ein Allzeit-Hoch von fast 15 Milliarden . Euro. Die Baden-Württemberger geben etwa 20 Prozent mehr Geld pro Kopf und Jahr für Bio-Produkte aus, verglichen mit dem Bundesdurchschnitt (B-W: rund 215 Euro/Jahr, D: 180 Euro/Jahr). Die deutlich größere Bio-Nachfrage 2020 führte auch zu einem Anstieg der Bio-Anteile bei den meisten Frischeprodukten. Spitzenreiter sind wie schon seit Jahren die Eier (15,4 Prozent), wobei einzelne Produkte wie Frischmilch oder Möhren auf deutlich höhere Anteile kommen. Bei anderen Produkten, wie Fleisch- und Wurstwaren (1,9 Prozent) besteht bei den zurzeit noch kleinen Bio-Anteilen noch Steigerungspotenzial.“ Bei all dem sei festzustellen, dass „Betriebe mit Hofläden in stadtnahen Lagen einen echten Boom erlebt haben“.

Urlaubszeiten spürt der Demeter-Hofladen in Erdmannhausen keine mehr

Auch Joachim Bay hat in seinem Demeter-Hofladen in Erdmannhausen Veränderungen festgestellt. Unter anderem, „dass die Urlaubszeiten nun nicht mehr spürbar sind. Früher war es da immer ruhiger. Jetzt ist das ganze Jahr über viel los.“ Zweimal pro Woche öffnet Bay vor- und nachmittags den Hofladen, damit die Kunden frische Produkte in Demeter-Qualität erwerben können. Am Anfang der Pandemie sei dies hauptsächlich durch Bestellung und Abholung geschehen. „Inzwischen wird wieder vor Ort eingekauft“, so Bay, der vermutet, dass sich die intensive Kundennachfrage „in dieser Form nicht fortsetzen wird“.

Bei Stefan Eysermans hat sich mit Beginn des ersten Lockdowns ebenfalls eine sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Bio-Produkten gezeigt. Vermutlich, weil sich die Menschen „auf das Wichtige besinnen und bewusster kochen“, so Eysermans von der Gärtnerei von Woedtke in Murr, die in Stuttgart auch einen Stand auf dem Wochenmarkt mit Bioware bestückt. Seine Ehefrau, Gabriele Mayer-Eysermans, führt mit ihrer Freundin den Hofladen bei der Gärtnerei, wo die Kunden viermal pro Woche einkaufen können. Obwohl dort „vor einem Jahr sehr viel los war, hat sich die Lage inzwischen wieder beruhigt. Umsätze wie zu jener Zeit haben wir aktuell nicht mehr“, so Eysermans.

Es wird mehr gekocht während der Pandemie

Diese Feststellung macht auch Veronique Willmann von Willmanns Hofladen in Ingersheim. Herzstück der dortigen Obst- und Gemüseabteilung ist die eigene Ware vom Willmannshof, der biologisch-dynamisch arbeitet und den Hofladen mit Obst und Gemüse in Demeter-Qualität bestückt. „Beim ersten Lockdown hatten wir viel mehr Leute hier, doch danach hat sich das wieder gelegt“, resümiert die Ingersheimerin, stellt jedoch zugleich erfreut fest, „dass auch ein paar neue Gesichter geblieben sind, die weiterhin bei uns einkaufen“. Auch bei Willmanns wurde spürbar, dass bei den meisten Leuten „viel mehr gekocht wird“, was sich in der starken Nachfrage nach frischen und guten Lebensmitteln zeigt.

Bei Familie Würth in Ludwigsburg-Pflugfelden, die mit dem Namen Landwürth wirbt, sieht es ähnlich aus. Neben der Möglichkeit, Essen mitzunehmen oder sich liefern zu lassen, bietet der Hofmarkt zwar keine Bioprodukte, aber frische und regionale Ware, die stark nachgefragt wird. „Vor allem unsere selbstgekochten und eingemachten Produkte sind derzeit besonders begehrt“, weiß Renate Würth, die Mutter von Geschäftsführer Uwe Würth. Sie hat erfahren, dass nicht immer Lust zum Kochen besteht und Kunden deshalb gern auf „Hausgemachtes und Haltbares“ zurückgreifen. Auch die Würth-Kunden kommen seit Beginn der Pandemie zahlreicher und kaufen mehr, wenn sie im Laden stehen. „Wer sonst eine Rechnung von 20 bis 30 Euro hatte, kauft nun für 40 bis 50 Euro ein“, hat Renate Würth erfahren. Um den erhöhten Aufwand zu stemmen, brauchte es bei den Würths personell jedoch keine große Veränderung. „Wir waren auch vorher schon gut besetzt. Und jetzt muss eben die Familie stärker ran.“

Simon Sperling ist langsam an der Kapazitätsgrenze

Simon Sperlings Betrieb in Mühlhausen ist seit Juli 2020 in der Umstellung zum Bio-Betrieb. Der Landwirt verkauft nicht nur im eigenen Hofladen seine zu rund 90 Prozent selbst angebauten Produkte, sondern auch auf den Wochenmärkten in Kornwestheim und Stuttgart. Obwohl er überzeugt davon ist, dass „Bio die Zukunft ist“ und er die Umstellung aus eigener Überzeugung anstrebt, denkt er nicht, dass die biologische Wirtschaftsweise den Ausschlag beim Kunden gibt. „Ich meine, das ist eine Sache des Vertrauens, da spielt die Anbauweise eine untergeordnete Rolle. Bio ist dabei eher das Sahnehäubchen.“

Sperling veranschlagt die Zuwachsrate der Kunden, die wegen Bioprodukten bei ihm einkaufen, „vielleicht bei fünf Prozent“. Entscheidend sei für ihn jedoch auch die Frage: „Wie viel kann ich überhaupt selbst erzeugen? Wir sind momentan nämlich an der Kapazitätsgrenze angekommen.“

Laut Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) zeigen Umfragen, „dass artgerechte Tierhaltung, möglichst naturbelassene Lebensmittel und Regionalität die drei wichtigsten Gründe für den Kauf von Bio-Lebensmitteln sind.“ Als ebenfalls sehr wichtig wird der Wunsch nach gesunder Ernährung sowie der Wunsch nach weniger Zusatz- und Verarbeitungsstoffen und die Vermeidung von Pflanzenschutzmittelrückständen von Verbrauchern genannt (Ökobarometer 2020 des BMEL 2021). Die Nachfrage nach Öko-Lebensmitteln liegt dabei in Baden-Württemberg für die meisten Produktgruppen höher als das regionale Angebot.

Das Land Baden-Württemberg verfolgt das Ziel, gemeinsam mit den Akteuren im Markt das Angebot an Bio-Produkten stark auszudehnen. Bis zum Jahr 2030 sollen 30 bis 40 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus bewirtschaftet werden. Dies soll mit einem markt- und nachfrageorientierten Ansatz erreicht werden. Im Vordergrund stehen dabei die Vermarktung von Bio-Erzeugnissen und Bio-Lebensmitteln aus Baden-Württemberg sowie eine entsprechende Verbraucherinformation. coh